# taz.de -- Energiewende in Bayern: Einfach weiterbohren | |
> Strom Holzkirchen arbeitet an der Energiewende – über Parteigrenzen | |
> hinweg und ohne die Unterstützung aus München oder Berlin. | |
Bild: Kein Klischee: Tradition bedeutet für die Holzkirchner Alltagskultur | |
HOLZKIRCHEN taz | Wer von der A8 München–Salzburg abbiegt und Richtung | |
Tegernsee fährt – wo die oberbayerische Brauchtumspflege mitunter ins | |
Groteske abgleitet und der AfD-Direktkandidat Prinz Constantin von | |
Anhalt-Dessau lebt –, sieht rechter Hand einen gigantischen Bohrturm. Wie | |
eine texanische Ölquelle ragt er hervor. Lichter blinken, Dampf steigt auf. | |
Er sieht empörend wichtigtuerisch aus, fast wie ein fauchender Drache. | |
Diesen Turm haben die Holzkirchner dahingepflanzt. Mit dem heißen Wasser, | |
das er aus der Erde pumpt, will sich Holzkirchen bald selbst mit Strom und | |
Wärme versorgen. Es sieht nicht schlecht aus. Doch das alles hätte auch zum | |
Desaster werden können: Vom Bund gab es kein Geld. Ob man auf heißes Wasser | |
stoßen würde, war ungewiss. Und dann wäre den Holzkirchnern das Projekt | |
buchstäblich fast um die Ohren geflogen, als sie beim ersten Bohrversuch | |
auf Erdgas stießen. Egal – sie machten unerschrocken weiter. | |
Der Turm passt gut zu dieser typisch bayerischen und von außen betrachtet | |
so seltsamen Melange aus anarchischem Gestus und Obrigkeitshörigkeit. Aber | |
dieser Turm steht auch für die Hoffnung des grünen Gemeinderats Karl Bär, | |
der mit diesem Geothermie-Ding für seine Partei mächtig Stimmen holen will | |
und für sich selbst vielleicht sogar einen Platz im Bundestag. | |
## Hütten-Wahlkampf auf der Kloaschaualm | |
Die Gemeinde Holzkirchen liegt auf dem halben Weg zwischen München und den | |
Bayerischen Alpen. Vier Wochen vor der Bundestagswahl ist man auf keinem | |
noch so belanglosen Fest sicher vor Direktmandatanwärtern und | |
Listenplatzhaltern aller Parteien. Karl Bär, Listenplatzhalter Nr. 12 der | |
bayerischen Grünen, bummelt indes mit der Oberlandbahn aus seiner | |
Heimatstadt Holzkirchen nach Bayrischzell. | |
An einem Wochenende, wo so ziemlich jeder Bayer in Tracht in einem Festzelt | |
hockt, radelt er auf die Kloaschaualm, eine Selbstversorgerhütte mit | |
Holzofen und Stockbetten. Hier hockt er mit der bayrischen Grünen-Jugend | |
zusammen am Holztisch. „Bisserl ratschen über Wahlkampf und Umweltthemen“, | |
sagt er. | |
Bär ist Agrar- und Islamwissenschaftler. Er hat in Berlin, Bayern und | |
Istanbul gelebt und würde am liebsten als Bundestagsabgeordneter für eine | |
große Agrarwende kämpfen. „Wir müssen schauen, dass die Bundesregierung in | |
Brüssel klarere Positionen in Sachen Gentechnik und Pestizidzulassung | |
einnimmt“, sagt er. | |
49 Prozent der Holzkirchner wählten 2013 die CSU, die AfD hat so gut wie | |
keine Anhänger. Für die SPD stimmten 17,1 Prozent. Karl Bär hat für die | |
Grünen 11,5 Prozent der Wähler gewonnen, im September hofft er auf mehr. | |
## Traditionsliebe und Umweltbewusstsein | |
Man könnte denken, dass eine grüne Energiewende und die Traditionsliebe der | |
Holzkirchner nicht zusammenpasst. Doch dem Fortschritt wird hier mit | |
Offenheit und Fleiß begegnet. Und in diesem Fall sieht man sich der | |
Tradition sogar besonders verpflichtet. Denn hier baute der Ingenieur und | |
Pionier Oskar von Miller 1884 das erste Wasserkraftwerk Deutschlands. | |
2015 beschloss der Gemeinderat in einer öffentlichen Sondersitzung mit | |
einer satten Mehrheit über alle Fraktionen und Gemütslagen hinweg, ein | |
Geothermiekraftwerk zu bauen. Seit 2017 Jahr sprudelt heißes Wasser aus dem | |
Bohrturm. Man hatte sich lange Gedanken gemacht hat über eine Form der | |
Energieversorgung, die ebenso zum Ort passend wie zeitgemäß sein könnte. | |
Das Risiko war hoch. Während in Berlin die Energiewende unter Schwarz-Gelb | |
noch kaputtgeredet wurde, beschlossen die Holzkirchner den Bohrturm | |
trotzdem zu bauen. Wäre das Projekt gescheitert, wäre die Gemeinde | |
finanziell nicht mehr in der Lage gewesen, in Kultur, Schulen oder dringend | |
nötigem sozialen Wohnungsbau zu investieren. | |
## Ein Kraftwerk bauen | |
Nun müssen die Holzkirchner es nur noch schaffen, bis Ende 2017/2018 ein | |
Kraftwerk zu bauen. Dann nämlich erhielten sie für ihren Strom 25,2 Cent | |
pro Kilowattstunde vom Bund, 20 Jahre lang. Das würde 16 Millionen Euro | |
Gewinnausschüttung für den Ort bedeuten. Elisabeth Dasch, zweite | |
Bürgermeisterin ist zufrieden, aber nicht mit der Bundespolitik. „Wir haben | |
für unseren Mut, Ökostrom zu produzieren, keine Unterstützung vom Bund oder | |
Land erhalten.“ | |
Man erzählt sich hier gern vom Mut der aufständigen Bauern aus dem | |
Holzkirchner und weiteren Umland, die sich anno 1705 zu München mit | |
Mistgabeln gegen ihre habsburgischen Unterdrücker wehrten. Oder vom | |
Wilderer, der sich sein Fleisch selbst jagte, sich nicht vom Adel | |
aushungern ließ und dafür als Archetyp für diese besondere bayerische | |
Anarchie steht. Natürlich kennt auch Karl Bär diese Geschichten. | |
7 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Sandra Freudenberg | |
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