| # taz.de -- Volksentscheid am 24. September: Tegelgegner im Aufwind | |
| > Die Umfragewerte für die Tegelfreunde sind im Sinkflug. Vor allem die CDU | |
| > rudert sichtbar zurück. Landeschefin Grütters schweigt beharrlich. | |
| Bild: Können es schaffen. Tegelgegner bei einer Demo am 1. September | |
| Werner Graf hat es schon Ende Juli gewusst. „Ich verspreche, dass wir den | |
| Volksentscheid gewinnen“, verkündete der grüne Landesvorsitzende bei der | |
| Vorstellung des Wahlplakats „Tegel schließen“ in der Sky Conference des | |
| Flughafens Tegel. Das war selbst seiner Ko-Vorsitzenden Nina Stahr etwas zu | |
| forsch. „Ich verspreche nichts“, sagte sie, „aber wir werden uns dafür | |
| einsetzen, dass wir eine Mehrheit bekommen.“ | |
| Nun aber scheint es so, als sei ein Sieg der Tegelgegner beim | |
| Volksentscheid am 24. September tatsächlich nicht mehr ausgeschlossen. Laut | |
| der neuesten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey votieren nur | |
| noch 50 Prozent für eine Offenhaltung von TXL. Zwei Wochen zuvor waren es | |
| noch 56 Prozent gewesen. Die Tegelgegner sind im Aufwind. | |
| Noch vor mehr als einem halben Jahr war eine Mehrheit gegen den | |
| Weiterbetrieb von Tegel fast undenkbar. 73 Prozent der Befragten votierten | |
| bei einer Forsa-Umfrage im Februar für den City Airport. Die jüngste | |
| Umfrage von Forsa sieht die Tegelfreunde nur noch mit 61 Prozent vorn, auch | |
| da gibt es also einen Trend. Das stellt vor allem die CDU vor Probleme. | |
| ## CDU und Populismus | |
| Angefacht durch die Berliner FDP als „Tegelpartei“ wollten auch die | |
| Christdemokraten auf der Tegelwelle reiten. Obwohl die CDU während der | |
| rot-schwarzen Koalition nie einen Zweifel an der Schließung Tegels sechs | |
| Monate nach der Eröffnung des BER hegte, gelang es dem neuen | |
| Generalsekretär Stefan Evers, die Partei auf eine radikale Kehrtwende | |
| einzuschwören. Evers, ausgestattet mit einem gewissen Hang zum Populismus, | |
| ließ die CDU-Mitglieder abstimmen, das Ergebnis war eindeutig. 83 Prozent | |
| waren für die Offenhaltung von Tegel. Für Evers war das ein „eindeutiger | |
| Auftrag an die CDU Berlin, für ein Ja beim Volksentscheid zu werben“. | |
| Auch die CDU war nun eine Tegelretterin. Das Kalkül war klar. Auch wenn ein | |
| Votum für Tegel am 24. September rechtlich nicht bindend ist, wäre es für | |
| den rot-rot-grünen Senat eine bittere Niederlage, vor allem für den | |
| Regierenden Bürgermeister, dessen Umfragewerte seit Längerem in den Keller | |
| gehen. | |
| Und nun das. Angesichts des Aufwinds für die Tegelgegner macht die CDU | |
| einen ersten Rückzieher von der 180-Grad-Wende. CDU-General Evers sagte, | |
| dass Tegel nur so lange offen bleiben müsse, „bis der BER erweitert worden | |
| ist und eine Kapazität von mindestens 40 Millionen Passagiere erreicht“. | |
| Das könnte laut Masterplan bereits 2022 der Fall sein. Zwar dementierte der | |
| Landesverband umgehend, aber bereits zuvor hatte Exlandeschef Frank Henkel | |
| dem Tagesspiegel verraten: „Ich habe meine Zweifel, ob die Offenhaltung von | |
| Tegel richtig ist. Tegel ist für mich ein idealer Standort für | |
| Wissenschaft, Wirtschaft und neue Wohnungen.“ Auch CDU-Politiker wie Frank | |
| Steffel und Exjustizsenator Thomas Heilmann hatten sich vom Tegelkurs der | |
| Partei distanziert. | |
| Das Lavieren der CDU allein mit dem Machtwort der Kanzlerin zu erklären | |
| griffe zu kurz. Zwar hat Angela Merkel in der letzten Augustwoche erklärt: | |
| „Ich gehe vom Faktischen aus. Und da muss ich sagen, dass Tegel geschlossen | |
| werden muss, das ist die Rechtslage.“ Damit hatte die Kanzlerin die | |
| Berliner CDU gehörig düpiert, so sehr, dass Landeschefin Monika Grütters, | |
| die bei der Mitgliederbefragung mit Ja gestimmt hatte, bis heute zu Tegel | |
| nichts mehr sagt. Inzwischen hat sich selbst Verkehrsminister Alexander | |
| Dobrindt (CSU), der für Tegel geworben hatte, von der Kanzlerin wieder | |
| einfangen lassen. | |
| Am Stimmungsumschwung unter den Wahlberechtigten dürfte auch Flughafenchef | |
| Engelbert Lütke Daldrup seinen Anteil haben. Im Juli, da war die Zustimmung | |
| für den Weiterbetrieb noch ungebrochen hoch, drehte er mit Presseleuten | |
| eine Runde über den Flughafen Tegel. Mit im Gepäck hatte er Zahlen, die es | |
| in sich hatten. Allein für die Erneuerung der Flughafengebäude wären 550 | |
| Millionen Euro fällig, hinzu kämen 350 Millionen für die Verkehrswege und | |
| 250 Millionen für die restliche Infrastruktur. Lütke Daldrups Fazit. „Die | |
| notwendige Grundsanierung würde mehr als eine Milliarde Euro kosten.“ Hinzu | |
| kämen noch 400 Millionen bis eine Milliarde für den verbesserten | |
| Schallschutz für die 300.000 vom Tegellärm betroffenen Berlinerinnen und | |
| Berliner. | |
| Vergangene Woche legte Lütke Daldrup nach. Mit den auf dem BER arbeitenden | |
| Firmen hatte der Flughafenchef vereinbart, dass die Bauarbeiten im Herbst | |
| nächsten Jahres abgeschlossen sein sollen. Erstmals haben sich die Firmen, | |
| denen viele nachsagen, sie hätten gar kein Interesse an der Fertigstellung | |
| des BER, auf einen verbindlichen Zeitplan verpflichtet. Und noch eines hat | |
| der Flughafenchef vorgelegt. Mit dem Masterplan BER ist nun festgehalten, | |
| wann und zu welchen Kosten die Kapazität des BER von derzeit 22 Millionen | |
| Passagiere auf 55 Millionen erhöht werden soll. Bereits 2021 kann die Zahl | |
| der abgefertigten Passagiere durch den Einbau einer weiteren Gepäckanlage | |
| und eines neuen Terminals auf 33 Millionen erhöht werden. | |
| Mit seiner BER und TXL-Offensive nahm Lütke Daldrup den Tegelparteien das | |
| wichtigste Argument aus der Hand: dass Tegel bleiben müsse, weil der BER | |
| dauerhaft zu klein sei. Stattdessen gibt es nun endlich eine Perspektive | |
| für den BER – sowohl was die Fertigstellung als auch die | |
| Kapazitätserweiterung betrifft. | |
| ## Sieg der Koalition möglich | |
| Das scheint auch die Lust von SPD, Linken und Grünen zu steigern, sich | |
| offensiv ins Getümmel des Volksentscheids zu werfen. Dabei gilt es vor | |
| allem, die eigenen Anhänger zu mobilisieren, denn selbst beim grünen | |
| Wahlvolk ist die Zahl der Tegelbefürworter hoch. Rot-Rot-Grün versucht, vor | |
| allem die Zukunftskarte zu spielen. Ein neues Stadtquartier statt eines | |
| alten Flughafens. Urban Tech Republic TXL mit 9.000 Wohnungen statt | |
| Fluglärm. | |
| Sollte der Trend weitergehen und eine Mehrheit am 24. September gegen die | |
| Offenhaltung von Tegel stimmen, wäre das nicht nur eine krachende | |
| Niederlage für die Tegelparteien FDP, CDU und AfD. Rot-Rot-Grün hätte auch | |
| seinen ersten richtig großen Erfolg erzielt. | |
| 5 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
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