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# taz.de -- Autorenporträt Jonis Hartmann: Der Spätzünder
> Jonis Hartmann hat schon immer geschrieben, nur zeigte er seine Texte
> lange niemanden. Irgendwann traute er sich, bekam Preise und gründet
> jetzt eine Literaturzeitschrift.
Bild: Wagte sich mit seinen literarischen Texten erst spät aus der Deckung: Jo…
Man kann ohne Übertreibung sagen: Jonis Hartmann hat seit zwei Jahren einen
guten Lauf. Er war letztes Jahr Stipendiat im Künstlerhaus Eckernförde, war
im Herbst für einen Monat schreibender Gast im Literaturhaus der Stadt
Pazin, die liegt in Istrien und somit in Kroatien. Gerade hat er ein
Manuskriptstipendium vom Land Schleswig-Holstein. Er ist in Hoisdorf im
Kreis Storman aufgewachsen und etwas weiter weg in Trittau zur Schule
gegangen. Außerdem wird die Handlung des anvisierten Textes in
Schleswig-Holstein spielen.
Er schreibt Kurzprosa, Lyrik, knappe Erzählungen. Er verfasst Rezensionen
(über Literatur, aber auch über Architektur). Er übersetzt, ist einer von
fünf Köpfen der Gruppe Foundintranslation. Er organisiert Lesungen wie die
Reihe Ahab, die örtliche Autoren vorstellt, und die Reihe Hafenlesung, die
das Sujet des Hafens als Ort, wo Menschen aus allen möglichen Ländern
zusammentreffen, ernst nimmt, und nach drei Jahren Literaten aus Somalia
und Indien, aus Indonesien und Brasilien, aus Russland und Schweden
vorweisen kann.
## Googlebar erst seit 2014
Sein Schreibtisch steht im [1][Writers Room], einer Arbeitsetage für
Autoren in Hamburg-Bahrenfeld, die von einem Verein getragen wird. Letztes
Jahr war er dessen Vorsitzender. Er schaut schon jetzt auf kommende
Projekte bis ins Jahr 2019 hinein. Er sagt: „Wenn ich morgens aufwache,
weiß ich gleich, was ich zu tun habe, jeden Tag.“ Er schläft gern, und er
schläft auch gern lange. Er sagt: „Ich bin eigentlich immer entspannt.“ Und
er sagt: „Wenn man vor 2014 nach mir gegoogelt hätte, es wäre nichts
herausgekommen, absolut nichts.“
Wir sitzen im Norwegerheim, einem Café und Restaurant im Schanzenpark im
Hamburger Schanzenviertel. Er wohnt um die Ecke. Es ist grün hier, voller
Bäume und Büsche und Sträucher, deren Zweige sich spätsommerlich blattreich
gestärkt fast bis auf den Boden biegen, und es ist laut. Gleich nebenan
trennt eine vierspurige Straße den Park vom Uni-Viertel und der beginnende
Feierabendverkehr legt ein sonores Brummen über die Szenerie, als würden
wir direkt neben einem Umspannwerk sitzen. Was passt: die Inszenierung von
Stadtgrün durch echte Pflanzen und der nie endende Sound der Großstadt als
musikalische Beschallung. Eine Art Bühnensituation also – und mit Bühnen
kennt sich Jonis Hartmann aus.
„Ich habe nicht Germanistik studiert, wie viele schreibende Kollegen,
absolut null“, erzählt er. Was nicht heißt, dass er nicht geschrieben hat.
Schon immer hat er das. Nur hat er es früher niemandem gezeigt, wirklich
keinem. Stattdessen zog es ihn zur Architektur. Er studierte das Fach,
arbeitete in Architekturbüros, zuweilen Vollzeit, war auch selbstständig
unterwegs, promovierte. „Wiederkehr und Mehrdeutigkeit – Entwurfswerkzeuge
der Architektur“ ist der Titel seiner Doktorarbeit.
## Bedürfnis nach Feedback
Irgendwann begann er damit, Texte an kleine und kleinste
Literaturzeitschriften zu schicken, und sie wurden gedruckt oder auch
nicht. Aber es gab kein fassbares Feedback und das brauchte er langsam.
Rüdiger Käßner, Veranstalter und Autor, der in Hamburg Web-Lesungen
organisiert und ganz früher, es scheint unendlich ewig her, das
Literaturtelefon betreute, wo man eine Nummer anrief und vom Band eine
Stimme einen Text las, während man einen Telefonhörer in der Hand hielt,
bekam Texte von Hartmann zu lesen. Und fast gleichzeitig wurde Hartmann
Mitglied im [2][Forum Hamburger Autoren und Autorinnen], das dafür berühmt
ist, dass hier genaue bis genauste Textarbeit und Textkritik gepflegt wird,
und aus dem Schriftsteller und Schriftstellerinnen wie Karen Köhler, Karen
Duve und Mirko Bonné hervorgegangen sind.
„Ich war Ende der Zwanziger, mein Coming-out als Schriftsteller war spät“,
sagt Hartmann. Zu diesem Zeitpunkt konnte er auf eine Erbschaft
zurückgreifen. Die er – je nach Standpunkt – verbriet oder investierte.
„Interessierte mich eine Lesung in München, bin ich in den Zug gestiegen
und nach München gefahren“, sagt er. Das macht er heute nicht mehr, könnte
er auch so nicht mehr. Heute verlangt er selbstverständlich ein
Lesungshonorar, erwartet, dass der Veranstalter die Fahrtkosten begleicht
oder dass man zumindest irgendeine befriedigende Lösung findet.
Aber damals nahm er alles mit, was er lesen und hören konnte, während er
sich immer mehr von der Architektur verabschiedete. Denn beides zugleich
oder eines nebenher – das ging nun mal nicht. „Architektur ist so komplex,
so fordernd, ich wollte lieber meine Energie für das Schreiben nutzen“,
sagt er. Und: „Bei architektonischen Projekten hast du so viele
Zwischenschritte, so viele Leute, mit denen man sich absprechen muss, auch
Leute über dir.“ In der Literatur aber redet ihm keiner mehr rein. Er sagt
rückblickend: „Ich war in der Architektur nicht mehr so ambitioniert, wie
ich sein kann.“
## Klärung auf der Weltreise
Es gab durchaus diesen einen Punkt, wo sich das alles klärt – wie oft auf
wundersame Weise: Da war Jonis Hartmann gerade unterwegs, hat alles
genommen, was noch an Reserven da war und ist auf Weltreise gegangen. Er
stand in einem Internetshop in Indien, als er diese eine Nachricht erhält:
Er hat einen der Förderpreise für Literatur der Stadt Hamburg des Jahres
2014 gewonnen.
„Ich konnte mich in dem Moment gar nicht so recht erinnern, was ich
überhaupt an Texten eingereicht hatte“, erzählt er. Noch daheim hatte er
mit einer Freundin gescherzt: „Bekomme ich den Preis, nimmst du ihn für
mich entgegen.“ Und so kam es tatsächlich: Er war noch unterwegs, sie las
an einem kalten Dezemberabend seine literarischen Miniaturen. „Und da
wusste ich: Es ist nicht falsch, was ich mache“, sagt er.
„Ich habe noch nicht den großen Roman geschrieben, der steht im Raum“, sagt
er, und er könnte jetzt gut mit den Händen in der Luft einen großen Ball
skizzieren, der gefüllt werden will – um gleich darauf festzustellen: „Die
Lyrik und die Kurzprosa entspricht derzeit meinen Interessen.“ Miniaturen,
die Titel tragen wie „Adé“ oder „Depri“ oder „Win win“, oft nicht …
sechs, sieben, acht Zeilen lang. Die von hochkonzentrierten Alltagsmomenten
erzählen – getragen von einer sensiblen Komik und die zuweilen wie
musikalische Improvisationen daherkommen , schließlich hat er hat lange in
Bands gespielt. Aus dem Forum ist er jüngst wieder ausgetreten: Wenn es
mehr und mehr wird, was du tust und was du tun willst, wenn nicht du die
Projekte initiierst, sondern die Projekte dich finden, dann musst du dich
auch von Projekten trennen – an diesem Punkt ist er jetzt angekommen.
## Als nächstes eine Zeitschrift
Demnächst startet er mit langjährigen Mitstreitern aus dem Writers Room und
dem Forum ein neues Projekt, sie arbeiten bereits daran und das
Literaturreferat der Kulturbehörde unter seiner neuen Leiterin Antje
Flemming wird es fördern: eine Literaturzeitschrift. [3][Tau] wird sie
heißen. Tau wie der griechische Buchstabe, Tau wie das Tau, zu dem man auch
dickes Seil sagen könnte. Tau nach den Tautropfen, die morgens auf den
Wiesen vor sich hin glitzern. Diese Idee ist letztlich das Resultat eines
Besuches der belgischen Literaturzeitschrift Deus ex Machina, deren
Redaktionsmitglieder sich in Hamburg umschauten, beim Forum landeten und
sich wunderten, warum eine solide Stadt wie Hamburg keine solide
Literaturzeitschrift vorweisen kann.
„Wie wir so sind, haben wir uns gesagt: Na, dann machen wir doch eine
Literaturzeitschrift“, sagt er. Ganz so unbedarft sind sie dann allerdings
doch nicht an die Sache herangegangen. Sie haben sich ein Konzept überlegt,
schon mal eine Homepage geschaltet, über die Höhe der Auflage nachgedacht,
eine Druckerei gebucht. Im Februar nächsten Jahres soll Tau erstmalig
erscheinen. Das Motto oder Thema, zu dem jetzt Texte aller Arten gesucht
werden, lautet: akute Langwaffen.
5 Sep 2017
## LINKS
[1] http://www.writersroom.de/
[2] https://www.forum-hamburger-autoren.de/
[3] http://tau-texte.de/
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
deutsche Literatur
Kulturförderung
Hamburg
Literatur
Literaturbetrieb
Literatur
Filmkritik
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