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# taz.de -- Wahl in Niedersachsen: Ohne Lehrer keine Inklusion
> In Niedersachsen wird am 15. Oktober ein neuer Landtag gewählt. In dieser
> Serie widmen wir uns landespolitischen Themen, die wir für wichtig
> halten.
Bild: Gemeinsam oder nicht? In Niedersachsen wird über Inklusion gestritten
Hannover taz | Die Kinder, die neu in ihre Klasse der Förderschule gekommen
sind, können kaum ein Wort richtig schreiben. Sie rechnen noch mit den
Fingern. Trotz ihrer Lernbehinderungen haben sie zuvor mit ihren
Mitschülern eine normale vierte Klasse in Niedersachsen besucht. „Es ist
krass, dass sie in der Grundschule so wenig gelernt haben“, sagt ihre neue
Lehrerin, die Sonderpädagogin Sibylle Lehmann*. Ihren Namen will die
57-Jährige nicht in der Zeitung lesen – aus Sorge davor, ihre öffentliche
Kritik an der Inklusion könnte ihr eine Abmahnung einbringen.
„Die Kinder leiden“, sagt sie. „Sie merken, dass sie nicht können, was
andere können.“ Dann säßen sie frustriert im Klassenraum, gingen im
schlimmsten Fall gar nicht mehr in die Schule. Lehmann ist nicht vollkommen
gegen die Inklusion, wenn denn deutlich mehr Sonderpädagogen an den Schulen
arbeiten würden. Die 57-Jährige unterrichtet auch an Regelschulen, aber die
Förderschüler fielen dort oft hinten runter, weil es nicht genug
Unterstützung für sie gebe.
In Niedersachsen stehen Grundschulen wöchentlich zwei Förderschulstunden
pro Klasse zu. In den weiterführenden Schulen sind es drei Stunden,
allerdings pro Kind. „Die Lehrer bemühen sich, die Kinder einzubinden“,
sagt Lehmann. Gerade in größeren Klassen sei das aber nicht immer möglich.
Auf der Förderschule könnten sie hingegen in ihrem eigenen Tempo lernen.
„Und ein Selbstwertgefühl aufbauen.“
Die Sonderpädagogin ist dafür, die Förderschulen zu erhalten. „Man muss von
Kind zu Kind entscheiden“, sagt sie. Laut niedersächsischem
Kultusministerium sollen außer der Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen
alle Förderschulen bleiben. Dort werden allerdings immer weniger Schüler
angemeldet. Im Schuljahr 2016 besuchten 61,4 Prozent der Kinder mit
Förderbedarf eine allgemeine Schule. „Diese starke Anwahl zeigt, dass die
inklusive Schule großen Zuspruch von den Eltern und Schülern erhält, sagte
Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD).
Allein im laufenden Haushaltsjahr 2017 steckte das Land 330 Millionen Euro
in die Inklusion. Gerade kündigte Heiligenstadt an, dass 650 pädagogische
Fachkräfte eingestellt werden sollen, um die Inklusion an den Schulen zu
unterstützen. Das können zum Beispiel Erzieher oder Logopäden sein. Die
Ministerin setzt auf multiprofessionelle Teams, die die Kinder gemeinsam
betreuen.
Die Lehrergewerkschaft GEW hält das für richtig. Die Inklusion sei in
Niedersachsen trotz der bisher zu knappen Ressourcen auf einem guten Weg,
sagt GEW-Mann Holger Westphal. Zwar gebe es bisher zu wenig Stunden mit
Sonderpädagogen in den Klassen, doch „eine Atempause wäre die größte
Bedrohung für die Inklusion“. Statt das gemeinsame Lernen zu stoppen, will
die GEW auch die übrigen Förderschulen abschaffen. Dort seien die dringend
benötigten Sonderpädagogen gebunden, sagt Westphal, der selbst
Förderschullehrer ist.
Bemerkenswert sei, dass es trotz fehlender Stellen viele Beispiele für
gelungene Inklusion gebe, sagt der Sonderpädagoge Martin Negel. Die
Hauptschule in Wallenhorst sei so ein Beispiel. Vor fast zehn Jahren wurden
hier auf Druck der Eltern die ersten Kinder inklusiv beschult. Heute haben
von den 180 Schülern 38 einen Unterstützungsbedarf. Die Schule hat sich
spezialisiert. „Wir werben gezielt um die Schüler“, sagt Negel.
Weil viele Schüler mit Handicap da sind, kann die Schule die Förderstunden
bündeln. So sei der Unterricht in den Kernfächern mit zwei Lehrkräften
besetzt. Nur in Fächern wie Kunst, Musik oder Religion unterrichtet ein
Lehrer allein. Das Konzept sei erfolgreich. „Über 50 Prozent der
Förderschüler machen einen Hauptschulabschluss“, sagt Negel.
Trotzdem sieht auch Negel das Problem mit den geringen Ressourcen. Ist in
einer Klasse nur ein Schüler mit Lernbehinderung, kommt nur für drei
Stunden in der Woche ein Sonderpädagoge, um dieses Kind zu fördern.
„Mindestens sechs Stunden müssten es sein“, sagt der Lehrer. Es sei deshalb
sinnvoll, mehrere Kinder mit Behinderung in einer Klasse zu unterrichten –
oder gleich Schwerpunktschulen wie in Wallenhorst zu entwickeln.
*Name geändert
5 Oct 2017
## AUTOREN
Andrea Scharpen
## TAGS
Schwerpunkt Landtagswahlen
Wahlkampf
Niedersachsen
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Finanzen
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