Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Begegnung mit der Autorin Silke Stamm: Verdichtete Unschärfe
> Silke Stamm ist studierte Mathematikerin und sie schreibt. Gerade erst
> wurde die Hamburgerin für ihre Prosa-Miniaturen ausgezeichnet.
Bild: Immer aneinander vorbei: Silke Stamm
Das menschliche Leben sei „schon sehr schmutzig“, sagt Silke Stamm. „Es i…
aber auch sehr spannend!“ Dabei kreist das Gespräch doch gerade um die
Mathematik, um die Schönheit mathematischer Beweise. „Ein schöner Beweis
ist einer, der sehr klar ist“, sagt Stamm. Und: „Am schönsten ist es, wenn
Beweise verschiedene Dinge zusammenbringen wie Geometrie und Zahlentheorie“
Und ein hässlicher? „Ein hässlicher Beweis ist einer, der umständlich ist
und der Umwege geht, die er nicht gehen müsste; einer, der über
Stoppelfelder führt.“
Silke Stamm, aus dem Schwarzwald vor langer Zeit nach Hamburg gekommen und
geblieben, ist Schriftstellerin, Diplommathematikerin, auch Physik hat sie
studiert. Verdient nun ihr Geld als Mathematiklehrerin, wobei sie
einschränkt: „Als Mathematiklehrerin habe ich mehr mit den Menschen als mit
der Mathematik zu tun.“ Und ja – manchmal vermisse sie die reine
Mathematik.
Vor ihr liegt ihr Buch: „Besser wird es nicht“, Untertitel: „Achtundneunz…
Arten, eine Antwort zu erhalten“. Texte, Geschichten, hoch destillierte
Beschreibungen von Alltagsszenen. Oftmals lediglich eine halbe Seite lang,
der längste Text: dreieinhalb Seiten. Am Ende des Satzes, der ein Text
geworden ist, ein Punkt; zwischendurch hier und da ein Semikolon.
Miniaturen? Trifft es nicht exakt. Kurzgeschichten? Dazu sind viele viel
zu kurz und auch zu eigensinnig. Miniprosa? Das klingt nach schrecklich
antiquiertem Deutschunterricht à la 1960er-Jahre. Und außerdem spinnt Stamm
ein feines Netz aus Motiven und Handlungssträngen, lässt Personen auf- und
abtauchen, dass sie uns irritierend überraschen, komponiert einen ganz
eigenen Sound, der nach Auf- und Abbruch, nach Gelingen und möglichem
Scheitern klingt.
Da wird eine Reise mit einem Frachtschiff unternommen, eine Fahrradtour
durch Mecklenburg-Vorpommern. Menschen treffen sich und reden, auch
aneinander vorbei. Eltern leben mit ihren Kindern, die später selbst als
Eltern mit den eigenen Kindern wie den eigenen Eltern hadern. Klug haben
Verlag und Autorin es vermieden, auf dem Einband eine Genrebezeichnung
abzudrucken.
Und darum geht es inhaltlich – unter anderem: um eine Familie, die ein Kind
verliert und weiterlebt – ein heftiger Einstieg, der nachhallt. Freundinnen
berichten sich sehr Persönliches und rätseln hinterher, ob sie überhaupt
Freundinnen sind, so nachlässig wie die anderen auf das Erzählte reagiert
haben.
Von einer Frau wird erzählt, die auf Partys immer wieder einen Mann trifft,
der daheim ein schwer krankes Kind hat – und sie weiß nicht, ob das noch
etwas werden könnte mit ihnen beiden. Aber sie kann sich auch nicht
entscheiden, es einfach sein zu lassen, so aussichtslos wie es aussieht.
Die Männer kommen nicht gut weg, die Frauen aber auch nicht. Wobei die
Autorin selbst ihren oft so orientierungslosen und also immer wieder aufs
neue suchenden Helden und Heldinnen gegenüber gnädig ist: „Jede Beziehung,
auch wenn sie einen Namen und einen amtlichen Stempel hat, bleibt in der
Schwebe; kann am nächsten Tag ganz anders weitergehen“, sagt sie. „Was man
sich wünscht, geht nie hundertprozentig in Erfüllung. Im Prinzip ist jeder
Mensch allein.“ Was Stamm gar nicht pessimistisch meint, sondern als
Ermunterung, Fehler zu machen. „Das Unscharfe“, sagt sie, „das das
Zwischenmenschliche immer hat, ist besonders spannend – und man kann es
nicht auflösen.“
Was beeindruckt, ist die dichte Konsistenz von Stamms Texten, ihre
sprachliche Exaktheit. „Als ich das erste Mal nach der Geburt meiner
Tochter wieder geschrieben habe, entstanden auf einen Schlag drei kurze
Texte“, erzählt sie. Sie stellt sie beim wöchentlichen Treffen des Forums
Hamburger Autoren und Autorinnen vor, bei dem sie Mitglied ist und das sie
bestärkt, einfach weiterzuschreiben. „Ich habe zwar an den einzelnen Texten
lange gefeilt, was man hoffentlich merkt, aber es war nie so, dass ich groß
wieder reinkommen musste“, sagt sie nun. Dieser Nähe zu ihren Texten ist
sie treu geblieben, Text für Text.
Silke Stamm: „Besser wird es nicht. Achtundneunzig Arten, eine Antwort zu
erhalten“, Punktum 2017, 152 S., 20 Euro
„Teatime-Lesung“ im Literaturzentrum Hamburg: So, 29.10., 17 Uhr,
Literaturhaus
28 Oct 2017
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Literatur
Literatur
## ARTIKEL ZUM THEMA
Autorin Marie-Alice Schultz im Porträt: In allen Disziplinen unterwegs
Die Hamburger Schriftstellerin, Künstlerin und Performerin Marie-Alice
Schultz stellt jetzt die von ihr mit gegründete Literaturzeitschrift „Tau“
vor.
Ein Blick ins Literatur-Jahrbuch: "Keine Lust, nur Gedichte zu lesen"
Seit über 20 Jahren gibt es das "Hamburger Jahrbuch für Literatur", kurz:
den "Hamburger Ziegel".
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.