# taz.de -- Forschung über NS-Beamte in der BRD: Globkes Netzwerk unter der Lu… | |
> Die Bundesregierung will die NS-Belastung zentraler Behörden untersuchen | |
> lassen. Das Bundeskanzleramt ist endlich auch mit dabei. | |
Bild: Kulturstaatsministerin Monika Grütters lässt die NS-Vergangenheit zentr… | |
BERLIN taz | In zehn Forschungsprojekten will die Bundesregierung die | |
NS-Belastung zentraler deutscher Behörden aufarbeiten lassen. Wie | |
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) am Montag bekannt gab, sollen | |
sich zwei der Projekte mit dem Bundeskanzleramt beschäftigen. | |
So werden sich das Institut für Zeitgeschichte und das Zentrum für | |
Zeithistorische Forschung mit der „Aufarbeitung der Nachkriegsgeschichte | |
des Bundeskanzleramts“ befassen können. Das zweite Forschungsprojekt ist | |
bei der Universität Siegen angesiedelt und untersucht die | |
Kommunikationspraktiken und Netzwerke des Kanzleramts in den 1950er Jahren. | |
Die anderen Projekte befassen sich unter anderem mit dem inzwischen nicht | |
mehr existierenden Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und | |
Kriegsgeschädigte, der Geschichte der Landesämter für Denkmalschutz in | |
Bayern, Thüringen und Württemberg oder der „Formierungsphase der | |
Justizbehörden in den Ländern nach 1945 im deutsch-deutschen Vergleich“. | |
Auch die „Ideen und Praktiken der Demokratisierung nach 1945“ sollen | |
untersucht werden. | |
Insgesamt stellt die Bundesregierung bis 2020 Fördermittel in Höhe von 4 | |
Millionen Euro zur Verfügung. Die Auswahl der Projekte erfolgte auf der | |
Grundlage des Votums einer siebenköpfigen Expertenkommission aus | |
unabhängigen WissenschaftlerInnen, die Grütters berufen hatte. „Das Thema | |
NS-Vergangenheit der Bundeseinrichtungen hat hohe politische Relevanz“, | |
teilte die Ministerin mit. „Mit dem neuen Programm fördern wir erstmals | |
institutionsübergreifende Forschungsarbeiten, die sich nicht am Raster von | |
Behörden, Zuständigkeiten und Geschäftsbereichen orientieren.“ | |
## Überfällige Aufarbeitung | |
Genau das hält der Linkspartei-Abgeordnete Jan Korte jedoch für | |
problematisch. Zwar begrüßte er das Forschungsprogramm grundsätzlich. „Ob | |
die Summe von 4 Millionen Euro für insgesamt 10 Projekte allerdings | |
ausreichend ist, scheint mir zweifelhaft“, sagte Korte der taz. „Deshalb | |
werden wir uns die Finanzierung genauer ansehen.“ Seine Befürchtung: | |
„Hinter dem erst einmal gut klingenden ‚ressortübergreifenden Ansatz‘ | |
steckt der Versuch einer gewollten geschichtspolitischen Verwässerung.“ | |
Unterstützt von zahlreichen GeschichtswissenschaftlerInnen fordert die | |
Linkspartei seit Jahren schon eine eigene unabhängige | |
HistorikerInnenkommission zur Geschichte des Bundeskanzleramtes. „Nicht nur | |
der Fall Globke, sondern auch der Umgang mit NS-belastetem Personal in | |
Ministerien und Behörden wurden vom Bundeskanzleramt aus gesteuert“, so | |
Korte. Insofern sei die wissenschaftliche Aufarbeitung seiner Rolle | |
überfällig. | |
In einer Anhörung des Bundestagskulturausschusses im Juni 2016 hatte sich | |
die eingeladenen Sachverständigen – und zwar unabhängig davon, von welcher | |
Fraktion sie benannt wurden – einhellig dafür ausgesprochen, die Geschichte | |
des Bundeskanzleramts aufgrund seiner zentralen Bedeutung gerade in der | |
Adenauer-Ära eigenständig erforschen zu lassen. Darüber setzte sich | |
Kulturstaatsministerin Grütters indes hinweg und schrieb stattdessen im | |
November 2016 ihr ressortübergreifendes „innovatives“ Forschungsprogramm | |
aus. „Dadurch eröffnen sich der Forschung völlig neue Zugänge und | |
Perspektiven“, so ihre Begründung. | |
Es hat lange gedauert, bis sich die bundesdeutschen Institutionen bereit | |
gefunden haben, die braunen Flecken der eigenen Geschichte erforschen zu | |
lassen. Erst nach der Jahrtausendwende, als die meisten Belasteten längst | |
verstorben waren, begann in der Bundesregierung ein Prozess der | |
Aufarbeitung. Inzwischen haben siebzehn Ministerien und oberste | |
Bundesbehörden HistorikerInnenkommissionen eingesetzt, um ihre Geschichte | |
aufarbeiten zu lassen. Nicht darunter befindet sich aber bisher | |
ausgerechnet das Bundeskanzleramt, das zwischen 1953 und 1963 von dem | |
NS-belasteten Hans Globke geleitet wurde. | |
Adenauers mächtiger Staatssekretär ist eine der schillerndsten Personalien | |
in den Anfängen der Bundesrepublik. Der Name des Kommentators der | |
Nürnberger Rassegesetze, der bis 1945 in Hitlers Reichsinnenministerium | |
gearbeitet hatte, steht wie kein anderer für die Kontinuität | |
nationalsozialistischer Funktionseliten, die in der Bundesrepublik ihre | |
Karrieren fortsetzen konnten. „Das Bundeskanzleramt war die Schaltzentrale | |
für den politischen Umgang mit der NS-Vergangenheit in der frühen | |
Bundesrepublik“, konstatiert der Abgeordnete Korte. | |
15 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
## TAGS | |
Bundeskanzleramt | |
Hans Globke | |
Monika Grütters | |
NS-Forschung | |
Jan Korte | |
Jan Korte | |
Atomwaffen | |
Aufarbeitung | |
NS-Verbrechen | |
Bundeskanzleramt | |
Fritz Bauer | |
Wolfgang Schäuble | |
Bundeskanzleramt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
NS-Kontinuitäten im Bundeskanzleramt: Corona verzögert Aufarbeitung | |
Drei Forschungsprojekte, die die NS-Belastung des Kanzleramts aufarbeiten, | |
sollten eigentlich bereits abgeschlossen sein. Nun dauert es länger. | |
Recherche über Atomwaffenprogramm: Streit um Akten in Privatarchiven | |
Eine Journalistin will Dokumente über die deutsche Unterstützung der | |
israelischen Atompolitik einsehen. Das Verfassungsgericht macht ihr | |
Hoffnung. | |
Kommentar NS-Geschichte im Kanzleramt: Schaltstelle des Schweigens | |
Etliche Ministerien und Behörden haben inzwischen ihre NS-Kontinuitäten | |
aufgearbeitet. Dass sich das Kanzleramt weigert, ist grotesk. | |
NS-Kontinuitäten in deutschen Behörden: Regierung will Kanzleramt schonen | |
Kulturstaatsministerin Monika Grütters will keine eigene | |
HistorikerInnenkommission zur NS-Aufarbeitung. Dabei hätte gerade das | |
Kanzleramt es nötig. | |
Vergangenheit des Bundeskanzleramtes: Was genau tat Hans Globke? | |
Etliche Ministerien haben inzwischen braune Flecken ihrer Geschichte | |
aufarbeiten lassen. Ausgerechnet das Bundeskanzleramt fehlt bislang. | |
Fernsehfilm „Die Akte General“: Gutes Anliegen, falscher Titel | |
Ein ARD-Drama widmet sich dem legendären Staatsanwalt Fritz Bauer. Dabei | |
ist Ex-Nazi Hans Globke die Hauptfigur. | |
Schäuble und illegale CDU-Parteispenden: Adenauers Werk, Kohls Beitrag | |
„Schwarze Kassen aus der Zeit von Flick“: Beiläufig verharmlost Schäuble | |
die Zeit, in der Firmen illegal die Union finanzierten. | |
Aufarbeitung der NS-Historie: Kanzleramt blickt nicht zurück | |
Mehrere Bundesbehörden lassen ihre NS-Vergangenheit aufarbeiten – das | |
Kanzleramt nicht. In der Linkspartei hat man dafür kein Verständnis. |