| # taz.de -- Kommentar Wahlkampf der SPD: Es ist die Glaubwürdigkeit, stupid! | |
| > Das Profil von Martin Schulz wurde korrigiert, gestutzt und angepasst. | |
| > Nun ist keins mehr übrig. Die Schulz-Strategie der SPD ist nicht | |
| > aufgegangen. | |
| Bild: Martin Schulz ganz nah bei den Menschen. Typisch für ihn: die ausgestrec… | |
| Die SPD hat ihren Kanzlerkandidaten in Grund und Boden optimiert und ist | |
| dabei an der eigenen Naivität gescheitert. Die Genossen werden sich mit dem | |
| Vorwurf auseinandersetzen müssen, die Wähler schlicht und einfach | |
| unterschätzt zu haben. In Zeiten von Facebook, Youtube, House of Cards und | |
| Fake News hat sich die vorauseilende Skepsis in der Bevölkerung gegenüber | |
| „denen da oben“ längst so verschärft, dass einem Politiker inzwischen | |
| erstmal gar nichts mehr geglaubt wird. Der Wähler möchte keine | |
| Gummibärchen, keine Kugelschreiber und weder „an die Hand genommen“ noch | |
| „abgeholt“ werden. | |
| Entscheidend für einen Wahlerfolg sind überzeugende Botschaften und ein | |
| absolut glaubhafter Spitzenkandidat. Kurz vor der Bundestagswahl hat die | |
| SPD beides nicht. Und dabei wird niemand behaupten können, dass die | |
| Deutschen Martin Schulz von Anfang an nicht mochten. Schließlich kannte man | |
| ihn zu wenig, um ihn nicht zu mögen. | |
| Was auch immer Schulz Silvio Berlusconi 2003 im Europäischen Parlament | |
| entgegengeschmettert hat – es hat uns sehr gefallen, dass es Berlusconi | |
| nicht gefallen hat. Und als er in den vergangenen Jahren hin und wieder von | |
| seiner europäischen Wolke in die Niederungen deutscher Polit-Talkshows | |
| hinabgestiegen ist, um einem anerkennenden Publikum aufzuzählen, mit | |
| welchen Staatschefs er noch kurz vor der Sendung telefoniert habe, war | |
| einem der Mann jedenfalls nicht komplett unsympathisch. Man hat ihm den | |
| Macher durchaus abgekauft. | |
| Nicht ganz überraschend schlussfolgerte die SPD also, dass doch in | |
| Deutschland klappen muss, was in Europa gut funktioniert hat. Aber was ist | |
| nach der einstimmigen Wahl zum Kanzlerkandidaten am 19. März passiert? | |
| SPD-Wahlkampf ist passiert. Gut möglich, dass Martin Schulz ein halbes Jahr | |
| nach dem 100-Prozent-Parteitag immer noch den Kopf schüttelt. Nur | |
| inzwischen gewiss nicht mehr aus fassungsloser Begeisterung, sondern eher | |
| aus konsternierter Bestürzung. Sollte es Anfang des Jahres eine | |
| Wechselstimmung gegeben haben, ist die Mehrheit der Deutschen heute | |
| entschlossen, kein neues Auto mit defektem Navigationssystem zu kaufen, | |
| solange die alte Karre am Ende noch überall ankommt. | |
| ## Marke „Mister Europa“ | |
| Die SPD hat die Marke „Mister Europa“ aus Angst, sie könne zu abgehoben und | |
| nicht volksnah wirken, in atemberaubendem Tempo verscherbelt. Würselen | |
| musste her: Seht her, ich bin einer von Euch! Ein Thema, ein Schlagwort: | |
| Gerechtigkeit. Aber nachdem Umfragen dargelegt haben, dass viele Deutsche | |
| ihre Lebenssituation weniger ungerecht empfinden als von der SPD erhofft, | |
| scheint auch Schulz nicht mehr sonderlich scharf auf sein eigenes Thema zu | |
| sein. So tingelt der Schulz-Zug inzwischen deutlich langsamer und beginnt, | |
| die Orientierung zu verlieren. | |
| Fix sucht die Kampagne die sicheren Nummern, die einfachen Mehrheiten und | |
| macht ihren Spitzenkandidaten zur Sprechpuppe des Mainstreams: Wenn wir | |
| Trump doof finden, findet Schulz Trump öffentlich mit uns doof. Wenn wir | |
| Erdogan eine Abreibung verpassen wollen, schiebt Schulz panisch den | |
| Außenminister zur Seite und macht das für uns. Wenn alle Stricke reißen, | |
| ist Schulz auch gerne nochmal nachträglich gegen den Irak-Einsatz der | |
| Amerikaner. Beim Thema Putin ist Deutschland zu gespalten, als dass sich | |
| Martin Schulz laut und ungefragt dazu äußern müsste. Jetzt muss alles | |
| passen. | |
| Eifrig werden auch die letzten Falten in der Rhetorik weggebügelt und bei | |
| öffentlichen Auftritten übertrifft Martin Schulz jedes bekannte Maß an | |
| Gefälligkeit. Er beginnt seine Sätze brav mit „Schauen Sie, …“, um dann… | |
| einem lässigen „übrigens“ gleich den nächsten folgen zu lassen. Er bemü… | |
| sich um die richtige Dosis Lokalkolorit und versucht sich im Schröderschen | |
| Kumpel-Sprech. Er streckt die Brust raus, macht große Schritte und hält | |
| seinem Gegenüber, lange bevor er ihn erreicht, die ausgetreckte, weit | |
| geöffnete Hand hin. | |
| Er lacht gerne laut, weil Merkel das nicht so gut kann. Er spielt gerne | |
| Fußball, weil Merkel das noch weniger kann. Er singt gerne kölsche Lieder, | |
| weil Merkel das sicher nicht kann. Er spricht leiser, wenn es um einen | |
| afghanischen Flüchtling oder den Beruf seines Vaters geht. Er spricht | |
| langsamer, wenn´s wichtig und programmatisch klingen soll. Längst ist es | |
| nicht mehr zu übersehen: Das Profil von Martin Schulz wurde inzwischen so | |
| korrigiert, gestutzt und angepasst, dass keins mehr da ist. | |
| Seinen vorläufigen Tiefpunktpunkt erreichte Schulz im TV-Duell, dem letzten | |
| Moment, in dem er das Ruder hätte herumreißen können. Sein Schlussstatement | |
| wird vom Kanzlerkandidaten so auswendig gelernt vorgetragen, dass die | |
| Fernsehzuschauer zeitweise denken müssen, er habe einen Knopf im Ohr. Da | |
| hilft auch kein künstliches Nachfragen bei den Moderatoren, ob er wirklich | |
| nur 60 Sekunden habe, was einzig darauf abzielte, den Zuschauer glauben zu | |
| lassen, Schulz würde sich das folgende Statement aus dem Ärmel schütteln. | |
| Als Wähler fühlt man sich zu diesem Zeitpunkt im besten Fall nicht ernst | |
| genommen und im schlechtesten Fall vorgeführt. | |
| ## Schulz taugt zum Gartenhaus-Bau, nicht zum Regieren | |
| Dass Schulz im TV-Duell nicht überzeugen konnte, wird auch durch die | |
| Foto-Kampagne nicht aufgefangen. Gerüchten zufolge halten immer noch viele | |
| Autofahrer das aktuelle Wahlplakat von Martin Schulz für eine | |
| Baumarkt-Werbung. Dem überzeugt grinsenden Daumen traut man zweifelsfrei | |
| zu, einem das richtige Werkzeug für den Bau eines Gartenhauses | |
| rauszusuchen, aber hat er auch das Zeug, ein Land zu regieren? Empathie | |
| wird verzweifelt gesucht. | |
| Das Alter von Martin Schulz wird im Übrigen nicht dazu taugen, eine | |
| Wahlschlappe postum zu erklären. Der schrullige Bernie Sanders hat es | |
| schließlich in den USA auch ohne den jugendhaften Obama-Macron-Charme mit | |
| klaren Botschaften geschafft, zur Kultfigur bei jungen Wählern zu werden. | |
| Die Tatsache, dass jeder einzelne strategische Schritt der SPD-Kampagne | |
| komplett durchschaubar war, hat es unmöglich gemacht, Euphorie um Martin | |
| Schulz zu entfachen. Wer beliebig wird, kann eben keine Herzen gewinnen. | |
| Und wer seinen Kanzlerkandidaten lange genug durchs Reagenzglas des | |
| SPD-Marketing-Labors zieht, verliert Wahlen. | |
| 18 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Boeer | |
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