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# taz.de -- Crottendorf vor der Wahl: Wo das Herz schlägt
> Rechts der Mitte soll keine Stimme verloren gehen: In diesem Wahljahr
> macht sich die sächsische CDU zum ersten Mal Sorgen. Muss sie das?
Bild: Rauchzeichen aus dem Erzgebirge
Crottendorf/Annaberg-Buchholz | taz | Mit zwei kleinen Waggons fährt die
Erzgebirgsbahn die Berge hoch. Wenn der Zug vorbeirattert, kommen die
Kinder und Rentner angelaufen, stellen sich daneben und winken. Fast wie
aus einer Szene bei Astrid Lindgren. Zur Antwort hupt die Bahn. Wer
aussteigen will, muss vorher klingeln. Schließlich ist man auf dem Land, 40
Kilometer von Chemnitz entfernt, im Herzen des Erzgebirges. Auch oben in
Crottendorf ist alles friedlich. Die Menschen sind mittelmürrisch bis
heiter. Eigentlich wie überall in Deutschland.
Die Region war früher für ihre reichen Silberfunde bekannt. Heute liest man
weitaus schlechtere Nachrichten aus den Nachbarorten – aus Heidenau,
Freital und Bautzen. Und auch über Annaberg-Buchholz, unten am Fuße des
Pöhlbergs, wo doch sonst auch eher Bullerbü-Idylle herrscht, wird derzeit
viel gesprochen.
Als Angela Merkel im August, an einem der wenigen schönen Sommertage, nach
Annaberg-Buchholz kam, wurde sie mit „Volksverräter“-Chören und Pfiffen
begrüßt. Bis hoch zur St. Annenkirchen standen die Einsatzfahrzeuge der
Polizei dicht aufgereiht. Keine Überraschung, könnte man denken. Wenn
Merkel nach Sachsen reist, landet sie in Dunkeldeutschland und hat keine
Chance. Aber stimmt das?
Am Straßenrand hängt die CDU überall, „Das Erz im Herz“. Seit 25 Jahren
bringt sie das Sachsenherz zum Schlagen. Der Übervater Kurt Biedenkopf
brachte nach der Wende Selbstbewusstsein. Man ist stolz auf das Sächsische
Königreich, das zwar nie Weltmacht war, aber sich eigenständiger fühlt als
die anderen Bundesländer.
## AfD, Crystal Meth und NSU
Doch unschuldig ist dieser Stolz nicht: So manch einer hält sehnsüchtig
Plakate, die den alten Sachsenkönig beschwören, auf der ein oder anderen
Pegida-Demo hoch. Und die Abgrenzung der sächsischen CDU zum
islamfeindlichen Rassismus erscheint butterweich angesichts dessen, dass
Ministerpräsident Stanislaw Tillich einst verkündete, der Islam gehöre
nicht zu Sachsen – und in seinem Bundesland nicht mal auf Protest gestoßen
war.
Im Dönerladen im Ortskern ist davon wenig zu spüren. Von AfD über Crystal
Meth bis NSU – alles Themen, die den Freistaat umtreiben. Hier nicht. In
gewohnter Manier grüßt man sich auch nach Feierabend mit „Glück auf!“.
Zwischen neuen Deutschen und alten ErzgebirglerInnen herrscht, ohne
viel Worte, Harmonie. Vielleicht sind es nur wenige, die pfeifen und
schreien – aber die dafür besonders laut.
Eigentlich musste sich die CDU hier nie Sorgen machen. Trotzdem ist dieses
Wahljahr besonders. Mit einem Paukenschlag zog 2016 die AfD in den Landtag.
Deshalb lädt der CDU-Kandidat Alexander Krauß zum Bürgerfrühstück auf dem
Marktplatz. Besonders rechts der Mitte soll keine Stimme verloren gehen.
Sein Konkurrent Karsten Teubner von der AfD macht derweil Haustürwahlkampf.
Die Probleme sind scheinbar dieselben – egal ob am Frühstückstisch der CDU
oder an der Haustür mit der AfD. Es geht um Geld und geschlossene Schulen.
Was sie alle eint, sind ihre Traditionen und ihre Region. Sie sind wütend,
dass die tschechischen Nachbarn ihre Heidelbeeren klauen. Grenzkriminalität
– das tut dem Regionalstolz weh. Vielleicht bleiben die ErzgebirglerInnen
ihren alten Traditionen, ihren christlichen Werten treu und wählen wie
früher.
14 Sep 2017
## AUTOREN
Malaika Rivuzumwami
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