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# taz.de -- Ein Thriller zwischen Berlin und Hanoi: Die Entführung des Trinh X…
> Auf offener Straße wird ein Mann in ein Auto gezerrt. Eine Woche später
> taucht er in Vietnam auf. Im Fernsehen sagt er, sich freiwillig gestellt
> zu haben.
Bild: Kampf um die Informationshoheit: Trinh Xuan Thanh am Donnerstag im vietna…
Zehn Tage lang war Trinh Xuan Thanh verschwunden, dann tritt er am
Donnerstagabend im ersten Kanal des vietnamesischen Staatsfernsehens auf,
zwischen zwei Nachrichtenblöcken, in denen Männer in grauen Anzügen vor
Ho-Chi-Minh-Statuen sitzen. Er trägt ein rotes Poloshirt, sein Gesicht ist
bleich, die Haare sind wirr, er sieht abgemagert aus.
Er sei freiwillig zurück nach Vietnam gereist, sagt er. Denn er habe
erkannt, dass er sich stellen sollte. Für die Regierung ist er ein
Verbrecher, der als Chef einer Staatsfirma eine Menge Geld
beiseitegeschafft hat.
Ist das der Wendepunkt in einem Politthriller zwischen Berlin und Hanoi?
Das Auswärtige Amt hatte am Mittwoch davon gesprochen, dass Thanh von
vietnamesischen Agenten entführt wurde, mitten in der deutschen
Hauptstadt.
Am Montag, dem 24. Juli 2017, sollte Trinh Xuan Thanh frühmorgens in der
Berliner Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf)
vorsprechen. Vor knapp einem Jahr hatte er Vietnam verlassen. Im Juni
stellte er einen Antrag auf politisches Asyl. Für den Termin beim Bamf
hatte er eigens einen Dolmetscher engagiert, der gemeinsam mit seinem
Asylrechtsanwalt bereits wartete. Der hatte ein ausführliches Dossier
vorbereitet. Sie wollten sichergehen, dass der Anhörer ihnen glaubt: Dieser
Mann braucht Asyl.
## Das Telefon ist abgeschaltet
Doch Thanh taucht nicht auf. Sein Telefon ist abgeschaltet. Seine Anwälte
reagieren sofort: Victor Pfaff, sein Asylanwalt, bittet den Anhörer des
Bamf, das Sicherheitsreferat einzuschalten, so schildert er es später.
Thanhs Berliner Anwältin Petra Schlagenhauf ruft beim Berliner LKA an. Dort
verweist man sie an den Staatsschutz. Um 10.50 Uhr schreibt sie in einer
E-Mail: „Es besteht daher die Befürchtung, dass mein Mandant von
vietnamesischer Seite entführt worden ist.“ Etwa drei Stunden später ruft
ein Mitarbeiter des Staatsschutzes zurück, sagt, dass die Anhaltspunkte
noch zu dürftig seien, um tätig zu werden. Vielleicht habe Herr Thanh ja
auch etwas mit organisierter Kriminalität zu tun, sagt der Polizist am
Telefon.
Er rät den Anwälten, eine Vermisstenmeldung aufzugeben. So erinnert sich
Petra Schlagenhauf an das Gespräch: „Ich konnte den Staatsschutz nicht
überzeugen, dass es sich um einen ernsten Fall handelt.“ Nach raschem
Handeln klingt das nicht – die Polizei verweist auf die Berliner
Staatsanwaltschaft, diese war bis zum Redaktionsschluss am Freitagabend
nicht zu erreichen.
Was Petra Schlagenhauf noch nicht weiß: Trinh Xuan Thanh wurde verschleppt.
Mehrere Zeugen hatten das Geschehen beobachtet und es längst der Polizei
gemeldet. Den Schilderungen zufolge lief es wie im Film. Sonntag, kurz nach
zehn Uhr morgens im Tiergarten, dem großen Park im Berliner Zentrum. Ein
Auto hält an, Thanh und eine Frau, die ihn begleitet, werden mit Gewalt ins
Auto gezogen, das wegfährt.
Am Tatort bleibt sein Telefon zurück. Trotzdem dauerte es noch einen
weiteren Tag, bis die Polizei der Anwältin mitteilt: Es bestehen kaum
Zweifel, dass der vietnamesische Geheimdienst einen Landsmann entführt
hatte, mitten in Berlin.
Der Geheimdienst arbeitet längst an der Legende des reuigen Täters, der
freiwillig zurückkehrt. In Thanhs Umfeld in Vietnam tauchen Männer auf mit
der Empfehlung, dass man ihn bitten möge, sich zu stellen.
## Das Regime hat die Informationshoheit verloren
Drei Vietnamesen, die in einem Büro über einem Asiamarkt in
Berlin-Lichtenberg sitzen, ist ein Coup gelungen. Die kleine Zeitung
Thoibao.de ist das Medium, das die Entführung von Trinh Xuan Thanh als
Erste berichtet – auf Vietnamesisch. Damit kommt sie der Regierung zuvor,
die Thanh als Reuigen präsentieren will. Die Zahl der Zugriffe auf die
Website hat sich seit Montag verzehnfacht, die meisten Zugriffe kommen aus
Vietnam. Das kommunistische Regime hat die Informationshoheit in dem Fall
verloren.
Die Bundesregierung regiert entschlossen. Das Auswärtige Amt weist den
Mitarbeiter des vietnamesischen Geheimdienstes an der Botschaft in Berlin
aus, der offiziell als Erster Sekretär registriert ist. Es ist die Rede von
einem „eklatanten Verstoß gegen deutsches Recht und gegen das Völkerrecht�…
Vietnam versucht auf offiziellem Weg, Thanh zu bekommen. Die Regierung
wendet sich an Interpol, spricht beim G20-Gipfel bei der Bundesregierung
vor. Einen offiziellen Auslieferungsantrag hat sie bis heute nicht
gestellt.
## Lebensgefährliche Haftbedingungen
Thanh sitzt nun im Untersuchungsgefängnis der Sicherheitspolizei in Hanoi.
Seine Familie hat keinen Kontakt zu ihm, in Vietnam vertritt ihn bislang
auch kein Anwalt. Wer einen solchen Fall übernimmt, muss selbst mit
Verfolgung rechnen. Vu Quoc Dung von der Menschenrechtsorganisation Veto
beschreibt die Haftbedingungen: „Todesfälle in Polizeihaft sind keine
Seltenheit. Es gibt Isolationshaft und Zwangsgeständnisse unter Folter.“
Und die Todesstrafe.
Thanhs Anwältin Petra Schlagenhauf hat schon einen ETA-Terroristen
verteidigt, noch nie aber einen Mann, der von seinem eigenen Staat auf
offener Straße weggefangen wurde. Seit vergangenem Jahr vertritt sie Trinh
Xuan Thanh. Dass er sich vor seinem Land fürchtet, hatte er öfter auch ihr
gegenüber geäußert. Auf ein Auslieferungsverfahren habe sich Schlagenhauf
vorbereitet: „Wir wussten ja, dass die ihn suchen, sich nach ihm umhören.“
Aber eine Entführung?
Ein ganzes Netzwerk aus Weggefährten, Anwälten und Unterstützern ist
seither aktiv. Viele davon sind selbst in Deckung. Sie wollen wissen, wie
es Thanh geht, welche Route das Auto mit dem tschechischen Kennzeichen
genommen hat, um ihn aus Europa zu bringen. Und saß er wirklich in einem
eigens gecharterten Direktflieger von Russland nach Hanoi? Irgendwann
mehren sich die Hinweise: Trinh Xuan Thanh ist zurück nach Vietnam gebracht
worden. Am Montag teilt das dann auch die vietnamesische Regierung mit.
In der Erzählung des vietnamesischen Regimes ist Thanh ein Verbrecher.
Einer, der als Vorstandschef eines Ölunternehmens zwischen 2006 und 2012
Gelder in dreistelliger Millionenhöhe unterschlagen haben soll. Noch im
Juni hatte ein Minister erklärt, man wolle Thanh finden, egal wo.
Korruption ist weit verbreitet, und wer dagegen vorgeht, ist populär.
Aber es gibt da noch ein anderes Medienbild. Seit Thanh vor elf Monaten aus
Hanoi geflohen ist, hat er sich wiederholt mit einem vietnamesischen
Blogger Huy getroffenen, einem der meistgesuchten Staatsfeinde Vietnams. In
etwa zwanzig Gastbeiträgen schildert Thanh Machtkämpfe innerhalb der
Kommunistischen Partei, der einzigen zugelassen Partei, deren
Führungszirkel er bis 2016 angehört hatte. Damals kämpften der Flügel der
Traditionalisten gegen Wirtschaftspolitiker wie Thanh – und setzen sich
durch. Thanh verlor seinen Sitz im Parlament. Darin und nicht in seinen
Machenschaften als Ölunternehmer hatte er selbst den Grund für den
Haftbefehl gesehen, den die Regierung im September vergangenen Jahres
ausgestellt hatte.
## Machtmensch, Opfer oder beides?
War Thanh ein korrupter Machtmensch, der Gelder in Millionenhöhe
unterschlagen hat, oder war er ein Opfer eines innerparteilichen
Machtkampfes? Ist beides richtig?
Als Abgeordneter bekam Thanh einen Diplomatenpass, der es ihm gestattet, in
Deutschland einzureisen und sich dort aufzuhalten. Thanh hatte schon früher
in Berlin gelebt, war häufiger für Geschäfte in Deutschland gewesen. Wie
auch seine Frau beantragte er eine Aufenthaltsgenehmigung. Sie erhielt
eine, er aber nicht. Der Grund: Es lag ein „Suchvermerk“ aus Hanoi gegen
ihn vor. So erfährt sein Asylanwalt Pfaff. Thanhs Frau hält sich immer noch
in Berlin auf.
Seine Anwältin will nur wenig über Thanhs Leben erzählen, aus Angst, es
könne sein Umfeld gefährden. Sie beschreibt Thanhs Leben als vorsichtig.
Thanh gilt als zielstrebiger, exakter Mann, so beschreiben ihn Menschen aus
seinem Umfeld. Er besitzt Wohnungen, die er vermietet. Nur einmal
unterläuft ihm ein Fehler. Für die Artikel auf dem vietnamesischen Blog
lässt er Fotos von sich schießen. Was er nicht bemerkt: Es ist zu erkennen,
wo sie aufgenommen wurden – in einem Park in Berlin. Er wollte in die
Offensive gehen und kritisieren. Jetzt muss er um sein Leben fürchten.
Berlin, Freitag, 15.15 Uhr. Die Frist, die das Auswärtige Amt dem
Geheimdienstmitarbeiter gestellt hatte, läuft ab. Danach wird er zur
Persona non grata, verliert also seinen Diplomatenstatus und seine
Immunität. Berliner Vietnamesen kennen Namen und Mobilfunknummer des
Mannes. Ein Anruf: „Ihr gewünschter Gesprächspartner ist zurzeit nicht
erreichbar.“
4 Aug 2017
## AUTOREN
Christina Schmidt
Marina Mai
## TAGS
Vietnam
Geheimdienst
Entführung
Trinh Xuan Thanh
Politische Morde
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