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# taz.de -- Reinhard Bütikofer über Jamaika: „Wir sind nicht die Öko-App“
> Ökologische Modernisierung, Gerechtigkeit, Europa. Um diese Themen muss
> die Partei sich in einer möglichen Koalition kümmern, sagt der Ex-Chef
> der Grünen.
Bild: Welche App Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt wohl gerade nutzen?
taz: Herr Bütikofer, die Grünen bereiten sich innerlich auf Verhandlungen
für ein Jamaika-Bündnis vor. Welche Strategie empfehlen Sie Ihrer Partei?
Reinhard Bütikofer: Vor möglichen Verhandlungen steht die Sondierung. Schon
dafür gilt: Wir müssen geschlossen agieren. Es war in dem Wahlkampf
erkennbar zu unserem Vorteil, dass wir das hinbekommen haben. Dann zählt
Selbstbewusstsein. Wir sind nicht als zerfledderte Figur aus dieser Wahl
hervorgegangen. Sondern als Akteur, der trotz Gegenwind Stimmen dazu
gewonnen hat. Erwarten Sie auch Entschiedenheit. Wir werden hart für unsere
Ziele kämpfen.
Wie können die Grünen Ziele mit drei Partnern durchsetzen, die oft das
Gegenteil vertreten?
Uns geht es, Jamaika hin oder her, um echte, vorzeigbare Erfolge auf drei
Großbaustellen. Da wäre die ökologische Modernisierung der Gesellschaft,
von der Energie- über die Verkehrs- und Industrie- bis zur
Landwirtschaftspolitik. Dann das Zentralthema Gerechtigkeit. In dieser
hypothetischen Konstellation wären die Grünen das soziale Gewissen. Dazu
die Europapolitik. Es gibt ein Zeitfenster für die nächste Bundesregierung,
um mit Frankreichs Präsident Macron Reformen anzuschieben. Das muss genutzt
werden.
Überfordert diese Agenda nicht Ihre Partei? [1][8,9-Prozent-Grüne] können
sich nicht um alles kümmern.
Koalitionen bedeuten Kompromisse. Hier müssen wir unterscheiden lernen
zwischen Kompromissen, bei denen man sagt, mehr war nicht drin, aber wir
bleiben dran. Und solchen, mit denen man sich um die eigene Zukunft bringt,
weil man Überzeugungen opfert. Die Warnung vor der Überforderung ist
berechtigt.
Bei den rot-grünen Koalitionen im Bund gab es immer eine klare
Arbeitsteilung.
Naja. Nach 1998 haben wir uns auf den Atomausstieg, die Ökosteuer, die
eingetragenen Lebenspartnerschaften und die Reform des
Staatsbürgerschaftsrechts konzentriert. Das waren strukturelle Reformen,
die das Land zum Positiven verändert haben. Um sowas geht es wieder. Wir
sind nicht die Öko-App.
Was ist aus Ihrer Sicht die größte Hürde für Jamaika?
Am schwierigsten könnten die Bereiche werden, bei denen konträre
Identitäten gegeneinander knallen. Aber man wird die ganze Themenliste
sorgfältig abschreiten müssen. Nehmen Sie zum Beispiel die Pläne der
Parteien zur Digitalisierung. Ein Schutz der Arbeitnehmerrechte kommt bei
Union und FDP nicht vor. Christian Lindner hat die Digitalisierung
propagandistisch genutzt, um alte FDP-Thesen zur Marktwirtschaft in
modischem Gewand neu zu verkaufen. Wir würden praktische Lösungen suchen,
aber nicht Ideologie abnicken.
CSU-Chef Seehofer will das Vakuum an der rechten Flanke schließen, um die
AfD zu bekämpfen – also etwa bei der Flüchtlingspolitik. Ist das nicht
tödlich für die Grünen?
Ja, ich nehme schon an: Wir werden bei der Innen- und Flüchtlingspolitik
viel zu kämpfen haben, weil das von allen Seiten identitär besetzt ist –
mit unterschiedlichen Vorzeichen. Ich kann Ihnen da leider keine
Dr.-Oetker-Schnellmix-Packung anbieten.
Wie sehen Sie die Europapolitik? Zwischen FDP und Grünen liegen Welten. Die
Freidemokraten wollen zum Beispiel den Rettungsfonds ESM abschaffen.
Die Abschaffung des ESM ist eine Schnapsidee. Das wird es nicht geben.
Auch, weil das Merkel auf keinen Fall mitmacht. Entschuldigung, eigentlich
hatte ich mir vorgenommen, freundlich über unsere Wettbewerber zu sprechen.
Manche Grüne sagen, ein Lagerwechsel bedrohe die Partei in ihrer Existenz.
Wie sehen Sie das?
Die Geschichte zeigt, dass dieses Risiko besteht. Als die FDP 1969 in eine
sozialliberale Koalition eintrat, befand sie sich in einer Existenzkrise.
Als sie 1982 wieder zu Helmut Kohl ging dito. Willy Brandt soll 1969 zur
FDP gesagt haben: Wir werden so regieren, dass die FDP erfolgreich sein
kann. Mal sehen, ob Merkel, Seehofer und Lindner das verstanden haben. Wenn
es stattdessen bei einer Kleinkrämerhaltung bleibt, dann klappt Jamaika
nicht. Oder wir klappen zusammen, wenn wir uns darauf einlassen.
Warum bejubeln die Grünen eigentlich ihre 8,9 Prozent? Sie haben all ihre
Wahlziele verfehlt. Sie wollten den dritten Platz erkämpfen und deutlich
zweistellig werden.
Die Frage, was wir im Optimalfall hätten erreichen können, werden wir uns
schon stellen. Weil wir lernen wollen. Aber wir haben in dem Wahlkampf ein
paar Dinge sehr gut gemacht. Die Geschlossenheit. Der Zehn-Punkte-Plan, der
auf dem Parteitag beschlossen wurde, hat unser Profil enorm geschärft. Die
Partei hat einen exzellenten Online-Wahlkampf hingelegt. Die
Spitzenkandidaten haben mit immensem Engagement gut motiviert.
Aber 2013 legten die Grünen nur ein minimal schlechteres Ergebnis hin,
obwohl sie wegen der Pädophiliedebatte, des Veggiedays und der
Steuerpolitik heftig attackiert wurden.
Sie werden uns nicht überzeugen, in Sack und Asche zu gehen. Wir sind
gestärkt aus diesem Battle herausgekommen. Ein Jahr lang sind die Balken in
Umfragen nach unten gegangen. Dass sie am Ende nach oben gingen, ist für
uns ein großer, auch emotionaler Erfolg. Wir müssen jetzt schauen, wie wir
daraus das Beste machen.
[2][Lesen Sie mehr zur Bundestagswahl 2017 in unserem Schwerpunkt]
25 Sep 2017
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