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# taz.de -- Politikwissenschaftler über AfD: „Gestaltung und Provokation“
> Der Politologe Wolfgang Schroeder hat die AfD in den Landtagen
> untersucht. Ein Gespräch über zerstrittene Fraktionen und
> Männerüberschuss unter den Gewählten.
Bild: AfD-Antrag fällt durch: Auf einem Monitor wird im Plenarsaal des Landtag…
taz: Herr Schroeder, im September könnte die AfD in den Bundestag
einziehen. Wie ist die Erfahrung in den Landtagen: Kommen die anderen
Parteien mit der AfD inzwischen einigermaßen klar oder sind sie noch immer
verunsichert?
Wolfgang Schroeder: Inzwischen streben alle Parteien einen mehr oder
weniger normalen Umgang mit der AfD an. Damit soll verhindert werden, dass
die AfD sich als Opfer stilisieren kann. Das ist das Resultat eines
Lernprozesses, denn die Erfahrung hat gezeigt, dass sich harte Abgrenzung
negativ auswirkt. Diese bietet der AfD die Möglichkeit, draußen Widerstand
gegen das Parlament zu mobilisieren und drinnen ihre zum Teil sehr fragilen
Fraktionen zusammenzuschweißen und somit die ihnen innewohnende
Selbstzerstörungskraft zu mindern. Letztere wirkt viel stärker, wenn die
AfD-Fraktion genauso behandelt wird wie alle anderen Fraktionen. Das kann
man in Sachsen-Anhalt sehen. Dort haben gerade drei Mitglieder die Fraktion
verlassen.
Woher kommt diese Selbstzerstörungskraft?
Die AfD ist ein Bündnis aus verschiedenen Gruppen. Alle fremdeln mit den
Zumutungen der Moderne, mit dem Kapitalismus, der Demokratie, dem
Feminismus, dem Islam. Aber diese Gruppen sind nicht homogen. Die AfD ist
der Versuch, daraus eine koalitionsfähige Struktur zu bilden.
Gelingt das?
Für die Fraktionen, die wir in unserer Studie untersucht haben, sind die
Vorsitzenden von kaum zu überschätzender Bedeutung. Manche können
Zusammenhalt herstellen, andere nicht. Es ist kein Zufall, dass mit Georg
Pazderski in Berlin und Uwe Junge in Rheinland-Pfalz zwei Militärs ihre
Fraktionen im Griff haben – anders als der Wirtschaftsprofessor Jörg
Meuthen in Baden-Württemberg.
Ist die Zusammensetzung der AfD-Fraktionen auffällig anders als bei CDU,
SPD oder Linkspartei?
Die AfD kann als Partei der Neulinge bezeichnet werden. Von den 153
Abgeordneten in den zehn untersuchten AfD-Fraktionen verfügen nur wenige
über profunde politische Erfahrungen. Es sind auch nicht nur
Überzeugungstäter und Karrieristen dabei, sondern auch Leute, die letztlich
durch Zufall in den Parlamenten gelandet sind. Auch daher rührt das
Fragile. Auffällig ist, dass vor allem im Osten viele Selbstständige dabei
sind. Was in anderen Parteien der öffentliche Dienst ist, sind bei der AfD
im Osten die Selbstständigen.
Warum?
Wir vermuten, dass die Parlamentstätigkeit für viele einen sozialen
Aufstieg darstellt. Sie waren zuvor in wenig geschützten Bereichen
unterwegs – etwa als Immobilienmakler. Das sind Leute, die das Bewusstsein
haben: Wir haben hart gearbeitet, aber nicht das erreicht, was wir wollten
und was uns zusteht. Deshalb sind sie enttäuscht vom bundesrepublikanischen
System. Es gibt noch einen anderen Typus: Der hat sein Glück bereits in
anderen Parteien versucht. Ein Viertel aller Abgeordneten war zuvor in der
CDU.
Spielen Frauen eine Rolle?
Kaum. In den AfD-Fraktionen finden sich nur 14 Prozent Frauen. Das ist ein
katastrophal geringer Wert, der den Durchschnitt von 32 Prozent in den
anderen Fraktionen weit unterschreitet. Zudem haben sie vielfach
ornamentalen Charakter. Es gibt – mit Ausnahme von Frauke Petry – keine
einzige Spitzenposition in den zehn Landtagen, die von einer AfD-Frau
bekleidet wird: keine Fraktionsvorsitzende, keine Ausschussvorsitzende,
keine Geschäftsführerin. Der Anschein, der durch die mediale Präsenz von
Frauke Petry, Beatrix von Storch und Alice Weidel erweckt wird, täuscht.
Macht die AfD seriöse parlamentarische Arbeit?
Man kann an Neulinge nicht die gleiche Erwartung stellen wie an erfahrene
Parteien. Die Fraktionen haben rasch Kleine Anfragen benutzt – die kann
man auch einfach von anderen Parlamenten übernehmen . . .
. . . also abschreiben.
Genau. Kleine Anfragen gibt es vor allem zu den Themen Migration und
Flüchtlinge. Hinzu kommen Linksextremismus, Vergangenheitsbewältigung,
Denkmäler und der öffentlich-rechtliche Rundfunk. In diesen Bereichen sind
allerdings auch Professionalisierungsprozesse zu beobachten. Zum Beispiel
halten manche Frontleute im Parlament dazu wuchtige Reden, die dann
aufgenommen und über YouTube verbreitet werden. Das nehmen die anderen
Parteien mit einer gewissen Faszination wahr. In der Ausschussarbeit
hingegen, wo es um komplexe landespolitische Sachthemen geht, gibt es
weniger oder nur schleppende Professionalisierung. Generell liegt der
zentrale Unterschied zwischen den Fraktionen darin, ob sie sich als
parlaments- oder bewegungsorientiert verstehen. Die einen wollen die
Parlamente ernst nehmen, die andere eher als Bühne nutzen.
Also machen die Fraktionen, in denen die Extremen das Sagen haben, etwa in
Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg, keine klassische
parlamentarische Arbeit?
Auf den ersten Blick – ja. Die meisten gehen davon aus, dass es für die AfD
im Parlament nichts zu holen gäbe, dass sie dort niemand wolle und die
Partei deshalb nur die Ressourcen des Parlaments für sich nutze.
Andererseits: Selbst jene, die glauben, dass das Parlament für ihre
Strategie nicht entscheidend sei, wollen nicht als Blödmänner gelten, die
noch nicht mal einen Antrag schreiben können. Von den anderen
Parlamentariern anerkannt werden wollen sie schon. Diesem Spannungsbogen
zwischen Gestaltung und Provokation können sich selbst die größten
Schreihälse nicht ganz entziehen.
Also diszipliniert das Parlament auch die Fundis?
In kleinen Dosen. Wir reden allerdings bewusst von Bewegungs- und
Parlamentsorientierung – und nicht von Realos und Fundis. Denn das würde
den Eindruck erwecken, dass das Parlament als Sozialisationsmaschine schon
wirkt und sich am Ende die parlamentarische Linie durchsetzt. So wie bei
den Grünen in den 80er und 90ern. Das ist bei der AfD aber offen.
Will sagen: Die AfD wird auch in zehn Jahren nicht mit der CDU regieren?
Wie gesagt, das ist offen. Richtig ist: Der Bezugspunkt der
parlamentsorientierten Fraktion ist die CDU der 80er Jahre. Aber dieser
Teil der AfD verfügt über keine Strategie, um sich dem Ziel,
regierungsfähig zu werden, anzunähern. Im Gegenteil: In letzter Zeit haben
radikalere Positionen außerhalb der Parlamente auf die Fraktionen
abgestrahlt, die dann im Parlament wieder schärfere Töne anschlagen. Der
Druck aus den eigenen Reihen ist groß. Die Pragmatiker sind auf einigen
Delegierten-Parteitagen ins Hintertreffen geraten. Die Strategiefähigkeit
der AfD ist gemeinhin schwach ausgeprägt.
Halten Sie eine Spaltung der Partei für wahrscheinlich?
Momentan nicht. Viele in der AfD wissen, dass eine weitere Spaltung das
Ganze gefährden würde. Deshalb erleben wir diese zyklisch wiederkehrenden
Abgrenzungsdebatten, die aber nie zu einem wirklichen Ergebnis führen.
Aus welchem Reservoir rekrutieren sich eigentlich die Nachwuchskräfte der
AfD?
Nicht zu überschätzen sind dabei die rund 150 Mitarbeiter in den
Landtagsfraktionen. Sie sind wichtig für die Professionalisierung der
Fraktionen, sie sind so etwas wie der Karriere- und Trainingspool der
zukünftigen AfD. Viele von ihnen werden demnächst selbst in Landtagen und
wohl auch im Bundestag sitzen. Zudem existieren zwei ideologische
Schlagadern: die Zeitung Junge Freiheit und das Institut für Staatspolitik
in Schnellroda. Letzteres ist besonders in Sachsen-Anhalt einflussreich,
wirkt aber auch in andere Fraktionen. Auch Burschenschaften sind wichtig.
Der Höhenflug der AfD ist mit der Entdramatisierung des Flüchtlingsthemas
vorbei, die Umfragewerte sinken. Ist das Ganze also vielleicht doch nur ein
Single-Issue-Phänomen, das wieder verfliegt?
Das glaube ich nicht. Mit der AfD ist das politische Spektrum im
parlamentarischen Raum erweitert worden. Die AfD speist sich aus
fundamentalen gesellschaftlichen Widersprüchen. 10 bis 20 Prozent der
Bevölkerung sind skeptisch gegenüber pluralistischen Gesellschaftsordnungen
und positionieren sich durch fremdenfeindliche Haltungen. So könnte der
größte Gegner der AfD ihre eigene Heterogenität sein. Wenn die AfD sich
nicht selbst zerstört, wenn sie über ein Spitzenpersonal verfügt, das
Ängste angemessen artikulieren und den Laden zusammenhalten kann, wird sie
ein Faktor bleiben. Darauf müssen wir uns einstellen.
21 Jul 2017
## AUTOREN
Sabine am Orde
Stefan Reinecke
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