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# taz.de -- Volksentscheid über Flughafen Tegel: Noch Fragen? Aber gerne!
> Tegel ist einfach auch ein Ärgernis. Warum, zum Beispiel, entschuldigt
> sich kein Politiker für den Flugzeuglärm? Die taz liefert Antworten.
Bild: Nichts mehr auf die Ohren: Demo für die Schließung von Tegel
Es nervt: Kein Thema bestimmt die Bundestagswahl 2017 in Berlin so sehr wie
die Frage, ob der Flughafen Tegel offen bleiben soll oder nicht. Man weiß,
dafür müsste die bestehende Rechtslage revidiert werden, die Berliner FDP,
zusammen mit der AfD und der CDU, hält das für machbar. Juristen halten es
für nahezu unmöglich. Eigentlich müsste an der Stelle deshalb Schluss sein,
aber die Debatte wird mit verhärteten Fronten weiter geführt. Immerhin
hilft die Hartnäckigkeit der TXL-Befürworter denen, die den Flughafen
geschlossen sehen wollen, Gerechtigkeitsfragen und ethische Fragen zu
stellen. Etwa diese:
Warum hat sich die Politik bei den Leuten bisher nicht entschuldigt, die
den Lärm vom Flughafen Tegel abbekommen?
2012 sollte TXL, der mitten im Wohngebiet liegt, geschlossen werden. Ging
nicht. Wegen Pfusch und Politikversagen am BER. Bis 2012 galt am Flughafen
TXL eine Nachtruhe ab 22 Uhr und es wurden etwa die Hälfte der Passagiere,
die heute von dort fliegen, abgefertigt. Seit der fehlgeschlagenen
Eröffnung sind die Ruhezeiten verkürzt, es wird mehr oder weniger die ganze
Nacht geflogen. Und dies, obwohl den Leuten rund um TXL aufgrund einer
Ausnahmegenehmigung im Fluglärmschutzgesetz – man nennt den Paragrafen Lex
Tegel –, kein adäquater Lärmschutz zusteht.
Als Begründung, warum mehr geflogen werden muss, wurde 2012 argumentiert,
die Airlines hätten schon erweiterte Flugpläne für den BER ausgewiesen.
Warum diese in der Folgesaison nicht wieder auf das Niveau von vor 2012
reduziert werden konnten, erklärt niemand. Es wurde von den Politikern
einfach nicht gefordert. Genauso wenig wie sich bisher kein Politiker bei
den Lärmbetroffenen, die den Kopf für die verfehlte Politik und Planung
hinhalten, entschuldigt hat. Einzig Senatsbaudirektorin Regula Lüscher tat
dies bei den TXL-Anwohnern dieses Frühjahr, als die Pläne für die
Nachnutzung auf dem Tegeler Flughafengelände vorgestellt wurden.
Bleibt Tegel offen, wie teuer wird dann der Lärmschutz?
Das weiß zum derzeitigen Zeitpunkt niemand. Der FDP wurde untersagt zu
behaupten, laut eines Gutachtens des Öko-Instituts würde es nur 108
Millionen Euro kosten. Der Senat nennt in seinem Statement, warum man beim
Volksentscheid mit Nein stimmen soll, eine Zahl von 400 Millionen für den
Lärmschutz, fügt aber in einem Nachsatz hinzu, dass der Lärmschutz rund um
den BER für ein Zehntel der Betroffenen 700 Millionen kostet.
Das ist eine interessante Formulierung: Heißt es doch im Klartext, der
Senat geht von einem Zweiklassenlärmschutz aus. Am BER der Beste, der
derzeit möglich ist, rund um TXL das Billigste, das möglich ist. Erstreiten
sich die Leute rund um TXL aber den gleichen Lärmschutz wie am BER, – und
dass sie Recht kriegen, dürfte außer Frage stehen, denn der
Gleichheitsgrundsatz gilt –, dann wird es richtig teuer. Das ist Zynismus
pur.
Der ehemalige Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) brachte es so auf den
Punkt: Man könne den Flughafen offen lassen, die Leute werden dagegen
klagen und Recht bekommen. Als Direktkandidat in Steglitz-Zehlendorf rät er
seinen Fans, für die Offenhaltung von TXL zu stimmen, aber damit zu
rechnen, dass diese nicht von Dauer ist. Man lässt also die Leute klagen,
das schindet Zeit, kostet Geld und zermürbt.
Wer schützt die Kinder, die rund um den Flughafen Tegel dem Lärm ausgesetzt
sind?
Niemand. Die repräsentative Norah-Studie ([1][www.laermstudie.de]), für die
Wissenschaftler die Auswirkungen von Fluglärm an verschiedenen Flughäfen
untersucht haben, belegt, dass Kinder in Flugschneisen im Durchschnitt drei
Monate länger brauchen, um Lesen zu lernen. Je lauter es ist, desto
lernverzögerter die Kinder.
Vom Flughafen TXL sind 300.000 Menschen vom Lärm betroffen, das entspricht
einer Stadt in der Größe von Augsburg, Bielefeld, oder Karlsruhe. Und
darunter sind, entsprechend dem Anteil der Bevölkerung auf Vergleichsbasis
der oben genannten Städte, etwa 15 Prozent Kinder und Jugendliche, die
beschult werden. Man nimmt in Kauf, dass Kinder in Einflugschneisen
schlechtere Bildungschancen haben. Bleibt Tegel offen, sollten sich auch
die Kinderschutzverbände an den Klagen beteiligen und Lärmerholung für
Kinder einfordern. Zumal auch die Nachtruhe an Flughäfen nicht für Kinder
gilt.
Warum gilt die Nachtruhe nicht für Kinder?
Soweit ist man sich an den Flughäfen TXL und BER einig: Es soll nachts eine
Ruhepause geben. Am Flughafen TXL gilt sie offiziell von 23 Uhr bis 6 Uhr
morgens, wird aber stetig nicht eingehalten. Interessant nun: Man versteht
einerseits, dass die Leute nachts eine lärmfreie Zeit brauchen. Allerdings
ist die Ruhepause an den Bedürfnissen der Erwachsenen orientiert, nicht an
denen der Kinder. Als müssten Kinder nicht früher ins Bett. An keinem
Flughafen bundesweit sind so viele Menschen – und damit Kinder – vom Lärm
betroffen wie rund um TXL
Warum wehren sich die Leute rund um den Flughafen TXL kaum?
Das hat viele Gründe. Zum einen kann man an der Bevölkerungszusammensetzung
in den lärmbetroffenen Gebieten in Reinickendorf, Nordwedding und dem
östlichen Spandau das ablesen, was Fluglärm bewirkt: Jene, die die
Möglichkeit haben, wegzuziehen, tun das. Die, die diese Möglichkeit nicht
haben, bleiben.
Es leben viele arme Menschen in den Einflugschneisen und sie haben Angst,
dass die Mieten steigen, wenn der Lärm weg ist. Kommt hinzu: Wie die
Norah-Studie belegt, gibt es in lärmbetroffenen Gebieten eine Zunahme von
Depressionen. Menschen, die darunter leiden, werden kaum auf die Barrikaden
gehen.
Ein weiterer Aspekt: Wer vom Fluglärm betroffen ist, kann es nur aushalten,
wenn er den Fluglärm versucht, zu ignorieren. Redet er aber über den Lärm,
kann er ihn nicht mehr ertragen. Bewusster Lärm regt auf. Deshalb darf man
auch die Polizei rufen, wenn der Nachbar lärmt.
Warum fliegen Flugzeuge auch am Sonntag, Lkws und Rasenmäher dürfen aber
nicht rattern? Ganz einfach: Weil die Flughafenlobby so stark ist, dass die
Politik entweder mit ihr kuschelt oder vor ihr kuscht.
Was hat der FDP-Vorstoß zur Offenhaltung des Flughafens TXL bisher
gebracht?
Er hat der FDP Aufwind verschafft. Allerdings könnte das auch in Gegenwind
umschlagen. Dann nämlich, wenn die TXL-Nostalgiker kapieren, dass sie einer
leeren Hülle aufsitzen. Auch – und das ist bedeutsamer – hat die
TXL-Offenhaltungskampagne bewirkt, dass der BER massiv ausgebaut wird. Da
schwingt zwar Panik und ein Ja zu weiter steigenden Passagierzahlen mit,
obwohl hemmungslos billiges Fliegen nicht hilft, die Klimaziele zu
erreichen. Aber immerhin, es wird nun ausgebaut, um den TXL-Befürwortern
das wichtigste Argument zu nehmen: die fehlende Kapazität. Ginge es der FDP
um Inhalte, müsste sie nun einen Schlusspunkt setzen.
Viel wichtiger aber ist, dass die FDP-Kampagne die Leute, die rund um TXL
bisher den Lärm ertragen haben, zu einer Gruppe zusammengebracht hat, die
sich wehren wird. Gegen ignorante Politik, gegen fehlende Rechtsgrundlagen
für TXL, gegen fehlenden Lärmschutz. Auch über den 24. September hinaus.
22 Sep 2017
## LINKS
[1] http://www.laermstudie.de/
## AUTOREN
Waltraud Schwab
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