# taz.de -- Noch eine Diskussionsrunde zu Tegel: Einer, der den Durchblick hat | |
> In der Urania schienen viele Hundert nur darauf gewartet zu haben, dass | |
> ihnen Ex-Verfassungsgerichtspräsident Helge Sodan die Rechtslage zu Tegel | |
> und BER aufdröselt. | |
Bild: Schauspielerin Jasmin Tabatabai (l) bei der Demo gegen den Weiterbetrieb … | |
Es dauert gut eine Stunde, bis der breitschultrige Endfünfziger mit der | |
hohen Stirn nachhaltig zu Wort kommt. Vorwiegend Beifall hatte es bislang | |
bei Regierungschef Michael Müller von der SPD gegeben, Buhrufe bei FDP-Mann | |
und Volksbegehren-Macher Sebastian Czaja, Zwischenrufe bei der grünen | |
Senatorin Ramona Pop. Doch als Helge Sodan über den Volksentscheid und den | |
Flughafen Tegel redet, ist der Saal ruhig – und zwar komplett. | |
Der Saal, das sind rund 300 Zuschauer in der Urania und nochmal fast | |
genauso viele in einem Nebenraum. Sodan ist Ex-Präsident des Berliner | |
Verfassungsgerichtshofs; der Tagespiegel und der RBB als Gastgeber haben | |
ihn eingeladen, um Durchblick in die vielen Gutachten um Schließen oder | |
Offenhalten zu bringen. Auf so einen scheint der Saal tatsächlich gewartet | |
zu haben – und dass nach halben Jahr Debatte und Kampf um Stimmen am | |
kommenden Sonntag. | |
Sodan sagt von sich, er sei kein Politiker, die Moderatoren führen ihn auch | |
nur als Juristen ein, während bei Wikipedia zu lesen ist, er sei | |
CDU-Mitglied. Also doch befangen, falls das stimmt? Aber in welche | |
Richtung? Denn neben Sodann sitzt in der Gesprächsrunde einer, Matthias | |
Brauner, der unbestritten CDUler ist, Politiker auch und bis 2016 | |
Abgeordnetenhausmitglied, und der doch anders als neuerdings seine Partei | |
weiter für die Schließung ist. | |
Zwei Dinge macht Sodan klar: Dass der Senat zum einen durchaus bestehende | |
Verträge in Sachen Tegel aufdröseln könnte und dass das offenbar auch gar | |
nicht so langwierig ist: Mit drei Jahren Frist zum Jahresende ließe sich | |
die Vereinbarung mit Brandenburg kündigen, auf der die gemeinsame | |
Landesplanung und der Beschluss beruhen, den BER zum einzigen Flughafen der | |
Region zu machen. „Mit Wirkung vom 1. Januar 2021 könnte Berlin einen | |
eigenen Weg gehen“, sagt Sodan und wundert sich, dass das in der seit | |
Monaten währenden Diskussion überhaupt nicht vorgekommen sei. | |
## Womöglich gar kein Flughafen mehr? | |
Zum anderen ist es aus seiner Sicht so, dass diverse Koalitionspolitiker | |
offensichtlich Unsinn erzählt haben, wenn sie mantrahaft behaupteten, wer | |
Tegel offen halten will, würde die Rechtsgrundlage des BER gefährden und | |
damit riskieren, dass Berlin dann womöglich gar keinen Flughafen mehr hat. | |
„Nicht stichhaltig“ sei dieses Argument, ist Sodans Wortwahl. Falsch ist | |
für ihn auch die Aussage, die Betriebsgenehmigung für Tegel sei schon | |
erloschen – „da ist noch nichts erloschen“. | |
Und dann haut Sodan dem neben ihm sitzenden Regierenden Bürgermeister auch | |
noch ein Gutachten um die Ohren, das der Senat vor zwei Wochen vorstellte. | |
Das hat ein Anwalt namens Reiner Geulen verfasst, und für Sodan ist es ein | |
Papier, „das sicherlich nicht durch besondere fachliche Tiefe glänzt“. | |
Das sitzt. Es kommen auch keine protestierende Zwischenrufe derjenigen, die | |
sich zu Beginn des Abends mit einer roten Karte für die Tegel-Schließung | |
ausgesprochen haben – fürs Offenhalten ließ sich mit Grün stimmen, was | |
ungefähr genau so viele getan haben. Vielleicht sind wir alle im Saal | |
hierarchiehörig, aber dass ein Verfassungsgerichtspräsident so redet und | |
sei es auch ein ehemaliger, das zeigt Wirkung. Reichlich Buh-Rufe kriegt | |
die Grüne Pop zu hören, als sie das Ganze als eine Animosität zwischen | |
Sodan und Anwalt Geulen abtun will. | |
Sodan stellt Müller dann noch eine Frage: Warum der Senat nicht – statt | |
jetzt auf die Schnelle mit einem anwaltlichen Schriftsatz zu kommen –, | |
schon vor ein, zwei Jahren bei renommierten Verwaltungsrechtlern aus | |
anderen Bundesländern, die als unbeteiligt gelten können, seriöse Gutachten | |
in Auftrag gegeben hat. | |
## Lärm – ein entscheidendes Argument | |
Was an diesem Abend depremiert, ist die Erkenntnis, dass selbst eine an | |
Argumenten und neuen Informationen so reiche Debatte wenig zur | |
Meinungsbildung beiträgt: Als am Ende die Moderatoren fragen, wer nun | |
anders abstimmen würde als zu Beginn, egal ob in die eine oder andere | |
Richtung, da heben nur zwei oder drei von den 300 im Saal ihre Karten. | |
Draußen vor der Urania haben die Umweltschützer vom BUND inzwischen ihre | |
Lautsprecher abgebaut, die den Teilnehmer beim Reingehen nochmal vor Ohren | |
führten, mit welchem Lärmkulisse rund 300.000 Berliner dank Tegel leben. In | |
Pankow habe man das aufgenommen, erzählt BUND-Geschäftsführer Tilmann | |
Heuser der taz noch. Promi-Pankower wie Jürgen Trittin standen vor | |
Veranstaltungsbeginn in der Menge, auch die Linkspartei-Landesvorsitzende | |
Katina Schubert. | |
Der Lärm ist auch nach zwei Stunden Diskussion noch unvergessen und bleibt | |
ein entscheidendes Argument für die Abstimmung am Sonntag. Sodans | |
Rechtslage-Nachhilfe wirft aber zumindest die Frage auf, ob das Bild vom | |
ehrlichen Senat gegenüber den vermeintlichen Tegel-Tricksern bei FDP und | |
sonstigen Offenhältern nicht ein Zerrbild gewesen sein könnte. | |
20 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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