# taz.de -- Abschied von einem stillen Förderer: Der Ruhepol | |
> Rüdiger Käßner war Hamburger Literaturförderer, Veranstalter und Autor. | |
> Nun wird er mit posthumen Veröffentlichungen gewürdigt. | |
Bild: War auf fast jeder Lesung, aber immer im Hintergrund: Rüdiger Käßner | |
HAMBURG taz | Als Nefeli Kavouras vor ein paar Jahren nach Hamburg kam, vor | |
allem wusste, dass sie etwas mit Literatur machen wollte, sagte man ihr: | |
„Lerne den Rüdiger kennen.“ Es brauchte eine Weile, dann saß sie | |
tatsächlich in Rüdiger Käßners Küche, und am Ende entstand eine Aufnahme | |
für die von Käßner verantworteten „Weblesungen“. Jahre zuvor hatte er sc… | |
das Hamburger Literaturtelefon geleitet. So in die Literaturszene der Stadt | |
aufgenommen, begegnete Kavouras Käßner immer wieder auf Lesungen – und | |
erfährt auch, was im Herbst 2017 unter Hamburger LiteratInnen für große | |
Betroffenheit sorgt: Käßner ist an Krebs erkrankt, es ist sehr ernst. | |
Einmal noch kann sie ihn im Krankenhaus besuchen. | |
Was sie, aber auch den mit ihr befreundeten Autoren Jonis Hartmann nach | |
Käßners Tod sehr beschäftigt: Es ist unter den Hamburger AutorInnen | |
bekannt, dass Käßner selbst geschrieben hat, es gab Mini-Lesungen, auch | |
Beiträge für die Weblesungen und 1995 erhielt er den Hamburger | |
Literaturförderpreis. Aber publiziert hat Rüdiger Käßner zeitlebens nie. | |
Als dann noch Sandra Dotou dazukommt, die Kommunikationsdesign studiert und | |
endlich mal ein Buch produzieren möchte, ein richtiges Buch, wächst eine | |
Idee: ein Buch für Rüdiger, dass das Werk jenes Autoren vorstellt, der | |
selbst so viele andere gefördert und auf den Weg gebracht hat; der auf fast | |
allen Lesungen anwesend war, sich zwar im Hintergrund gehalten hat, aber da | |
war. Nur wie an seine Texte kommen? | |
Sie stoßen schließlich auf Käßners langjährigen Freund Harald Pump, der | |
sieben ausrangierte Laptops und PCs von ihm hütet und selbst längst | |
überlegt, wie er Texte seines Freundes in die Welt bringen kann. Also | |
sichtet er die Festplatten und überreicht Kavouras und Hartmann eine CD mit | |
183 Texten aus den Jahren 1998 bis 2017, dazu eine Excel-Tabelle, die alle | |
Texte mit Titel und Entstehungszeitraum aufführt. Ein Titel, der ihnen | |
sofort auffällt: „Möwen und so weiter“. „Wir haben beide gleich gedacht: | |
Der Titel ist so typisch Rüdiger, auch so typisch hamburgisch“, sagt | |
Kavouras, „hoffentlich ist der Text so, dass wir ihn als Buchtitel nehmen | |
können.“ | |
## Ein sensibler Erzähler | |
Überhaupt die Frage: Tragen die Texte überhaupt? „Mich haben Freunde vorher | |
gefragt: Was macht ihr, wenn der gar nicht schreiben konnte?“, sagt | |
Kavouras. Aber dem ist ganz und gar nicht so: Sie stoßen auf feinfühlige, | |
ganz eigensinnige Erzählungen, in denen dessen Erzähler so sensibel wie | |
kundig auf die eigene Innen- wie Außenwelt schaut. „Rüdiger Käßner ist ein | |
unterschätzter Autor – vor allem von ihm selbst“, sagt Kavouras. | |
Zwischendurch aber gibt es durchaus Momente, in denen die beiden ins | |
Grübeln kommen: Es gibt doch andere Hamburger AutorInnen, die kannten ihn | |
viel länger und besser, haben weit mehr mit ihm erlebt. Und sie kommen | |
schließlich gemeinsam mit Hamburgs Literaturbeauftragter Antje Flemming, | |
die für die Finanzierung des Projektes sorgt, auf die Idee, diese | |
AutorInnen um Beiträge für begleitende Postkartentexte über Kaffeemomente | |
bei Rüdiger zu bitten. | |
„‚Kaffee bei Rüdiger‘ hieß: Man saß in seiner Küche, trank halb lauwa… | |
Kaffee, der wirklich nicht lecker war, und unterhielt sich stundenlang über | |
Literatur, über Katzen, über Hamburg, über die Welt“, sagt Kavouras: | |
„Rüdiger und seine Küche waren der Ruhepol in der umtriebigen Hamburger | |
Literaturlandschaft.“ 15 AutorInnen schickten schließlich Texte, manche | |
setzten sich noch am selben Abend hin. | |
Nun liegen die Postkarten und vor allem das Buch vor, das in Anmutung und | |
Layout angenehm mit der Zartheit vieler von Käßners Texten korrespondiert | |
und auch eine Auswahl von dessen Fotoarbeiten zeigt. Denn ausgebildet war | |
Käßner als Fotograf, ein Faible hatte er dabei für Stühle in leeren | |
Kaffeehäusern. | |
Der Erlös des Projekts geht an die Hamburger Krebsgesellschaft. Und es gibt | |
einen Release-Abend, der in seiner Konzeption den Balanceakt zwischen der | |
professionellen Präsentation eines zu entdeckenden Hamburger Autoren und | |
der warmherzigen, auch persönlichen Würdigung eines Förderers und | |
Unterstützers auf ganz eigene Weise widerspiegelt: „Die Vorstellung, Jonis | |
und ich stellen uns auf die Bühne und lesen Texte von Rüdiger, hat sich für | |
uns beide komisch angefühlt“, sagt Kavouras. | |
Also werden heute Abend einzelne AutorInnen ihre Postkartentexte vorlesen, | |
es wird heißen (!) Stempelkannenkaffee geben, dazu Rüdigers | |
Lieblingsschnaps. Zu hören sein wird Musik aus den 1970er- und 80er-Jahren, | |
die Rüdiger mochte. Und auch Käßners Stimme selbst – in einer Weblesung | |
seines Textes „Möwen und so weiter“. | |
Vor ein paar Tagen, erzählt Kavouras, habe sie von dieser Lesung schon | |
geträumt: „Ich habe geträumt, Jonis und ich hätten uns im Datum vertan, | |
schon Mittwoch statt Freitag würde sie sein, es musste alles ganz schnell | |
gehen, ich hatte die Stempelkanne zu Hause vergessen und also nicht mit | |
dabei – aber Rüdiger erschien zur Lesung, nahm sich ein Buch und bestand | |
darauf, dass er es bezahlt, so wie alle anderen auch.“ | |
Sie hat anderen von diesem Traum erzählt: „Und alle haben gesagt: Genau das | |
hätte Rüdiger getan.“ | |
22 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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