| # taz.de -- Die Geschichten der Susanne Neuffer: „Meine Helden wollen nie nac… | |
| > Erstaunlich unbemerkt von einem größeren Publikum schreibt die Hamburger | |
| > Schriftstellerin Susanne Neuffer seit vielen Jahren wunderbare | |
| > Geschichten | |
| Bild: Hat zu schreiben begonnen, weil sie befürchtete, ihr könnten die Büche… | |
| Es gibt eine wunderbare Erzählung der Hamburger Schriftstellerin Susanne | |
| Neuffer, da geht es hoch hinauf in die norwegischen Berge, in eine Pension. | |
| Die Saison neigt sich dem Ende zu, der Winter kommt. Und so könnten der | |
| Wirt und seine einzige studentische Angestellte zusammenräumen, | |
| runterfahren ins Tal, wo auf ihn die Frau und die Kinder warten und auf sie | |
| eine Vorlesung über den Tourismus in der europäischen Literatur – | |
| eigentlich. | |
| Doch noch sitzt ein Mann Tag für Tag in immer dem selben, aber noch | |
| halbwegs sauberen Pullover in der Gaststube vor einem Glas Bier. Drei | |
| schwedische Wanderinnen verschwinden gelegentlich in der Weite der | |
| Landschaft und auch der Linienbus kommt noch, wenn auch der Busfahrer | |
| längst nicht mehr aussteigt. Die Lawine, die all dem ein Ende bereiten | |
| könnte, will nicht kommen und so bleibt alles in der Schwebe. Bis sie gehen | |
| könnten, endlich! Aber wollen sie wirklich – da runter ins Tal? | |
| „In diesem Jahr der letzte Gast“ heißt die Erzählung und so lautet auch d… | |
| Titel ihrer letzten Versammlung von Erzählungen, die vielfach einen so | |
| beängstigenden wie auffrischenden Zustand variieren: Wir meinen, wir | |
| wüssten Bescheid über uns und das Leben, wir fühlen uns sicher und meist | |
| auch wohl in unserem Alltag – und dann bricht hier eine Ecke ab, dort | |
| öffnet sich ein Hohlraum, in den man hineinfallen und sogleich für immer | |
| verschwinden könnte. Nichts ist sicher, außer dass nichts sicher ist. | |
| ## Alles andere als harmlos | |
| „Jemand aus der Hamburger Literaturszene hat mir mal gesagt, ich sei zu | |
| harmlos und meine Geschichten seien zu harmlos, also würde das nichts mit | |
| mir werden“, sagt Susanne Neuffer und lächelt auf eine Weise verlegen, die | |
| ahnen lässt, dass sie für ein solches Urteil nur leisen Spott übrig hat und | |
| dass es ihr dennoch ein wenig Sorge bereitet. Was, wenn ihre erzählten | |
| Welten wirklich risikolos zu betreten wären? | |
| Papperlapapp! Denn ihre Geschichten sind alles andere als harmlos. Sie sind | |
| im Gegenteil von einer untergründigen Sprengkraft; sie sind poetisch | |
| raffiniert ausgefeilt und zugleich sozusagen bitterkomisch und es ist ein | |
| kleines bis großes Rätsel, dass Neuffer als Autorin so wenig bekannt ist. | |
| „Erst wollte ich Journalistin werden, aber dafür war ich nicht energisch | |
| genug, dann sah es kurz nach Wissenschaft aus“, erzählt sie aus den Tagen, | |
| als alles anfing. Es wird schließlich die Schule, eine Familie kommt hinzu, | |
| Kinder. Doch etwas hält sie am Schreiben, mal ein Gedicht, mal ein Beitrag | |
| für die Stadtteilzeitung. Es kommt der Tag, wo ihr auffällt, dass sich in | |
| ihrem bisherigen Leben ein ganz ordentlicher Stapel Geschriebenes gebildet | |
| hat, und sie bewirbt sich um den Hamburger Förderpreis für Literatur. | |
| Den Preis bekommt sie erstmalig 1996, wobei sie ihn damals über das | |
| Preisgeld hinaus als eine besondere Ermutigung empfindet: Die Manuskripte | |
| müssen anonym eingeschickt werden, es wirkt nicht die Bekanntheit eines | |
| einreichenden Namens, es zählt nur die literarische Qualität. Das gefällt | |
| ihr bis heute. | |
| Als sie sich anschließend auf den Weg zu einem Verlag macht, versucht sie | |
| es – wozu man ja angehenden Autoren stets rät – zuerst ganz oben: Hanser, | |
| Fischer, Suhrkamp. Und es folgen entsprechend die schnörkellosen Absagen. | |
| Doch schließlich meldet sich der Maro-Verlag zurück, nur zwei Wochen, | |
| nachdem sie diesem ihr Manuskript mit Lyrik zugesandt hatte. Ein | |
| sogenannter Kleinverlag aus dem fernen Nürnberg, bekannt bei Bukowski-Fans. | |
| ## Faible für Männerliteratur | |
| Dass sie ihrerseits auf Maro kam, lag wiederum an der Bücherhalle in | |
| Hamburgs bis heute wenig angesagtem Stadtteil Langenhorn, wo sie seit sehr | |
| Langem wohnt. „Dort gab es ein Regal mit dem Etikett ‚Männerliteratur‘, … | |
| das fand ich interessant, denn ich hab immer Jungsbücher gelesen.“ Sie | |
| findet in jenem Regal die bei Maro verlegte Lyrik Raymond Carvers, die die | |
| entscheidende Brücke schlägt. | |
| Dass sie ein Faible für sogenannte Männerliteratur hat, ist wiederum ihren | |
| Cousins zu verdanken, die ihr, als sie mal als Kind krank war, eine Kiste | |
| mit Büchern vors Bett stellten: darin allerlei Abenteuerliches über Reisen | |
| durch die Mongolei, jede Menge Karl May, auch Coopers Lederstrumpf. | |
| Zum Schreiben war es nur ein kleiner Schritt, und sie sagt jetzt den Satz, | |
| den viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller sagen, also parat haben: | |
| „Geschrieben habe ich schon immer.“ Nur in diesem Fall zunächst aus einer | |
| kindlichen Befürchtung heraus: „Ich dachte, die Bücher, die ich lesen | |
| könnte, würden nicht reichen, also fange ich schon mal an, selbst eines zu | |
| schreiben.“ | |
| Es gibt eine weitere, ganz wunderbare Geschichte, die vom Einbruch des | |
| Unverhofften wie Befürchteten in die gesicherte Wirklichkeit erzählt: | |
| diesmal über einen Mann, dessen Sohn nun erwachsen ist und der in einer WG | |
| wohnt, in einer anderen Stadt. Vater und Sohn verstehen sich gut, wie das | |
| heute durchaus normal ist. | |
| Und so ist es keine Frage, dass der Sohn seinem Vater sein Zimmer in seiner | |
| gerade verwaisten WG überlässt, als dieser mal einen ruhigen Ort zum | |
| Arbeiten braucht. Er muss ein Gutachten über eine Frau schreiben, die in | |
| einem Supermarkt um sich geschossen hat, weil ihr alles zu viel wurde: | |
| dieser Supermarkt, die einkaufenden Leute, der Kapitalismus, das ganze | |
| blöde Leben – so viel noch mal zum Thema Harmlosigkeit. | |
| ## Verwirrend hübsch | |
| Jedenfalls: der Vater sitzt in der leeren WG-Wohnung, arbeitet ein bisschen | |
| vor sich hin, als überraschend doch jemand aus der WG auftaucht, eine Frau, | |
| jung und hübsch, so wie man eben hübsch ist, wenn man noch jung ist. Sie | |
| bittet ihn, ihr doch zu sagen, was sie zu einer Hochzeit passendes anziehen | |
| soll und sie wechselt flugs die Kleidung und bittet um seine Einschätzung. | |
| Keine Frage: Er will nichts von ihr, um Gottes Willen, nichts weniger als | |
| das! Doch auch als sie längst gegangen ist, ist sein Zustand der Verwirrung | |
| noch lange nicht ausgestanden. | |
| „Meine Personen gehen nicht unter, sie siegen aber auch nicht, sie | |
| arrangieren sich auf ihre Weise mit der Realität“, sagt Susanne Neuffer. | |
| Wobei ihr quasi als Beobachtungsmaterial – zunächst für die Andeutung eines | |
| Dramas und dann dessen vorsichtig-genaue Ausschmückung – kleine | |
| Alltagsmomente, oft aber auch nur Orte und manchmal beide dienen: „Da saß | |
| mal in Langenhorn ein Geiger und geigte verzweifelt vor sich hin, und | |
| niemand wollte ihn hören, und dann war er wieder weg.“ | |
| Das reichte? Das reichte. „Wo ist er hin und was ist mit ihm passiert? Das | |
| hat mich beschäftigt“, sagt sie. Und sie verknüpft die Geschichte dieses | |
| Geigers mit der Geschichte einer Frau, die sich den so kläglich fiedelnden | |
| Geiger mit aller Kraft wegwünscht, die nach Norden will, nach Finnland, wo | |
| ihr der Geiger – wenn auch in ganz anderer Form – wiederbegegnen wird. | |
| „Meine Helden wollen nie nach Süden“, sagt Susanne Neuffer. | |
| Ein Lyrikband, zwei Erzählbände sind so zusammengekommen, ein Roman auch: | |
| „Schnee von Teheran“, der von einer Lehrerin erzählt, die während der | |
| Sommerferien auszieht, reale, mit der Hand zu fassende Arbeit | |
| wiederzufinden. Viel Kraft habe es gekostet, die Erzählstränge | |
| zusammenzuhalten; zugleich sei es für sie sehr wichtig gewesen, genau diese | |
| Arbeit zu leisten. | |
| ## In Brechts Arbeitszimmer | |
| Sie sagt: „Meine Kraft reicht für die Kurzgeschichte, vom ersten | |
| scheußlichen Entwurf an.“ Sie sagt: „Wenn das ein fremder Text wäre, der … | |
| vor mir liegt, würde ich gar nicht weitermachen, aber ich mache ja weiter. | |
| Und dann bekommt er durch die vielen Überarbeitungen langsam eine Form.“ | |
| Wochen dauere es, bis eine Geschichte fertig ist. Acht, zehn, zwölf | |
| Überarbeitungsdurchgänge seien normal. | |
| Und manchmal wird ein Text auch dadurch fertig, dass sie ihn für einen | |
| Wettbewerb losschickt, durchaus mit Erfolg: 1999 Bettina-von-Arnim-Preis, | |
| 2007 Walter-Serner-Preis, 2011 MDR-Literaturpreis. Und 2014 folgt erneut | |
| der Hamburger Förderpreis. Für Nachschub ist gesorgt: „Ich habe einige | |
| Geschichten, die rumliegen und die mich beunruhigen.“ Wobei liegenlassen | |
| zuweilen helfe. | |
| Gerade hat sie ihre Lyrik der vergangenen Jahre gesichtet, im dänischen | |
| Svendborg, in Bert Brechts einstigem Arbeitshaus, dank eines | |
| Residenzstipendiums der Hamburger Kulturbehörde, mit Blick aus Brechts | |
| Zimmer auf den Sund und die Fähren, die dort im Stundentakt durchs Wasser | |
| stampfen. | |
| Es sei großartig gewesen, sagt Neuffer. Sie könne es nur empfehlen, vier | |
| Wochen habe sie wunderbar arbeiten können: „Es war wie ein Klosterleben, | |
| man sollte da niemanden mit hinnehmen, der Aufenthalt dort wäre sofort | |
| sinnlos.“ Und dann sitzt sie noch mit einem jungen Drehbuchautor an einem | |
| Projekt, bei dem noch nicht verraten werden kann, worum es geht. | |
| Überhaupt ist Film etwas, das sie sehr reizt. „Ich wünsche mir, dass | |
| Andreas Dresen mal eine meiner Kurzgeschichten verfilmt“, sagt sie. Und | |
| wieder ist da dieses leichte Schwanken zwischen solidem Selbstbewusstsein | |
| und der Sorge, dass das vielleicht nichts werden könnte. Dabei sprühen ihre | |
| Geschichten doch Satz um Satz von einer skurrilen Lebendigkeit, zu der eine | |
| gekonnte filmische Umsetzung gut passen könnte. | |
| 8 Mar 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Keil | |
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