| # taz.de -- Ein Blick ins Literatur-Jahrbuch: "Keine Lust, nur Gedichte zu lese… | |
| > Seit über 20 Jahren gibt es das "Hamburger Jahrbuch für Literatur", kurz: | |
| > den "Hamburger Ziegel". | |
| Bild: Immer aneinander vorbei: Silke Stamm | |
| HAMBURG taz | Jürgen Abel setzt sich an den Tisch. In seiner Wohnküche | |
| dämmert es, er schaltet das Licht an, er setzt sich wieder. Abel legt die | |
| Hand auf ein dickes Buch und sagt: „Ich mag den neuen Ziegel sehr gerne, es | |
| ist ein sehr guter Ziegel geworden – wobei man das eigentlich immer sagt.“ | |
| Er steht wieder auf, verschwindet im Nebenzimmer, kommt mit der Nummer 13 | |
| zurück: „In diesem Ziegel gibt es richtige Fehler.“ Nämlich? „Zu viel | |
| Bildmaterial hineingestreut, das nicht passt und da nicht hingehört.“ | |
| Seit 1992 schon gibt Abel, Lektor und Germanist, zusammen mit Wolfgang | |
| Schömel, Schriftsteller und Literaturreferent der Hamburger Kulturbehörde, | |
| den Ziegel heraus, in der Regel alle zwei Jahre und meist pünktlich zur | |
| Frankfurter Buchmesse. Anfangs war noch Robert Galitz mit dabei, dessen | |
| Dölling & Galitz Verlag in Hamburg saß, mit einer Nebenstelle in München. | |
| Heute ist das umgekehrt, Galitz dem Projekt als Verleger aber weiterhin | |
| verbunden. | |
| ## Ein Ort für Eingesandtes | |
| Die Kulturbehörde hatte Mitte der 80er-Jahre den „Hamburger Förderpreis für | |
| Literatur“ etabliert, fünfmal werden seitdem jedes Jahr je 6.000 Euro – | |
| vormals 12.000 Mark – vergeben, in einem anonymisiertem Verfahren und ohne | |
| jede Verpflichtung, den da geförderten Text auch zu vollenden. | |
| Bald stellte man fest, dass die ausgezeichneten und, wenn man so will, | |
| angezahlten Texte oft auf immer in den Schubladen ihrer Schöpfer | |
| verschwanden. Zugleich blieb viel Eingereichtes auf der Strecke, vom | |
| Gedicht über den Romanauszug bis zum Hörspielentwurf, obwohl es Potenzial | |
| und Talent offenbarte. Der Ziegel wolle, wie man es 1992 formulierte, | |
| „einen profunden Einblick in die Werkstätten der Hamburger Schriftsteller | |
| und Schriftstellerinnen geben“. A propos Werkstatt: Die ersten Ziegel | |
| entsprachen mit ihrem Format von 5,5 mal 10,8 mal 22,5 Zentimeter Ende des | |
| 19. Jahrhunderts gefertigten Backsteinen, die es in diesem Maß nur in | |
| Hamburg gegeben haben soll. | |
| „Wenn man alle Ziegel nacheinander anschaut und liest“, so drückt es Jürg… | |
| Abel heute aus, „dann erfährt man sehr gut, was Literatur in dieser Stadt | |
| war und was sie ist.“ Und so haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten uns | |
| heute vertraute Autoren wie Anna Katharina Hahn, Tina Uebel, Michael Weins, | |
| Katharina Höcker, Katrin Seddig oder Alexander Posch im Ziegel teils ihre | |
| ersten Veröffentlichungen absolviert. Aber auch längst Etablierte fanden | |
| sich darin, Ulla Hahn etwa, Brigitte Kronauer, Yoko Tawada und Mirko Bonné. | |
| Manche verschwanden wieder, aber die meisten tauchen immer wieder auf, | |
| manchmal nach Jahren – so als würde sie die Welt der Literatur nie | |
| entlassen. | |
| „Es gibt heute insgesamt ein professionelleres Schreiben“, sagt Abel. Er | |
| lehnt sich zurück . „Früher hatten wir die Dichter, wir hatten Autoren, die | |
| Prosa, also meistens Erzählungen schrieben, und wir hatten die | |
| Journalisten. Heute dagegen haben wir einen größeren Unterhaltungsmarkt, | |
| der Journalismus ist breiter geworden – wir haben insgesamt mehr | |
| Textformen, auch weil die Autoren für mehr Medien Texte schreiben.“ Er | |
| wisse nicht, warum es immer heiße, heute werde weniger gelesen. „Es wird | |
| mehr gelesen. Wir alle haben heute mehr mit Texten zu tun. Es wird | |
| gepostet, es wird gemailt, es wird gebloggt. Briefe schreibt man natürlich | |
| weniger. Aber wer hat denn früher Briefe geschrieben?“ | |
| ## Alte Grenzen sind gefallen | |
| Abel blättert vor, zurück, landet bei einem Text von Simone Buchholz: eine | |
| knappe, rüde Erzählung über einen Polizisten namens Faller, Drogenfahndung | |
| auf St. Pauli: „Diesen Text hätten wir wahrscheinlich Anfang der 90er nicht | |
| publiziert. Es gab damals eine klare Grenze zwischen Unterhaltungsliteratur | |
| und anspruchsvoller Literatur. Wir hatten diese Trennung im Kopf – und sie | |
| ist nicht mehr da. Sie ist Ende der 90er-Jahre gefallen.“ | |
| „Ich hab auch keine Lust, nur Gedichte zu lesen“, auch das sagt Abel – und | |
| ist doch stolz darauf, dass im neuen Ziegel ein Gedicht des polnischen | |
| Lyrikers Czeslaw Milosz zu lesen ist, Resultat des Förderpreises für | |
| Literarische Übersetzungen, der seit 1990 den Hamburger Förderpreis | |
| flankiert: „Was immer ich in die Hand bekomme, griffel, schreibrohr,/ | |
| gänsefeder, kugelschreiber,/ wo immer sie mich finden, auf des atriums | |
| steinplatten,/“. | |
| „Mit den letzten drei Ausgaben ist die Globalisierung auch in den Texten | |
| angekommen“, sagt Abel. „Es gibt mittlerweile viele Leute mit einem zweiten | |
| Sprachhorizont, die in deutscher Sprache schreiben.“ Im aktuellen Ziegel | |
| bezeugen das unter anderem Texte von Sasa Stanisic, von Akin E. Sipal und – | |
| ganz wunderbar – ein Romanauszug von Irena Stojanova: „Ich – Bulgarisch | |
| Mädchen“. Auch lesenswert ist „Grad 38“ von Mona Leitner, eine literaris… | |
| Reportage aus Sarajevo, eng gesetzt auf 30 Seiten. „Ein schöner Text, ein | |
| toller Text, der nirgendwo sonst so viel Platz gefunden hätte, also geben | |
| wir ihm genau diesen Platz“, sagt Abel. „Wir können das machen, weil das | |
| Buch dankenswerterweise hochsubventioniert ist. Wir müssen nicht fragen: | |
| Welche Zielgruppe erreicht es?“ | |
| ## „Überhaupt keine Zeit“ | |
| Zwei, drei literarische Projekte würde Abel selbst gerne realisieren. Aber | |
| wann? Halbtags arbeitet er für das Veranstaltungsportal „Literatur in | |
| Hamburg“, im vergangenen halben Jahr beschäftigten ihn zwei große | |
| Lektoratsaufträge, die Ziegel-Endkorrekturen („Ich hab’ alles noch mal | |
| gelesen, wirklich alles noch mal!“), dann kam der Förderpreis 2014, für | |
| dessen Organisation er seit Langem zuständig ist. | |
| „Ich habe überhaupt keine Zeit“, sagt Abel. „Und wenn ich Zeit habe, dann | |
| fotografiere ich.“ Und so taucht er im neuen Ziegel dann doch noch auf: als | |
| Fotograf, der für viele Zwischenbilder sorgte und für eine schöne Strecke | |
| über den Billhafen, dessen Gelände überzogen ist mit allerlei Graffiti. Er | |
| habe nicht gewusst, wie viele es davon gebe, sagt Abel – „die ganze Stadt | |
| ist voll davon“. | |
| ## Ziegel Nr. 14 – Hamburger Jahrbuch für Literatur, hg. von Jürgen Abel | |
| und Wolfgang Schömel. Dölling und Galitz Verlag, München/Hamburg, 746 S., | |
| 25 Euro Vorgestellt wird der neue Ziegel am 12. 2. im Hamburger | |
| Literaturhaus | |
| 21 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Keil | |
| Frank Keil | |
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