# taz.de -- Protest gegen Tegel-Fluglärm in Pankow: Gebt uns den Himmel zurück | |
> Wenige Tage vor dem Volksentscheid Tegel drehen die Pankower Tegel-Gegner | |
> richtig auf: Sie fühlen sich von der Politik verraten und verkauft. | |
Bild: Manchmal fliegen sie auch hier, überm Eingangstor zum Bürgerpark in Pan… | |
Der tollste Moment ist der, als Jasmin Tabatabai die kleine Bühne neben der | |
Kirche Pankow an der Breiten Straße betritt. Die deutsch-iranische | |
Schauspielerin und Sängerin, die, wie man sich hier erzählt, mit Freund und | |
drei Kindern seit einigen Jahren eine große Villa am schönen Majakowskiring | |
bewohnt, kommt in Springerstiefeln und Bomberjacke – und auch ihre Stimme | |
strotzt vor Kampfgeist. „Sie sagen, wir hätten uns halt verzockt“, ruft sie | |
wütend genau in dem Moment ins Mikrofon, als der Wolkenbruch endlich | |
nachlässt. „Als hätte es das Versprechen, Tegel zu schließen, nie gegeben!… | |
Tosender Applaus. | |
Wir befinden uns auf einer Kundgebung, zu der Pankower Bürgerinitiativen | |
und der BUND geladen haben, es geht um den Volksentscheid Tegel am Tag der | |
Wahl, dem kommenden Sonntag. Bei den Pankowern kocht es seit dem Ende der | |
Sommerferien noch einmal richtig hoch. | |
Überall in diesem gutbürgerlichen Bezirk sieht man durchgestrichene | |
Flugzeuge auf den Umhängetaschen und den Heckscheiben der Autos – Banner | |
mit den Worten „Gebt uns den Himmel zurück“ und „Bye Bye Tegel“ hänge… | |
Fenster zu Fenster. | |
Es gibt Berliner, die nicht wissen, was es bedeutet, in der Einflugschneise | |
zu leben. Doch hier berichten Schulkinder, dass sie im Unterricht kurz | |
Pause machen, wenn wieder ein Flugzeug über die Schule fliegt. Pfarrerin | |
Ruth Misselwitz erzählt bei der Kundgebung von Kleinkindern, die sich im | |
Garten ihrer Kirche auf den Boden warfen. | |
## Selbstverständliche Redepausen | |
Und andere berichten von Besuch aus anderen Bezirken, der es ganz | |
erstaunlich fand, wie hier die Gespräche im Park oder auf dem Balkon wie | |
selbstverständlich versiegen, wenn ein Flieger kommt – und kommentarlos | |
wieder aufgenommen werden, wenn er vorbei ist. | |
Offiziell geht der Flugverkehr in Tegel von 6 bis 23 Uhr, aufgrund von | |
Sondergenehmigungen landen und starten aber auch in der Zwischenzeit | |
Flieger. Insgesamt gibt es laut Flughafengesellschaft in Tegel täglich um | |
die 600 Flugbewegungen, davon geht laut Tegel-Gegnern die Hälfte bei | |
Flughöhen von unter 200 Metern über Pankow. Wenn der Wind schlecht steht, | |
haben Menschen in diesem Bezirk bis zu 100 Dezibel gemessen – schlimmer hat | |
es nur, wer noch näher am Flughafen wohnt. | |
Zum Vergleich: An einer der lautesten Straßen Berlins, der Leipziger Straße | |
in Mitte, waren es höchstens 80 Dezibel. Tegel-Gegner haben errechnet, dass | |
mehr als 300.000 Menschen vom Fluglärm um Tegel herum betroffen sind. Nach | |
Unterlagen der Flugsicherung für die Fluglärmkommission Schönefeld werden | |
beim BER weniger als 40.000 Menschen einem Fluglärm von maximal 50 Dezibel | |
ausgesetzt sein. | |
## Der Flughafen sollte schon 2012 schließen | |
Ein paar Tage später, in einer lichten Wohnküche mit Gartenzugang in einem | |
Neubau im Pankower Florakiez. Es war kein Kunststück, auf der Kundgebung | |
mit einer 45-jährigen Ärztin und ihrem Nachbarn, dem Stadtplaner Jens | |
Aesche (44), ins Gespräch zu kommen. Beide haben sich 2011 entschieden, | |
hier gemeinsam mit einer Gruppe zu bauen – damals hieß es noch, der | |
Flughafen Tegel würde 2012 schließen. | |
Nun verteilen sie mit weiteren Nachbarn und ohne sich in einer | |
Bürgerinitiative organisiert zu haben, seit zwei Wochen in der ganzen Stadt | |
und in jeder freien Minute Flugblätter. Sie versuchen, mit Tegel-Fans in | |
Friedrichshain, Charlottenburg und Steglitz ins Gespräch zu kommen. Was sie | |
am meisten ärgert: Die notorisch erfolglose Berliner FDP, die den | |
Volksentscheid lanciert hat, spalte „aus purem Populismus“ die | |
Stadtgesellschaft, so Aesche. „Diese Partei tritt den Rechtsstaat mit | |
Füßen, um wieder ins Gespräch zu kommen.“ | |
Viele Tegel-Fans, die er getroffen hat, halten aus Nostalgie oder purer | |
Bequemlichkeit an ihrem Flughafen fest. Oder sie wollen aus einem | |
Bauchgefühl heraus für Tegel stimmen, um der großen Politik, die für die | |
BER-Blamage verantwortlich ist, ein Schnippchen zu schlagen. „Kaum einer | |
von ihnen war je in Pankow und weiß, was es heißt, in der Einflugschneise | |
zu leben“, sagt die Ärztin. | |
Die Pankower haben mitunter keinen guten Ruf in dieser Stadt. Viele von | |
ihnen, so auch die beiden, sind bereits vor Jahren aus Prenzlauer Berg | |
vertrieben worden, weil es dort keine bezahlbaren Wohnungen für | |
kinderreiche Familien mehr gab. Nun heißt es, die Pankower suchten die Ruhe | |
der Dörfer in der deutschen Provinz, aus der sie kamen – so wie jene | |
Familien, die in Prenzlauer Berg noch eine Wohnung erstehen konnten, um | |
dann Spielstraßen einzufordern und durch ihre Lärmklagen die Clubs in den | |
Ruin zu treiben. | |
## Fluglärm gehört nicht in die Stadt | |
Was übersehen wird: Fluglärm ist etwas anderes als Verkehrs- oder | |
Kneipenlärm. Er gehört nicht in die Stadt. Tegel wurde nicht gebaut für das | |
wachsende Berlin, das steigende Touristenzahlen schmücken. | |
Ein paar Stunden nach dem Treffen in der Wohnküche, im Café Nord um die | |
Ecke: Auch die ehemalige taz-Kollegin Katharina Koufen (46) kann ein Lied | |
davon singen, wie sie mit Westberliner Vorurteilen und Egoismen zu kämpfen | |
hatte, als sie etwa beim Weinfest am Rüdesheimer Platz Flugblätter | |
verteilte. Oft hat sie den Menschen erklärt, dass es eben nicht so einfach | |
ist wegzuziehen, wenn man Kinder hat, die im Bezirk aufgewachsen sind und | |
dort nach wie vor zur Schule gehen. Und apropos Schule: „Für das, was die | |
Sanierung des alten Flughafens mit allem Drum und Dran kosten würde, könnte | |
man fast 100 Schulen bauen“, sagt sie. | |
Im Augenblick ist Katharina Koufen vor und nach der Arbeit zusammen mit | |
Nachbarn mit der Organisation einer Demonstration befasst, die heute am | |
Café Kranzler startet und bei der Urania endet, wo unter anderen Berlins | |
Regierender Michael Müller (SPD) und „Volksentscheider“ Sebastian Czaja | |
(FDP) über Tegels Zukunft diskutieren werden. | |
Auf der Demo wird ein Wagen mitfahren, auf dem Jugendliche den Fluglärm | |
simulieren werden. In Originallautstärke. | |
19 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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