# taz.de -- Konversions-Experte Elsner im Interview: „Heimliche Friedenspolit… | |
> Bremens erster Konversionsbeauftragter Wolfram Elsner über | |
> Demilitarisierung nach Wirtschaftslogik, kollektive Gehirnwäsche und | |
> Pfandrückgabeautomaten. | |
Bild: Ein Schwert wird zum Pflugshar: Konversion | |
taz: Herr Elsner, Sie waren als Bremens Konversionsbeauftragter von 1992 | |
bis 2001 verantwortlich für die zivile Umnutzung militärischer Ressourcen. | |
Inwiefern ist Konversion heute wieder Thema? | |
Die Linke hat Konversion in den letzten Jahren mehrmals wieder auf die | |
Tagesordnung gebracht, die SPD auch auf ihren letzten Landesparteitagen. | |
Bei vielen gibt es offenbar eine wachsende Unzufriedenheit über die | |
militaristische Zwangsläufigkeit, mit der wir heute weltweit in Kriege | |
marschieren. Im Jemen wird gerade ein ganzes Volk ausgelöscht, weil die | |
Saudis denen mit unseren Waffen und deutscher politischer Unterstützung die | |
Wasserversorgung und die Infrastruktur wegbomben. Und wir stehen dabei und | |
wissen, dass diese Waffen auch hier in Bremen produziert werden. Das hält | |
man ja kaum aus. Merkel schweigt, sitzt wie immer alles aus und wirbt | |
stattdessen, wie schön unser Land ist. Das ist doch versuchte kollektive | |
Gehirnwäsche. | |
Was bedeutete Konversion vor 20 Jahren und was heute? | |
Viele denken heute eher an die Umnutzung von Kasernen. Das ist allerdings | |
die langweiligere Seite der Konversion. Hier in Bremen haben wir uns mit | |
der rüstungsindustriellen Konversion beschäftigt. | |
Wie kam es dazu, dass Bremen dafür eigens Ihr Amt des | |
Konversionsbeauftragten schuf? | |
Wir hatten damals eine einmalige gesellschaftliche und politische Basis | |
dafür. Anfang der 1990er gab es noch Auswirkungen der Friedensbewegung. Als | |
dann mit dem Ende des Kalten Krieges ideologisch der Grund zur weiteren | |
Aufrüstung wegfiel und der Bremer Rüstungsindustrie tatsächlich Aufträge | |
wegbrachen, musste man darüber nachdenken, was nun passieren sollte. Die | |
Industrie selbst nahm das als massives Problem wahr. In Bremen gab es | |
bereits eine starke Friedens- und Konversionsforschung an der Uni. Henning | |
Scherf war Mitbegründer der Bremer Stiftung für Friedensforschung und | |
Rüstungskonversion. Friedrich Hennemann als Chef des Bremer Vulkan Konzerns | |
und andere Firmenchefs standen hinter der Idee einer aktiven | |
konversionsorientierten Wirtschaftsstrukturpolitik. Später hatten wir | |
sogar den FDP-Wirtschaftssenator Jäger, danach CDU-Wirtschaftssenator | |
Perschau auf der Seite der Konversionsförderung. | |
Wie lief die Aufrüstung im Kalten Krieg und wie haben Sie versucht, sie zu | |
zivilisieren? | |
Im Kalten Krieg konnten die Generäle sagen: Wir möchten diese und jene | |
Gerätschaften, alles bitte vom Feinsten, Geld spielt keine Rolle. Die | |
Ingenieure haben das dann entwickelt, ohne Rücksichten auf Kosten, Profite | |
wurden draufgeschlagen, und das wurde beim Bundesamt für Wehrtechnik und | |
Beschaffung in Koblenz durchgewunken. Es war eine herrliche Welt für | |
Generäle und Ingenieure. Mit dem Ende des Kalten Krieges fehlte auf einmal | |
der Feind. Tiefe Verunsicherung in Industrie und Politik war die Folge. Das | |
war die Chance für die, die zur Zivilisierung von militärischen Strukturen | |
geforscht hatten. Vorher war alles Trockenschwimmen gewesen. Auf einmal | |
durften wir mit offiziellem Auftrag Licht, kostengünstige gängige IT und | |
den Wind moderner ziviler Unternehmensentwicklung in die Rüstungsbetriebe | |
lassen. Einige Unternehmen kamen uns entgegen und ernannten ihrerseits | |
betriebliche Konversionsbeauftragte auf Geschäftsführungsebene, die unsere | |
Gesprächspartner waren. Wir stießen auf eine erfreuliche bereits gewachsene | |
Bereitschaft zur Konversion. | |
Würden Sie rückblickend sagen, Ihre Arbeit war erfolgreich? | |
Ja, war sie. Ingenieure haben oft von sich aus Ideen entwickelt, die von | |
den Firmenchefs abgenickt wurden. Wir haben in einem Dutzend Betriebe weit | |
über 60 sinnvolle betriebliche und einige infrastrukturelle Projekte | |
entwickelt. Zum Beispiel gemeinsame spezielle Transferstellen für | |
internationale Konversionskooperation und Umweltschutztechnologien. Mir | |
standen senatorische Fachleute und die Bremer Innovationsförderung mit | |
guten Ingenieuren zur Seite. Ein Bremer Konversionsbeirat begleitete den | |
Prozess und sicherte die Rahmenbedingungen. Mit runden Tischen mit Firmen | |
haben wir damals regionales „Networking“ erfunden. Es funktionierte, weil | |
die meisten Geschäftsleitungen von Rüstungsfirmen mitmachten. | |
Haben Sie mal ein Beispiel für eine erfolgreiche Rüstungskonversion? | |
Die Ingenieure und Techniker der stark elektronisch ausgerichteten Bremer | |
Rüstungsindustrie waren in Bereichen extrem weit. Das Problem war, etwas | |
Nützliches daraus zu machen, was zivile Bedarfe deckte – eine Gratwanderung | |
zwischen Hightech und Verkaufbarkeit. Aber noch heute muss ich lächeln, | |
wenn ich im Supermarkt den leeren Getränkekasten in den Rückgabeautomaten | |
stelle. Die automatische Muster- und Bild-Erkennung fing damals in Bremen | |
in einem Konversionsprojekt an. Die Laser-, Sonar- und Magnet-Techniken | |
finden sich heute im Supermarkt oder bei automatischer Mülltrennung. Heute | |
sprechen wir von Datenanalyse, künstlicher Intelligenz und Algorithmen. | |
Aus damaligen Senatsvorlagen geht hervor, dass in Bremen 15 Prozent der | |
rüstungsabhängigen Arbeitsplätze bis 2000 konvertiert worden sind, der | |
größte Teil davon, 12,4 Prozent, allerdings ohne öffentliche Förderung. | |
Ebenso sind Vulkan und DST in dieser Zeit pleitegegangen. Das klingt nicht | |
so, als wenn das Programm sehr erfolgreich gewesen wäre. Wie erklären Sie | |
das? | |
Wenn eine Firma pleitegeht, heißt das nicht, dass die Strukturwirkungen bei | |
den konvertierten Produkten und in der Qualifikation der Menschen verloren | |
sind. Es haben sich ja Dutzende von Ingenieuren, Technikern und Kaufleuten | |
mit Konversionsprodukten in Bremen selbständig gemacht. Die Pleite des | |
Vulkan ist ja aufgearbeitet und hatte wohl eher mit Entscheidungen auf | |
Bundes-, EU- und Bankenebene zu tun, den deutschen Schiffbau in Hamburg neu | |
zu konzentrieren. Dem Vulkan hat man einfach Kredite gesperrt, die man | |
anderen weitergewährt hat. Vielleicht auch eine Bestrafung für sein | |
Konversionsengagement. Auch die DST wurde eher Opfer des | |
Konzentrationsprozesses. Wir konnten da nicht helfen. Unser Gesamtbudget | |
über zehn Jahre hinweg war ja nur gut 50 Millionen DM, also Portokasse für | |
eine Marinewerft wie etwa Lürssen. | |
Man könnte auch sagen, Sie haben einer sterbenden Todesindustrie bei ihrer | |
Modernisierung geholfen. Bereuen Sie das? | |
Wenn die gesamtpolitischen Bedingungen sich ändern, kann jeder | |
fortschrittliche Ansatz ins Gegenteil kippen. Die Technologien, die wir | |
unterstützen, waren immer Dual-Use, also Militärtechnologie, die für zivile | |
Zwecke nutzbar ist, aber eben auch umgekehrt. Gegen Ende der 1990er hatten | |
wir die Bremer Rüstungsindustrie messbar weniger rüstungsabhängig gemacht | |
und stabiler in zivilen Märkten verankert. Das ist dokumentiert in | |
Statistiken und Aufsätzen wie den [1][“Bremer Schriften zur Konversion“]. | |
Natürlich ist es schade, dass all das in Bremen auslief und in Teilen | |
wieder zusammenbrach, weil wieder Aufrüstung und Krieg angesagt war. Jetzt | |
muss die Freiheit und Sicherheit unseres Ressourcenverbrauchs am | |
Hindukusch, in Mali, Sudan, Irak, Kosovo, im Mittelmeer und Syrien | |
verteidigt werden. Das bedeutet aber nicht, dass ich unsere | |
Errungenschaften im Nachhinein anders bewerte. Wir haben gezeigt, dass es | |
geht, und unter welchen Bedingungen. | |
Gibt es heute in der Forschung noch den friedenspolitischen Anspruch der | |
80er? | |
Es gibt an den Unis eine kleine Bewegung von Forschern und Studierenden zur | |
sogenannten Zivilklausel für Forschung und Lehre. Ein gutes Dutzend Unis | |
und Institute haben diese inzwischen. Ausgerechnet die Bremer Hochschule | |
aber hat sich jüngst mit einer Ausbildungskooperation mit den Militärs | |
profiliert – für Frauen im künftigen Cyberwar der Bundeswehr. Ich halte | |
etwa auch das Bonner Zentrum für Konversionsforschung inzwischen für | |
militär-nah. Konversionsforscher, die dort in Rente gingen, wurden nicht | |
ersetzt. Früher gab es einen ausgeprägten friedenspolitischen Impetus im | |
BICC. Ich saß da Ende der 1990er ein paar Jahre im Beirat – später war | |
ihnen das peinlich. Inzwischen sind sie bei Nato und Bundeswehr „embedded“. | |
Sie machen immer noch verschiedene erfreuliche Projekte, etwa zu | |
Kindersoldaten in Afrika oder Kleinwaffen in Kriegsgebieten, machen aber | |
keine Rüstungskonversion mehr in Deutschland, wo es Ärger geben würde. Das | |
ist politisch nicht mehr gewollt. Wir wissen ja, dass die Bundeswehr | |
überall nur Mädchen befreit und Brunnen baut. Verzeihen Sie meinen | |
Sarkasmus … | |
Wie kam es aus Ihrer Sicht zur Abkehr von der Konversion? | |
Unsere Arbeit war einer historisch einmaligen internationalen, nationalen | |
und bremischen gesellschaftlichen und politischen Konstellation zu | |
verdanken. Und Bremens politische Entscheidungsstruktur und Kleinheit waren | |
eben hocheffektiv: Man konnte alle politisch wichtigen Leute innerhalb von | |
fünf Minuten treffen. Einmal über den Marktplatz und schon läuft das mit | |
der Koordination und dem Networking. Der heutige Bürgermeister Carsten | |
Sieling hat Ende der 1990er bei mir zur [2][strukturpolitischen | |
Rüstungskonversion in Bremen und Lancashire], England, promoviert. Bremen | |
war der einzige Ort in der EU, wo industriepolitische Rüstungskonversion | |
überhaupt funktioniert hat. Wir haben es geschafft, Rüstungsfirmen an den | |
Tisch zu bekommen, sie dazu zu bringen, ein Risiko einzugehen, das wir aber | |
durch verbindliche regionale Koordination reduzieren konnten. | |
Wie holten Sie die Rüstungsindustrie ins Boot? | |
Wir konnten in einer Situation tiefster Verunsicherung der Firmen mit der | |
Kombination von bremischen, nationalen und EU-Mitteln, mit lokaler | |
politischer Unterstützung und durch gegenseitige Verpflichtungen der | |
Unternehmen mitzumachen, erste Orientierungen schaffen. Der | |
Industriestandort Bremen war bedroht, und es ging darum, die | |
Standortbedingungen zu verbessern. Wer mitmachte, bekam bestimmte Infos zur | |
Förderung schneller – von uns. Wir wussten, was konkret in Planung war, in | |
den EU-Gemeinschaftsinitiativen für Rüstungsregionen. Es gab am Ende eine | |
Analyse der EU, die zu dem Schluss kam, dass Konversion nur in Bremen und | |
ansatzweise Lancashire erfolgreich war. Oder wie es Jacques Delors mal in | |
Brüssel sagte: „Wenn sie wissen wollen, wie man Geld aus Brüssel bekommt, | |
fragen sie die Bremer.“ | |
Man könnte auch sagen, sie haben geholfen, die heutige Rüstungsindustrie zu | |
modernisieren und ihr Fördergelder aus der EU zu verschaffen. | |
Die Größenordnung der Fördergelder war für die meisten nur Portokasse. Die | |
gegenseitige regionale Verbindlichkeit war da mehr wert. Was am Schluss für | |
mich das Beeindruckendste war: Wir konnten ansatzweise das Auto umbauen, | |
während es fuhr. Und, als unser Programm auslief, riefen mich viele | |
Ingenieure an und sagten: Wir wollen das zivile Projekt nicht aufgeben und | |
wollen uns damit selbstständig machen. Gegen Ende haben wir unseren | |
Schwerpunkt auf Existenzgründung gelegt und einigen Rüstungsingenieuren | |
beim Ausstieg geholfen. Es zeigte sich, dass viele Ingenieure, Techniker | |
und Facharbeiter moralische Not hatten, weiter zu machen mit | |
Rüstungsentwicklung, nachdem sie eine Zeitlang zivil gearbeitet hatten. | |
Da hält sich mein Mitleid aber in Grenzen… | |
Bei mir war das früher ähnlich: Ich dachte immer, das sind alles coole | |
Leute, die es geil finden, höchsteffektive Waffen zu bauen. Aber viele von | |
denen hatten seelische Not. Die konnten da nicht einfach raus: Das, was sie | |
gut konnten, war nicht komplett übertragbar auf Ziviles. Und sie hatten | |
keine Ahnung von Betriebswirtschaft, Rechnungswesen oder Marketing. Wir | |
mussten sie auch unternehmerisch schulen, damit sie da raus konnten. Da | |
haben in Bremen viele mitgeholfen, das Rathaus, der Arbeitssenator, der | |
Umweltsenator, Weiterbildungseinrichtungen und weitere. | |
In Bremen sollte sogar mal ein Institut für Konversionsforschung entstehen: | |
Warum kam es nicht dazu und gab keine öffentlichen Gelder für Konversion | |
mehr? War es Bremen nicht mehr wichtig? | |
Aus dem an der Uni angestrebten Institut für Rüstungskonversion wurde dann | |
meine Professur für Strukturforschung einschließlich Rüstungskonversion. | |
Nach ein paar Jahren aber merkte jeder: Die Zeiten hatten sich geändert, | |
Konversionsforschung trocknete einfach aus, weil es großpolitisch nicht | |
mehr gewollt war. | |
Was bleibt heute noch von Konversion? | |
Übrig bleibt die historische Erfahrung, dass Konversion funktionieren kann. | |
Aber selbst unter den günstigen bremischen Bedingungen ist es als | |
friedenspolitisches Projekt nicht gelungen. Bewegt hat sich nur etwas in | |
„technokratischer“, eben industriepolitischer Hinsicht. Einige sagen, das | |
war revolutionär, was damals in Bremen passiert ist. Aber das war es nicht. | |
Das war Wirtschaftsförderung, kein moralisch-politisches Wollen. Für einige | |
Beteiligte war es höchstens heimliche Friedenspolitik. | |
18 Sep 2017 | |
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Sigmar Gabriel | |
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