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# taz.de -- Abstieg der sächsischen CDU: Ratlos in Dresden
> Einst konnte die sächsische CDU viele Menschen binden. Heute versucht sie
> es mit Anbiederung nach rechts – allerdings mit wenig Erfolg.
Bild: Sächsische Verhältnisse: Pegida-Demonstranten an der Semperoper
Dresden taz | Was waren das für goldene Zeiten, als der – ungeschriebene –
Paragraf null der sächsischen Landesverfassung der Union stets die absolute
Mehrheit garantierte! Kurt Biedenkopf gab nach der politischen Wende nicht
nur den Ersatzkönig, er verstand es massenpsychologisch auch geschickt,
Menschen in Transformationsgesellschaften das zu suggerieren, was sie für
ihre Belastungsfähigkeit am dringendsten brauchen: Motivation.
Der selbstverklärende Sachsen-Mythos, die Legende vom sächsischen
Übermenschen, kam da als historische Kraftquelle gerade recht. Heute wird
die sieggewohnte Sachsen-Union von der AfD auf den zweiten Platz verwiesen
und muss wieder einmal einen resignierenden Ministerpräsidenten ersetzen.
Wie alle sächsischen Ministerpräsidenten nach 1990 ging auch Biedenkopf
2002 vorzeitig und während der Legislaturperiode. Das Landesvater-Image
haben seine Nachfolger Georg Milbradt und Stanislaw Tillich nicht mehr
annähernd erreicht. In Sachsen wie im gesamten Osten hat sich die Stimmung
gewandelt. Den paradiesischen Verheißungen der deutschen Wiedervereinigung
ist Ernüchterung, in vielen Fällen auch Enttäuschung gefolgt.
Die Leistungsträger wie auch die Wendeverlierer der Aufbaujahre sind in die
zweite Lebenshälfte, teils schon in die Rente gekommen. An ihren
Lebensentwürfen und biografischen Brüchen ist nicht mehr viel zu
korrigieren. Geistige Entwurzelung paart sich mit der Angst vor der
vermeintlich überall lauernden Apokalypse. Solche allgemeinen Entwicklungen
und die hausgemachten Folgen einer rigiden Spar- und Privatisierungspolitik
bei den öffentlichen Aufgaben hat die sächsische Union völlig verschlafen.
## Vom Sachsen-Mythos zur Leitkultur
Mit der bröckelnden Mobilisierungsfähigkeit des Sachsen-Mythos versuchte
die CDU in Sachsen wiederholt, deutschen Patriotismus und Heimatliebe an
dessen Stelle zu setzen. Treibende Kraft war der heutige Landtagspräsident
Matthias Rößler, zuvor „Patriotismusbeauftragter“ seiner Landespartei. Na…
mehreren Denkschriften versuchte er 2016 noch einmal, eine entsprechende
Debatte anzufachen. Mit mäßigem Erfolg.
Im September des Vorjahres präsentierte dann der sächsische
CDU-Generalsekretär und designierte Tillich-Nachfolger Michael Kretschmer
gemeinsam mit der CSU einen „Aufruf zu einer Leit-Rahmenkultur“.
Geschrieben hatten das Papier allerdings Joachim Klose von der
Adenauer-Stiftung und der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU
Dresden. Alle drei standen auch hinter dem Versuch, das zu gründende – und
vom Bundestag bereits mit 34 Millionen Euro ausgestattete – „Institut für
gesellschaftlichen Zusammenhalt“ zu einem konservativen Thinktank in
Sachsen zu machen.
Popularitätszuwächse haben solche Versuche einer Bedienung des rechten
Randes nicht gebracht. Auch nicht die auffallende Toleranz mancher
CDU-Bürgermeister gegenüber Exzessen der lokalen rechten Szene. Das
Potenzial für NPD und AfD hat die CDU so nicht einfangen können.
Wofür speziell die sächsischen Christdemokraten in der Flüchtlingsfrage
stehen, ist den meisten Bürgern bis heute nicht klar. Für Ministerpräsident
Tillich gehörte der Islam einmal nicht zu Sachsen. Dann distanzierte er
sich beispielsweise klar von den Heidenauer Krawallmachern, gab ein großes
Flüchtlingshelferfest – um nach der Bundestagswahl wiederum Verständnis für
die besorgten Bürger zu äußern, die um den Erhalt des Deutschen in
Deutschland fürchten.
Sein designierter Nachfolger machte es Donnerstag beim ersten
Pressestatement nach der Nominierung durch die CDU-Landtagsfraktion nicht
besser. „Ich stehe mit beiden Beinen fest in der Mitte“, erklärte
Kretschmer auf Nachfrage. Die Union sei für ihn eine konservative Partei,
und im Übrigen gelte es, den Rechtsstaat durchzusetzen. Über solche
Allgemeinplätze gelangte er nicht hinaus.
## Unklar ist, was er will
Wie schwer berechenbar und einzuordnen der künftige sächsische
Ministerpräsident ist, veranschaulichen zwei Fraktionskommentare. Die
Rest-AfD-Fraktion im Landtag unterstellt ihm Nähe zu Merkels angeblich
linker Politik der Selbstzerstörung. Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt
hingegen will beobachtet haben, dass Kretschmer keine Gelegenheit auslasse,
sich am rechten Rand anzubiedern.
Die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin vor allem 2015 sei hauptsächlich am
schlechten CDU-Ergebnis schuld, sagten Kretschmer und Fraktionschef Frank
Kupfer gestern. Landesverantwortung sehen sie bei den Reizthemen
Lehrermangel und Polizisten. Auch die Gleichwertigkeit urbaner und
ländlicher Räume wird plötzlich als Problem entdeckt.
Als die Union die Baustellen erkannte und vom Personalabbaukurs abwich, war
es bereits zu spät. Selbst wenn nun Geld für Stellen eingeplant ist, lassen
sie sich noch erst mittelfristig besetzen.
Am Donnerstag ist mit dem bisherigen Vorsitzenden des Philologenverbandes
Frank Haubitz immerhin eine Personalie für die vakante Stelle des
Kultusministers gefunden worden. Gar kein Gespür gibt es für die
Irrationalitäten, Gefühle und Ängste, die viele Menschen erfasst haben. Die
sächsische Union war stets in besonderer Weise eine Partei des projizierten
Idylls.
## SPD will Koalition fortsetzen
Die Profilschärfung der SPD als neue Kümmererpartei Ost hat ihr allerdings
auch keine Stimmen gebracht. Tillich-Stellvertreter und Landesvorsitzender
Martin Dulig hielt sich auffallend zurück bei seiner Kommentierung. Man
braucht in der Koalition einander bis zur 2019 anstehenden Landtagswahl.
Aus Sozi-Insiderkreisen ist aber zu vernehmen, dass man die Schwäche der
Union ausnutzen möchte, als dass mit dem Amtsantritt des „Neuen“ der
Koalitionsvertrag ein bisschen im Sinne der SPD nachverhandelt werden
könnte.
Aus dem politischen Berlin war bezeichnenderweise so gut wie kein Echo auf
den sächsischen Personalwechsel zu vernehmen.
Der im Dezember scheidende Ministerpräsident Tillich ließ mit der völlig
unbeachtet gebliebenen Schlusswendung seiner Rücktrittserklärung immerhin
aufhorchen: „Gott schütze Sachsen und alle Menschen, die in unserem Land
leben!“
19 Oct 2017
## AUTOREN
Michael Bartsch
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