# taz.de -- Debatte FDP-Digitalkampagne: Denken first, digital second | |
> Die „Digital First“-Kampagne der FDP führt in die falsche Richtung. In | |
> Sachen Digitalisierung haben wir viel zu wenig Bedenken. | |
Bild: „Die Digitalisierung ändert alles“: FDP-Plakat, analog verschönert | |
Es sind nur noch wenige Tage bis zur Wahl, die Straßen sind verhangen mit | |
bunten Politpop. Überall hängt dieses eine Plakat. Darauf guckt ein Mann in | |
schwarzweiß mit Stöpseln im Ohr betrübt auf sein Smartphone. Schräg über | |
ihm heißt es in knallbunten Balken: Digital First, Bedenken Second. Du | |
scheinst so traurig, möchte ich dem Mann zurufen. Oder ihm ein „Kopf hoch, | |
es wird schon“ auf den Weg geben. | |
Dabei sagt er eigentlich nur das Offensichtliche. Wir leben nämlich schon | |
in einer Gesellschaft, in der Digital First kommt. Wir haben unsere | |
Bedenken längst ausgeschaltet. Digitale Konzerne führen die Weltrangliste | |
der mächtigsten und reichsten Firmen dieser Welt an. Facebookland hat mehr | |
Bürger als jedes andere Land dieser Welt, Google mehr Kunden als alle. | |
Amazon hat angefangen, nach der digitalen auch unsere analoge Welt | |
aufzukaufen, inklusive Bio. | |
Mit Digital überwachen Staaten ihre Bürger besser, als es die Stasi je | |
konnte. Snowden hat uns vor der NSA gewarnt. Wir hatten nur ganz kurz | |
Bedenken. Jetzt berichtet die NSA an Donald Trump. In Deutschland heißt die | |
Segnung für alles Industrie 4.0. Die Autoindustrie vertraut auf Digital, um | |
Kunden und Umweltbehörden hinterlistig mit Abgasen zu bescheißen. | |
Wir alle sind Tag und Nacht auf Droge Digital. Wie jeder Junkie wollen wir | |
dauernd eine höhere Dosis, vor allem die Kinder. Bedenken haben wir kaum. | |
Während wir die nächste Pizza per App bestellen, schafft Digital einen Job | |
nach dem nächsten ab. Wenn unser eigener Job in Gefahr ist, fühlen wir uns | |
abgehängt, machen Flüchtlinge verantwortlich und die Politiker, die sie | |
angeblich alle eingeladen haben. | |
## Spielt iTunes schon wieder „Angie“ von den Stones? | |
Digital ist First – der Mann spricht also brutal offen aus, was ist. Und | |
will scheinbar trotzdem mehr davon, noch mehr Digital und noch weniger | |
Bedenken. Denn die ganze Welt überholt uns scheinbar digital links und | |
rechts, aus dem Silicon Valley, aus China, aus Israel. Denn die haben noch | |
weniger Bedenken zu Überwachung, Datensicherheit, Bürgerrechten, | |
Cyberkriminalität und künstlicher Intelligenz. Sie denken erst über die | |
Probleme nach, wenn die uns überrollen. | |
In der Zwischenzeit kann man einen Haufen Geld verdienen. Das hat ja auch | |
ganz gut bei Kohle, Atomenergie, Gentechnologie und Finanzprodukten | |
funktioniert, bis diese Krisen auslösten. Oder blöde Bedenkenträger kamen | |
und die Weicheier in der Politik von ihren Bedenken überzeugt haben. Der | |
Mann auf dem Poster will kein politisches Weichei sein. Digital soll First | |
kommen, so, wie Amerika bei Trump. Bedenken ist was für Loser. | |
Aber warum sieht der Mann dann trotzdem so traurig aus? Das passt doch gar | |
nicht zu Mr. First. Ist er nicht ganz bei der Sache, weil noch so viele | |
Tweets auf Antwort warten? Wurde seine Parteizentrale gehackt und Mails mit | |
geheimen Wahlversprechen an die digitale Industrie offengelegt? Oder spielt | |
iTunes schon wieder „Angie“ von den Rolling Stones, obwohl er den Song | |
schon so oft gelöscht hatte? Sieht so schwarz-weiß-traurig die Digitalität | |
aus, die laut diesem Mann nun First kommen soll? | |
Als ich mich schon zum Gehen wende, fällt mir die klein gedruckte | |
Unterzeile auf. Da steht unter den bunten Balken etwas unauffällig „Denken | |
wir neu“. Klar, man kann das alles auch spiegelverkehrt lesen: Der Spruch | |
muss nämlich eigentlich heißen: Denken First, Digital Second. | |
## Vielleicht kommt Digital auch an zehnter Stelle | |
Dann ergäbe das Ganze nämlich Sinn, denn die Botschaft wäre: Wir leben im | |
Digitalwahn, wo man gar nicht mehr zum Nachdenken kommt. Digitale | |
Filterblasen radikalisieren ehemals friedliche Gemeinwesen, künstliche | |
Intelligenz schafft menschliche Arbeit ab und vor lauter Datteln auf dem | |
Smartphone verlernen wir das Denken. All das sollte den Mann auf dem Poster | |
traurig machen. Denn eigentlich kommt ja das Denken zuerst – und dann die | |
Lösung. Und nicht umgekehrt. | |
Vielleicht kommt Digital aber auch erst an zehnter Stelle. Es gibt ja noch | |
eine ganze Menge anderer Dinge zu tun: Klimawandel aufhalten, Wohlstand | |
gerechter verteilen, Frieden schaffen, Europa ein Upgrade verpassen. | |
Digital kann Teil der Lösung sein. Aber die Lösung selbst ist es nicht. | |
Außer man will das totale Digital, in dem der Mensch gar keine Rolle mehr | |
spielt. Aber welcher Mensch kann das denn wollen? Der Mann auf dem Poster | |
doch bestimmt nicht. Oder? | |
Bei Poster und Mann stimmt jedenfalls etwas nicht, und zwar nicht nur, weil | |
da einer mit der Kopie eines Slogans punkten will, der in den USA gerade | |
mächtig in die Hose geht. Andererseits stößt er uns – bewusst oder | |
unbewusst – mit der Nase auf ein Problem, das es zu lösen gilt. Wie | |
gestalten wir die Digitalität so, das sie uns Menschen dient und nicht nur | |
den politischen und Geschäftsinteressen einiger weniger? | |
Vor Digital kommt nämlich Mensch. Und der sollte das Denken nicht völlig | |
dem Digital überlassen. Deshalb rufe ich dem traurigen Mann auf dem Plakat | |
zu: Denken First, Denken! | |
22 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
André Wilkens | |
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