# taz.de -- Autorin Marie-Alice Schultz im Porträt: In allen Disziplinen unter… | |
> Die Hamburger Schriftstellerin, Künstlerin und Performerin Marie-Alice | |
> Schultz stellt jetzt die von ihr mit gegründete Literaturzeitschrift | |
> „Tau“ vor. | |
Bild: Hat den Literaturkurs in Klagenfurt als „wahnsinnig geschützt“ empfu… | |
Sie sehe sich an der Schnittstelle zwischen Text und Zeichnung, hat | |
Marie-Alice Schultz ihre Arbeit einmal selbst beschrieben. „Zeichnen“ heißt | |
für die Hamburgerin dabei nicht nur zeichnen auf Papier, sondern auch im | |
Raum, mit Performances und Installationen. Schultz spricht von „urbanen | |
Interventionen“ wie der Performance „Arcmenistan (Erkundungen für einen | |
neuen Staat)“, in der sie in Hamburg und Wien im pinken Overall und mit | |
einer Fahne durch die Stadt lief und Möglichkeiten, Grenzen und Freiräume | |
auskundschaftete. | |
Seit 2008, nach einem Abschluss in Theaterwissenschaften und Germanistik in | |
Berlin und einem anschließenden Studium der bildenden Kunst in Wien, | |
schreibt Schulze und stellt aus, unter anderem in Hamburg, Wien, Paris und | |
München. 2017 hat sie den Literatur-Förderpreis der Kulturbehörde bekommen | |
und schreibt gerade an ihrem ersten Roman „Mikadowälder“. | |
„Nach meinem ersten, sehr zitatlastigen Studium hatte ich das Gefühl, ich | |
will was mit meinen Händen machen“, erläutert die 37-Jährige. Und so machte | |
sie zunächst Performances und Installationen, in denen oft Texte | |
eingebunden waren. | |
## Projekt mit Eigendynamik | |
In „Short Stories Surrounding Beds“ projizierte sie kurze Texte auf ein | |
weißes Kopfkissen, in der Arbeit „Texture“, die sie in Paris und im | |
Tanzhaus Düsseldorf zeigte, band sie mit beschriebenen Papierrollen ein | |
spinnenähnliches Netz in den Raum. Die Besucher folgten beim Lesen den | |
Windungen der Rolle. | |
Oft hat sie dabei in Kollaborationen gearbeitet, etwa als „Harder & Schultz | |
Duo“ mit der Performerin Joy Harder. Sie ist Teil des „Forums Hamburger | |
Autorinnen und Autoren“ und hat mit Jonis Hartmann, Nathalie Keigel und | |
Sascha Preiß die Literaturzeitschrift Tau gegründet, die am 22. März im | |
Mindspace am Rödingsmarkt vorgestellt wird. | |
2014 und 2015 hatte sie mit Joy Harder das „Künstlerische Bedarfsbüro“, | |
eine Telefonhotline für Künstler in der freien Szene eingerichtet und | |
gefragt wo es denn überall Mangel gebe: Neben Geld mangelte es an Proben- | |
und Aufführungsräume und an genügend Zeit, Produktionen zu realisieren. | |
Mit der Zeit bekam das Projekt eine Eigendynamik, wie Schultz erzählt: „Ein | |
Künstler kam aus der Architektur und wollte ein Geländer konzipieren, an | |
dem sich Tänzer bewegen, und das Geländer sollte sich aufgrund der Bewegung | |
ummodellieren.“ Er wollte Choreographie-Tipps haben. | |
„Das hat mich wahnsinnig interessiert, weil das in Bereiche ging, die ich | |
nicht kannte“, sagt Schultz. Sie schätze das Arbeiten in Netzwerken und | |
Kollektiven nicht nur im Hinblick auf die künstlerische Produktion: „Ich | |
mag es, wenn man Leute zusammenbringt.“ | |
## Übersetzerin zwischen den Medien | |
„Ich habe mich nie für eine Kunstform entscheiden können und verstehe mich | |
auch eher als Übersetzerin zwischen den Medien“, sagt Schultz. Wie sie ihre | |
künstlerischen Ideen realisiere, hänge oft vom Ort ab. „Ich gucke mir den | |
Raum an und sehe dann, ob ich da etwas reinbaue, reinprojiziere oder mit | |
einer Soundspur arbeite.“ | |
Oft ist der Entstehungsprozess einer Arbeit Teil der Arbeit selbst, wie in | |
den „Bahnprotokollen“, in denen sie sich mit einer Schreibmaschine in die | |
S-Bahn zwischen Köln und Essen setzte und auf der Fahrt Texte verfasste, in | |
denen sie beschrieb, was sie auf der Fahrt beobachtete. | |
Auch ihre Inspiration zieht sie aus unterschiedlichsten Quellen: Die | |
Installation „Schwarm“ basierte auf Kai von Eikels Essay „Schwärme, Smart | |
Mobs, verteilte Öffentlichkeiten. Bewegungsmuster als soziale und | |
politische Organisation?“. Während eines Schreib-Aufenthaltes in Lauenburg | |
habe sie oft das neue Charlotte-Gainsbourg-Album „Rest“ gehört: „Es gibt | |
den Song ‚Lying with you‘, in dem sie ihren aufgebahrten Vater beschreibt | |
und so wahnsinnig offen ist. | |
Es hat mich fasziniert, dass man mit Sprache so an der Kante ist, dass es | |
fast roh und schonungslos körperlich und gleichzeitig so sympathisch ist.“ | |
Manchmal frage sie sich auch, wie sie ein Wort in eine Zeichnung übertragen | |
könne. | |
## Familie als Mikado-Spiel | |
Dass ein Roman eine eher konventionelle materielle Form hat, findet sie ein | |
bisschen schade. „So ein Buch hat ein vorne und hinten, wie soll man da | |
Gleichzeitigkeit ausdrücken? Da bräuchte man Schatullen.“ | |
In „Mikadowälder“ geht es um einen elfjährigen Protagonisten, der | |
Holzkisten unterschiedlicher Größen baut, bei denen nicht ganz klar ist, | |
was er eigentlich damit möchte: Befüllen tut er sie nämlich nicht. | |
„Eigentlich sind diese Kisten wie Kapitel, die immer etwas aufmachen, wie | |
eine Erinnerungsbox. Und darum herum gruppiert sich die Familie.“ | |
Familie spielt auch im Bild der Mikadowälder eine Rolle: „Dieses | |
Mikado-Bild heißt für mich, dass sich alle aneinander lehnen und das eine | |
Struktur ergibt, und sobald man einen Mikado-Stab rausnimmt, verändert sich | |
diese Struktur.“ | |
## Wichtig sind kleine Beobachtungen | |
Eine Herausforderung besteht für sie auch darin, dass die Entwicklung eines | |
Plots nicht unbedingt ihr zentrales Anliegen ist. „Bei mir geht es um | |
kleine Beobachtungen, ich finde es wahnsinnig schwierig, einen | |
Spannungsbogen zu bauen.“ | |
Einen Verlag hat sie noch nicht gefunden. Fühlt sie mehr Druck im | |
Literaturbetrieb, der zwar ganz andere finanzielle Mittel hat als die | |
Performance-Szene aber auch andere Anforderungen an Verkäuflichkeit und | |
Marktkonformität? | |
Schultz hat 2016 im Rahmen des Bachmannpreises am Literaturkurs in | |
Klagenfurt teilgenommen, den sie als „wahnsinnig geschützt“ bezeichnet. | |
„Aber die Wettbewerbssituation hat man natürlich schon mitbekommen“, | |
erzählt sie. „Da stehen ja auch Agenturen dahinter, dass man das Gefühl | |
hat, die seien wie Fußballvereine, die ihre Autoren ins Rennen schicken und | |
gegeneinander antreten lassen.“ | |
Erfolgsdruck verspüre sie selber insofern, als sie wolle, dass der Roman | |
erscheint. „Aber ich bin nicht bereit, alles dafür zu tun. Der Text wird | |
sein, wie er ist.“ Schultz geht davon aus, dass man in der Kunst eine | |
Haltung haben muss. „Ich will nichts Schönes produzieren. Im besten Fall | |
verrücke ich einen kleinen Gedanken im Kopf eines anderen. Das ist mein | |
Ziel: dass es durch die Kunst nachher nicht so ist wie vorher.“ | |
20 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Hanna Klimpe | |
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