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# taz.de -- Pläne für das Flugfeld Tegel: Europas Antwort auf Silicon Valley
> Wenn der Flughafen Tegel schließt, soll ein neues Kapitel Berliner
> Stadtgeschichte beginnen. Das Projekt TXL will Industrie, Forschung und
> Wohnen vereinen.
Bild: Etwas bleibt auf jeden Fall: Das Sechseck von Terminal A steht unter Denk…
Um große Worte ist Philipp Bouteiller nicht verlegen. „Wenn es in Europa
eine Antwort auf Silicon Valley gibt, dann ist es die Urban Tech Republic.“
Ein europäisches Gründerwunder hat Bouteiller also im Sinn, mit Firmen, die
sich um die Zukunftsfragen der Stadt kümmern, Mobilität, Ökologie, Energie.
Aber Europas Antwort auf die Softwareschmieden in Kalifornien soll noch
mehr sein. „Wir wollen auch einen Beitrag zur Reindustrialisierung
leisten“, sagt Bouteiller.
Also nicht nur forschen und das neue iPhone dann in China herstellen lassen
wie im Silicon Valley, sondern forschen, entwickeln und auch produzieren.
Und das alles an einem Ort. Berlins Zukunft soll dort entstehen, wo derzeit
noch Flugzeuge starten und landen. Auf dem Gelände des Flughafens Tegel.
Philipp Bouteiller ist Geschäftsführer der Tegel Projekt GmbH, und als
solcher soll er die Voraussetzungen dafür schaffen, dass aus den großen
Zukunftsvisionen eines Tages auch Wirklichkeit wird. So ganz scheint es ihm
bislang nicht gelungen zu sein: Bis vor Kurzem war einer Mehrheit der
Berlinerinnen und Berliner der Flughafen wichtiger als die Zukunft einer
neuen „Stadt in der Stadt“ mit bis zu 25.000 Arbeitsplätzen, 5.000 neuen
Wohnungen und einem Park, der größer ist als das Tempelhofer Feld.
„Die Nachnutzung scheint bei der Entscheidung für oder gegen eine
Offenhaltung von Tegel bislang kaum eine Rolle zu spielen“, räumt der
49-Jährige ein. „Wir befinden uns da eher im Windschatten der
Schwierigkeiten am BER.“ Ein emotionales Thema ist das Desaster in
Schönefeld, weiß Bouteiller, der in Berlin und London unter anderem
internationales Management studiert hat. Zukunftsthemen dagegen sind nicht
emotional, sondern erst einmal ein Versprechen, schöne Bilder, die ihrer
Realisierung harren.
## Urban Tech Republic
Aber dieses Schattendasein hat auch seine Vorteile, meint Bouteiller. „Wir
können in Ruhe und unaufgeregt planen.“ Und diese Planungen haben die
zwanzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Tegel Projekt GmbH inzwischen
abgeschlossen.
Auf 3D-Simulationen hat die Urban Tech Republic schon Gestalt angenommen:
Wir sehen Studierende, die auf gepflasterten Fußwegen flanieren, wo zurzeit
noch der TXL-Bus, der X9, der 128 und der 109 abfahren. Ingenieure treffen
sich zu Meetings, Wissenschaftler zum Lunch in der Kantine. Glasfronten
zieren die neuen Bürokomplexe, futuristische Raumlösungen die neuen
Produktionshallen, aus den Frachthallen und Hangars werden Kreativräume.
Ein Masterplan fasst alle Nutzungen der Zukunftsstadt zusammen (siehe
Grafik), das Schumacher Quartier zum Wohnen, den Landschaftspark, der sich
zum Flughafensee öffnet, die Industrieparks Ost und West südlich der Start-
und Landebahn, das Gewerbeband auf dem Vorfeld. Überschrieben ist die
Vision mit dem Claim: „Wir wissen noch nicht, wie die Stadt der Zukunft
aussehen wird. Aber wir wissen, wo sie entsteht.“
## In der Mitte ein Campus
Noch herrscht in Tegel Flugbetrieb. Im Terminal A, dem denkmalgeschützten
Sechseck des Architekten Meinhard von Gerkan, drängen sich die Reisenden
der Lufthansa, von Eurowings und Brussels Airlines. Doch aus Reisenden
könnten bald Studierende werden. Herzstück der Zukunftsstadt soll der neue
Campus der Beuth-Hochschule werden. Schon vor vielen Jahren erklärte Monika
Gross, die Präsidentin der Hochschule mit 12.000 Studierenden, man habe ein
„massives Platzproblem.“
Mit dem Umzug von 2.500 Studierenden nach Tegel soll das Problem Geschichte
sein. Auf dem Campus TXL, im denkmalgeschützten Sechseck des Terminals A,
soll künftig vor allem zu Themen wie Mobilität und Energie geforscht
werden. Umziehen werden alle Institute und Forschungseinrichtungen, die
sich mit Urbanität beschäftigen, auch Urban Farming soll ein Thema sein.
Vorbild ist die Hafencity-Universität in Hamburg. Bis zu 5.000 Studierende
können perspektivisch im denkmalgeschützten Hauptterminal untergebracht
werden. Der zweite Campus LUX in der Luxemburger Straße wäre damit
entlastet. Beuth-Präsidentin Monika Gross gehört deshalb auch zu den
engagiertesten Verfechterinnen einer Schließung des Flugbetriebs in Tegel.
Doch nicht nur die Landmarke des Flughafens Otto Lilienthal soll stehen
bleiben, auch die Terminals B und D werden noch gebraucht, als
Konferenzzentren und Platz für junge Unternehmen. „Gerade die
Technologie-Startups“, ist Philipp Bouteiller überzeugt, „haben in Berlin
keine natürliche Heimat. Da gibt es nicht den einen Ort wie Mitte.“
## Regenwasserteich im Loop
Die Tegel Projekt GmbH will deshalb den Umbau des Terminals mit den
Bedürfnissen der künftigen NutzerInnen abstimmen. Weil dort nicht nur
Computer stehen, sondern auch viel Hightech, soll besonderer Wert auf die
Sicherheit gelegt werden.
Und noch ein Gebäude bleibt erhalten, der sogenannte Loop, in dessen Mitte
bislang die Autos parken. In ihm soll in Zukunft ein Regenwasserteich
angelegt werden. Die Stadt der Zukunft ist selbstverständlich auch
ökologisch. Mit dem Regenwasser werden Gebäude gekühlt, auch das Mikroklima
des Areals soll verbessert werden.
Noch vor Projektstart wurde die Urban Tech Republik mit dem
Nachhaltigkeits-Vorzertifikat in Platin der Deutschen Gesellschaft für
Nachhaltiges Bauen ausgezeichnet. Engelbert Lütke Daldrup sagte damals noch
als Staatssekretär für Stadtentwicklung: „Die Herausforderungen in unseren
Städten sind das zentrale Thema der Urban Tech Republic: Mobilität, klima-
und ressourcenschonende Produktion, nachhaltiges Bauen, Mischung der
Funktionen und gute städtebauliche Planung. All das wird sich in Berlin TXL
widerspiegeln. Wir können stolz darauf sein, was dort zukünftig entstehen
wird.“ Nun, als Flughafenchef, kann Lütke Daldrup mit der Fertigstellung
des BER dafür sorgen, dass den Worten auch Taten folgen.
## Neue Innenstadtflächen
Blaupause für die Stadt der Zukunft in Tegel ist die Wissenschaftsstadt
Adlershof. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten hat sich das enge
Miteinander von Universitäten, Forschungseinrichtungen und Wohnen bewährt.
Adlershof und die Aufholjagd der Berliner Wirtschaft gegenüber anderen
Metropolen sind nicht voneinander zu trennen. Allerdings konzentrieren
sich in Adlershof vor allem kleine Firmen, auch wenn die zuweilen
Weltmarktführer sind. Tausend Unternehmen haben sich in der
Wissenschaftsstadt angesiedelt und 17.000 Arbeitsplätze geschaffen, das
macht pro Unternehmen im Schnitt 17 Mitarbeiter.
Nach Tegel dagegen sollen auch größere Firmen mit mehr Arbeitsplätzen
kommen. Der Platz jedenfalls ist da. Wenn alle Bauabschnitte fertig sind,
ist die Urban Tech Republic so groß wie der halbe Wedding oder der halbe
Prenzlauer Berg. „Es ist“, so sagt es Philipp Bouteiller, „die größte
innerstädtische Fläche, die wir im 21. Jahrhundert bebauen können.“
Eine der neuen Firmen könnte die Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr
(IAV) sein. „Für uns wäre Tegel eine gute Option, zu wachsen“, sagt Markus
Mrozek, der Pressesprecher der international tätigen Firma. IAV ist ein
unabhängiger Autoentwickler mit weltweit 7.000 Mitarbeitern, der, so
Mrozek, Ideen und Konzepte zur Serienreife bringt. „Wir sind vor dreißig
Jahren als Ausgründung an der TU Berlin entstanden“, erinnert Mrozek. „Der
enge Kontakt zur Hochschullandschaft ist für uns wichtig.“ Bis zu 250
Studierende gehen am IAV-Hauptsitz in der Carnotstraße im Spreebogen
ständig ein und aus. „Das ist für beide von Vorteil“, meint Mrozek. „F�…
uns ist es ein Faktor für die Nachwuchsgewinnung, die Studierenden bekommen
Einblick in die Praxis.“
Und noch etwas ist aus Sicht des Unternehmens interessant an Tegel. „Es ist
die innerstädtische Anbindung.“ Nur 15 Minuten bis zur City, davon träumen
andere Städte. Unternehmenssprecher Mrozek räumt aber ein, dass es bei TXL
noch viele offene Fragen gibt. „Ab wann sind die Flächen verfügbar? Wie
hoch wird der Preis sein?“ Auch die Tegel Projekt GmbH weiß, dass ihre
möglichen Klienten Planungssicherheit brauchen. „Es gibt ein reges
Interesse“, sagt Philipp Bouteiller. „Wenn die nicht aufs Gelände können,
gehen die woanders hin, nach Sachsen oder Sachsen-Anhalt.“
## Preiswertes Wohnen
Mitten im August, es ist noch Sommer in Berlin, besichtigt Berlins
Bausenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) das Gelände am Flughafen Tegel.
Sie trägt eine rote Signalweste, auf der das Logo des BER prangt. Lompscher
ist auf ihrer „Stadtansichten“-Tour und will dem Vorwurf entgegentreten,
dass ihr der Wohnungsneubau schnuppe ist. Also sagt sie Sätze wie diese:
„Ich kann es kaum erwarten, bis ich hier endlich mein Amt als
Stadtentwicklungssenatorin ausüben kann.“ Denn Tegel schließen bedeutet
auch den Neubau von 5.000 Wohnungen. Ein Gewinnerthema.
Wenige Wochen später sitzt Lompscher in den Räumen der Tegel Projekt GmbH
am Olivaer Platz und präsentiert die Charta des sogenannten Schumacher
Quartiers. Die wichtigste Botschaft: Das Wohnen in Tegel soll bezahlbar
sein. „Bei den Wohnungsbaugesellschaften werden mindestens 50 Prozent der
Wohnungen bezahlbar sein“, versprach Lompscher. „Bei den privaten Bauherren
beträgt die Quote 30 Prozent.“ Als bezahlbar gilt eine Wohnung für den
Senat, wenn nicht mehr als 6,50 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete verlangt
werden.
Doch nicht nur sozial soll das Wohnen in Tegel sein, sondern auch
ökologisch. „Hier entsteht eine gebaute Smart-City“, versprach eine gut
gelaunte Senatorin und zählte auf, was im Schumacher Quartier alles geplant
ist: autoarmes Wohnen, klimagerechte und wassersensible
Quartiersentwicklung, Regenwasserrückhalt. „Damit leisten wir einen Beitrag
zur Schwammstadt“, sagte Lompscher. Mit ihr soll das Wasser bei
Starkregenfällen nicht in die überforderte Kanalisation abfließen, sondern
sich möglichst lange auf Dächern oder Freiflächen sammeln und langsam
versickern.
Ob die Wirklichkeit aber mit der Vision wird mithalten können, hängt nicht
nur davon ab, ob und wann der BER in Schönefeld eröffnen wird. Zum
Realitätscheck gehört auch, ob der räumliche Puffer zwischen
Industriegebiet und Schumacher Quartier ausreicht, um die Lärmbelastung zu
senken. Weil im Zweifel AnwohnerInnen vor Gericht immer die besseren Karten
haben als ein lärmender Gewerbebetrieb, wollten die Planer ursprünglich nur
2.000 Wohnungen bauen – und das Schumacher Quartier weiter auf Abstand
halten. Nun rückt beides etwas zusammen – auch das ein urbanes Experiment.
Bleiben die Kosten. Hier ist Philipp Boutellier, der Chef der Tegeler
Zukunft, plötzlich doch um Worte verlegen. Welche Kosten mit der Urban Tech
Republic auf Berlin zukommen werden, will und kann er nicht sagen. Nur so
viel: „Wenn alles fertig ist, erwarten wir im Jahr Einnahmen von 300
Millionen Euro. In zwei Jahren könnten die Investitionen dann amortisiert
sein.“
23 Sep 2017
## AUTOREN
Uwe Rada
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des Flughafens Tegel bei knapp über 55 Prozent. FDP will erst Endergebnis
abwarten.
Der TXL-Volksentscheid und die FDP: Ganz so dumm sind die Leute nicht
Man kann die Liberalen nicht für alles bashen. Für den Inhalt des
Volksentscheids, okay. Aber machen sie damit wirklich die Demokratie
kaputt?
Volksentscheid über Flughafen Tegel: Noch Fragen? Aber gerne!
Tegel ist einfach auch ein Ärgernis. Warum, zum Beispiel, entschuldigt sich
kein Politiker für den Flugzeuglärm? Die taz liefert Antworten.
Noch eine Diskussionsrunde zu Tegel: Einer, der den Durchblick hat
In der Urania schienen viele Hundert nur darauf gewartet zu haben, dass
ihnen Ex-Verfassungsgerichtspräsident Helge Sodan die Rechtslage zu Tegel
und BER aufdröselt.
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