# taz.de -- Finanzsenator zum Tegel-Volksentscheid: „Steuerzahler müssten ei… | |
> Tegel weiter zu betreiben, ginge nur mit Subventionen, sagt Finanzsenator | |
> Kollatz-Ahnen (SPD) – und kritisiert die „Wünsch-Dir-Was“-Mentalität … | |
> Tegel-Fans. | |
Bild: Ausgerechnet die vermeintliche Wirtschaftspartei FDP setzt sich für Tege… | |
taz: Herr Kollatz-Ahnen, wie viel Geld müssen Sie noch unters Volk bringen, | |
damit die SPD bei der Bundestagswahl im September nicht ganz abschmiert? | |
Matthias Kollatz-Ahnen: . . . | |
Wir machen das gern konkret: Die SPD ist die führende Kraft der | |
rot-rot-grünen Koalition, die so viel Geld ausgeben kann wie lang kein | |
Senat – und das auch tut. Doch trotz aller Wohltaten steht sie in Umfragen | |
ganz unten. | |
Natürlich ist jeder gern beliebt – und die Berliner Senatoren der SPD sind | |
in solchen Umfragen ja nicht völlig unpopulär . . . | |
. . . aber Ihre Partei, die SPD, kommt nur noch auf 20 Prozent. Schlechter | |
war sie zuletzt 2004. | |
Ja, es wäre schon schön, wenn die Arbeit des Senats insgesamt positiver | |
wahrgenommen würde. | |
Nur jeder Vierte ist mit der Arbeit der Landesregierung zufrieden, sagt | |
dieselbe Umfrage. | |
Daran arbeiten wir, in einem medial nicht ganz einfachen Umfeld. Aber: | |
Wahlgeschenke verteile ich nicht. Michael Müller und ich verfolgen seit | |
meinem Start vor zweieinhalb Jahren einen Kurs aus Konsolidieren und | |
Investieren. Wir geben Geld für die wachsende Stadt und den | |
Investitionsrückstau aus – aber mit Bedacht und Augenmaß. | |
Trotz Ihrer Investitionspolitik ist der Senat unbeliebt, was völlig | |
unüblich ist. Können Sie uns das erklären? | |
In der Tat gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen. Ein Beispiel: Morgens, 9 | |
Uhr, schaue ich immer online, wie viele freie Termine es in Berliner | |
Bürgerämtern gibt. Ich finde immer welche. Doch der Running Gag, es gäbe | |
diese Termine nicht und die Leute müssten Monate warten, hält sich | |
hartnäckig. | |
Der Senat hat einiges angestoßen, was aber Zeit braucht: neue oder sanierte | |
Schulen oder den Bau von Wohnungen zum Beispiel. Was vielen Berlinern | |
fehlt, ist etwas Greifbares, das ihnen direkt vor Augen führt: Aha, hier | |
hat Rot-Rot-Grün etwas für mich gemacht! | |
Das haben wir doch getan. Wir haben die von Flüchtlingen belegten | |
Turnhallen frei gezogen. Und anders als in fast allen Großstädten der Welt | |
sinkt bei uns die Kriminalität im öffentlichen Nahverkehr bei der BVG. Das | |
hat auch etwas damit zu tun, dass ich als BVG-Aufsichtsratsvorsitzender | |
angekurbelt hatte, mehr Wachpersonal und Videoüberwachung einzusetzen – | |
auch gegen Skepsis aus der SPD. Zudem hat Innensenator Andreas Geisel | |
angestoßen, dass wieder Streifen mit der Polizei in der BVG unterwegs sind | |
– etwas, was es unter dem CDU-Vorgänger weniger gegeben hat. | |
Sicherlich sind Sie mit Ihren Erfolgsstorys noch nicht am Ende . . . | |
Stimmt. Woran liegt es wohl, dass aus der früheren S-Bahn-Krise keine | |
BVG-Krise mit zu wenig einsatzfähigen Wagen geworden ist? Das hat der | |
Müller-Senat auf den Weg gebracht. Wir haben Anfang 2015 U-Bahnen gekauft, | |
die jetzt geliefert werden – in einer Situation, in der alte Züge öfter | |
repariert werden müssen. Das ist doch alles sehr greifbar. | |
Ist das schlechte Image ein Verkaufsproblem des Senats? | |
Ich werde mir Ihre Anregung, mehr Marketing zu machen, zu Herzen nehmen. | |
Noch etwas anderes sehr Bürgernahes: fälschungssichere Taxameter. Wir haben | |
bisher mehr als die Hälfte aller rund 8.000 Taxis kontrolliert. In der | |
Folge ist die Zahl der Taxilizenzen, zum ersten Mal seit Langem, gesunken: | |
um 5 Prozent. Und die letzte Erfolgsstory: die Wasserpreise. Da lag Berlin | |
preislich immer im oberen Bereich. Wir haben nach dem Rückkauf der | |
Wasserbetriebe die Preise gesenkt und uns zudem entschieden, sie | |
einzufrieren. Bis mindestens 2020, vielleicht sogar 2022 wird es keine | |
Preiserhöhung geben. | |
Was Sie als Erfolge aufzählen, lässt sich überschreiben mit „sicherer, | |
sauberer, pünktlicher und billiger“. Dieses ganz Profane zieht doch | |
deutlich mehr als die hehren Begriffe von Transparenz oder Beteiligung, die | |
den Koalitionsvertrag prägen. Letztere scheinen an den Alltagsbedürfnissen | |
vorbeizugehen. | |
Jede Koalition muss sich zuvorderst darum bemühen, die Alltagsprobleme zu | |
lösen. Ich finde es auch wichtig, dass man nicht immer nur kurzfristige | |
Ziele hat – aber das Ignorieren von Alltagsproblemen wäre schlecht. | |
All diese Erfolgsmeldungen könnten am 24. September von einer Niederlage in | |
den Schatten gestellt werden: Wenn die Berliner beim Volksentscheid für | |
einen Weiterbetrieb des Flughafens Tegel stimmen. Der Optimismus, was den | |
Ausgang der Abstimmung angeht, ist selbst in Senatskreisen verhalten. Von | |
welchem Ergebnis gehen Sie aus? | |
Ich versuche, alle zu überzeugen, dieses Volksbegehren abzulehnen. Über das | |
Ergebnis unterhalten wir uns, wenn es da ist. | |
Der Senat tut sich mit der Argumentation kontra Tegel schwer. | |
300.000 Menschen – das ist die Bevölkerung einer Großstadt – werden von | |
einem vermeidbaren Lärmteppich belegt. Der ist vermeidbar, weil es die | |
Kapazität von Tegel für das Flugaufkommen in Berlin nicht braucht. Der BER | |
wird das schaffen: 2040 kann der Flughafen 55 Millionen Menschen abfertigen | |
auf zwei Landebahnen. Wenn sich die technischen Möglichkeiten bis dahin | |
verbessern – was absehbar ist – ,wird da vielleicht noch mehr gehen. | |
Es wird also keine dritte Start- und Landebahn am BER brauchen? | |
Ziemlich sicher nicht. | |
Wie sieht es mit der Wirtschaftlichkeit von zwei parallel in der Stadt | |
betriebenen Flughäfen aus? | |
Wenn es ein Flughafen schaffen kann, die nötigen Kapazitäten abzufertigen, | |
dann sind zwei Flughäfen natürlich teurer und keine Alternative. Darum gibt | |
es ja auch den Konsensbeschluss aus dem Jahr 1996, als ein Regierender | |
Bürgermeister der CDU, nämlich Eberhard Diepgen, und ein | |
Bundesverkehrsminister der CDU, Matthias Wissmann, das Ende von Tegel | |
besiegelten. Um ein Bild zu zeichnen: Zwei halbleere Busse können nicht so | |
wirtschaftlich betrieben werden wie ein voller. Laut meinen – unstrittigen | |
– Berechnungen würde der Betrieb von zwei Flughäfen zu jährlichen | |
Unterdeckungen in einer Größenordnung von bis zu 200 Millionen Euro pro | |
Jahr führen. Die Flughafengesellschaft wäre defizitär, der Steuerzahler | |
müsste einspringen. Das sollten wir vermeiden. | |
Seit diesem Beschluss sind andererseits mehr als 20 Jahre vergangen, die | |
Passagierzahlen sind seitdem immens gestiegen und alle Prognosen deuten auf | |
einen weiteren Anstieg hin. | |
Tatsächlich sind die Fluggastzahlen höher als in der Prognose, die zur Zeit | |
des Spatenstichs am BER galt. Damals, 2006, hat man zum Beispiel mit 41 | |
Millionen Fluggästen bis 2035 gerechnet, inzwischen geht man eher von 51 | |
Millionen aus. Das ist keine pessimistische Prognose. Und wie es bei | |
Prognosen ist, können auch ein paar weniger kommen. | |
Aber die Touristenwerber des Landes reden jeden Monat mehr Besucher herbei. | |
Die großen Ströme nach Berlin kommen aus den anderen großen deutschen | |
Städten. Das wird sich mehr auf die Bahn verlagern. Früher ist man zum | |
Beispiel noch von Westberlin nach Hamburg geflogen. Das macht man heute | |
nicht mehr. Wir sehen auch, dass deutlich mehr Menschen mit der Bahn nach | |
Frankfurt fahren als noch vor wenigen Jahren. Und wir werden sehen, dass | |
mehr Menschen aus München dank der neuen schnellen Verbindung mit der Bahn | |
kommen: Die Zahl der Bahnreisenden wird sich verdoppeln, die der | |
Flugreisenden auf dieser Strecke halbieren. | |
Es gibt auch andere Städte mit zwei Flughäfen. | |
Es wäre aber völlig atypisch, wenn wir den Betrieb über zwei Flughäfen | |
abwickeln würden, wenn wir es auch über einen schaffen können. In Frankfurt | |
würden die Menschen eine Debatte über einen zweiten Flughafen völlig | |
abwegig finden. | |
Die Stadt Frankfurt ist viel kleiner als Berlin. Berlin will ja immer in | |
der Liga von London, Paris oder Rom spielen. | |
Frankfurt hat aber deutlich mehr Fluggäste. München, als Stadt auch kleiner | |
als Berlin, hat seinen innerstädtischen Flughafen Riem geschlossen, als man | |
das Erdinger Moos ausgebaut hat. Aus dem Grund, weil man nicht zwei | |
Flughäfen befliegen wollte. Und weil das Sicherheitsargument wichtig war: | |
innerstädtische Flughäfen bergen immer höhere Risiken. | |
Paris hat zwei Flughäfen. | |
Stimmt. Aber der Ballungsraum von Paris hat viel mehr Einwohner als der von | |
Berlin. | |
Am Mittwoch hat Air Berlin, die viele Flüge von Tegel bedienen, Insolvenz | |
angemeldet. Ist das ein Argument gegen Tegel? | |
So bedauerlich die Insolvenz ist: Sie ist auf jeden Fall ein Argument | |
dafür, dass die Zahl der wirtschaftlich bedienbaren Flugrouten nicht nach | |
Belieben nach oben springen kann. | |
Was sagt es über die Mentalität der Mehrzahl der Bewohner einer Stadt aus, | |
wenn Argumente wie Wirtschaftlichkeit, neue Wohnungen, Lärmschutz offenbar | |
keine Rolle spielen? | |
Das heißt, dass wir die Menschen mit guten Argumenten davon überzeugen | |
müssen. Es ist aber nicht immer einfach, mit der Stimme der Vernunft | |
durchzudringen. Das ist ja eine weltweite Beobachtung: Es gibt Leute, die | |
mit einer „Wünsch dir was“-Position – von der man im Vorfeld weiß, dass… | |
nicht funktioniert – politisch punkten wollen. Einigen der Handelnden im | |
politischen Raum ist die Verantwortung abhandengekommen. Unsere Aufgabe ist | |
es, die Bevölkerung dazu zu bewegen, diesen „Wünsch dir was“-Angeboten zu | |
widerstehen. | |
Aber wir reden doch von mündigen Bürgern, nicht nur vom Stimmvieh, das der | |
CDU oder FDP auf den Leim geht. Warum zeigen sie keine Solidarität mit den | |
lärmgeplagten 300.000? | |
Ich arbeite daran, dass die Stimme der Vernunft gehört wird. | |
Wenn die Berliner Wähler sich etwas wünschten könnten, wäre das sicher, | |
dass der BER endlich fertig wird. Wahrscheinlich wäre Tegel keine große | |
Sache, wenn es die Pannenbaustelle BER nicht gäbe. | |
Das stimmt. 2012, als die groß angekündigte Eröffnung des BER abgesagt | |
werden musste, gab es kein Volksbegehren gegen die Schließung von Tegel – | |
erst jetzt, 2017, wo wir feststellen müssen, dass es immer noch nicht | |
gelungen ist, den BER zu eröffnen. Der Wunsch, dass der BER endlich öffnet, | |
ist völlig legitim. Und erst ein halbes Jahr nachdem der BER eröffnet ist, | |
wird Tegel geschlossen. | |
Rechnen Sie mit einer Fertigstellung des BER bis 2019? | |
Ja. | |
Wenn man von einer BER-Eröffnung 2019 ausgeht, dann wäre Tegel wohl bis | |
2020 in Betrieb. Muss bis dahin noch investiert werden in den Lärmschutz in | |
Tegel? | |
Das Lärmschutzgesetz in Deutschland gilt für alle Flughäfen – außer für | |
Tegel. Hier gilt eine Ausnahme bis Ende 2018. Das ist die Gesetzeslage. Ob | |
noch investiert wird, muss die Flughafengesellschaft beantworten, wenn sie | |
– hoffentlich bald – einen Eröffnungstermin nennt. | |
Aber es ist doch absehbar, dass – selbst wenn man höchst optimistisch ist – | |
die Sondergenehmigung ausläuft und Tegel noch in Betrieb sein wird! | |
Über diese Frage werden wir reden, sobald der Eröffnungstermin feststeht. | |
Sie wollen uns als verlässlicher Finanzier doch nicht sagen, dass Sie sich | |
noch keine Gedanken gemacht haben, welche Kosten für Lärmschutz dann | |
entstehen? | |
Es ist sinnvoll, dieses Thema zunächst mit der Flughafengesellschaft zu | |
bereden. Danach werden die Gesellschafter – Bund, Berlin und Brandenburg – | |
sich äußern. | |
Wir fragen auch wegen der jüngsten Prognosen, wie teuer ein Lärmschutz bei | |
einem parallelen Weiterbetrieb wäre. Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup | |
geht von 400 Millionen Euro aus. | |
Die Tegel-Fans wollen ja für Lärmschutz gar nichts ausgeben. Die sagen: Das | |
kostet nichts. Lütke Daldrup sagt, 400 Millionen Euro wären das Minimum. | |
Für einen langfristigen Betrieb und einen Schallschutz wie rund um den BER | |
müsste man 1,5 bis 2 Milliarden Euro ausgeben. | |
Welche Folgen hätte es für diese Koalition, wenn sie den Volksentscheid | |
verlieren sollte? | |
Ein verlorener Volksentscheid ist kein Grund zur Resignation. | |
Sie teilen die Einschätzung des Regierenden Bürgermeisters, dass selbst in | |
diesem Fall ein Weiterbetrieb von Tegel nicht zur Debatte steht über die | |
sechs Monate Übergangszeit hinaus? | |
In diesem Fall ist Nachdenken von allen Seiten angesagt; so habe ich auch | |
Michael Müller verstanden. Planungsgesetze zwingen zur Abwägung, die nicht | |
trivial ist. Das haben auch die Initiatoren erkannt. | |
Wieso? | |
Das Volksbegehren hätte als Gesetz formuliert werden müssen. Zu prüfen wäre | |
also, ob der Landesentwicklungsplan überhaupt geändert werden kann und wie | |
hoch die Rechtsrisiken sind. Klagerechte sind Bürgerrechte, darüber wird in | |
Berlin zu wenig diskutiert: Die Bürger würden gegen Lärm von Tegel klagen. | |
Und sie würden vermutlich recht bekommen. Umweltschutzverbände würden wegen | |
des Themas Grundwasser klagen. Es gibt in Deutschland keinen anderen | |
Flughafen, der im Grundwasserschutzgebiet liegt. Die Klagerechte bestehen, | |
und wer jetzt darüber einfach hinweggeht, verspricht zu viel. | |
Die Bürger – als Souverän – sagen aber vielleicht am 24. September: Macht | |
das so! Denen sind Ihre rechtlichen Einwände egal oder sie haben sie als | |
nicht so wichtig bewertet. Müssten Sie dem Willen der Berliner in einem | |
solchen Fall nicht folgen? | |
Nochmals: Der Volksentscheid entbindet uns nicht von der Abwägungspflicht. | |
Es kann also nicht einfach einen Weiterbetrieb in Tegel geben. Das ginge | |
nur über ein Gesetz, das aber sicher hart an der Grenze des | |
verfassungsrechtlich Zulässigen wäre oder sogar darüber hinausginge. | |
Deswegen haben die Betreiber des Volksbegehrens sich auch keinen | |
Gesetzesvorschlag zugetraut. Man braucht einen Abwägungsprozess vor einer | |
solchen Entscheidung. Den kann man nicht ersetzen, auch nicht durch einen | |
Volksentscheid. | |
17 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Bert Schulz | |
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