# taz.de -- Netanjahus Besuch in Ungarn: Brüder im Geiste | |
> Der israelische Regierungschef versteht sich mit seinem Amtskollegen | |
> Orbán prächtig. Doch es gibt antisemitische Misstöne. | |
Bild: Ungarns Regierung plakatierte auch diese U-Bahnstation in Budapest. „La… | |
Jerusalem/Wien taz | Erstmals seit dem Fall des Eisernen Vorhangs reist ein | |
israelischer Premierminister nach Ungarn. Auf den Besuch in Budapest dürfte | |
sich Benjamin Netanjahu gefreut haben: Von seinem Amtskollegen Viktor | |
Orbán, den er am heutigen Dienstag treffen will, muss er keine Kritik an | |
Besatzung und Siedlungspolitik fürchten. Beide Regierungschefs sind sich | |
zudem einig in ihrer rechtspopulistischen Haltung und im Kampf gegen | |
radikale Islamisten. | |
Das Treffen sollte also harmonisch werden – wäre da nur nicht die Affäre um | |
George Soros. Der 86-Jährige spendet schon lange regelmäßig große Summen an | |
Organisationen, die sowohl die Politik Israels als auch die Ungarns | |
kritisieren. Seit 1984 hat der Milliardär, der als ungarischer Jude den | |
Holocaust überlebt hat, 1947 in die USA auswanderte und sein Geld mit | |
Hedgefonds und Währungsspekulationen machte, über 400 Millionen Euro für | |
liberale Projekte allein in Ungarn investiert. | |
Die Aktivitäten von Soros sind dem rechtspopulistischen Orbán schon länger | |
ein Dorn im Auge. Vor einiger Zeit hat der Politiker eine 20 Millionen Euro | |
teure Kampagne gegen Soros angeschoben: So hingen bis zum Wochenende | |
überall in Ungarn Plakate, die das lachende Gesicht des alten Philantropen | |
zeigten. „Lasst nicht zu, dass Soros zuletzt lacht!“, stand darauf. Die | |
Plakate klebten auch auf dem Boden von Straßenbahnen und öffentlichen | |
Bussen, sodass die Passagiere gezwungen waren, auf dem Gesicht von Soros | |
herumzutrampeln. | |
Ein weiteres Motiv zeigte Soros, wie er die Fäden einer Marionette mit dem | |
Gesicht des sozialdemokratischen Oppositionsführer László Botka zieht. Die | |
Plakatkampagne bediente unverhohlen antisemitische Vorurteile, was sogar | |
der sonst regierungsfreundlichen jüdischen Gemeinde Ungarns zu weit ging. | |
## Er lässt sie gewähren | |
Das Motiv mit dem Marionettenspieler ist aus der Zeit des „Dritten Reichs“ | |
inspiriert – und einige Ungarn haben die Botschaft des Posters mit dem | |
grinsenden Bösewicht so verstanden, wie sie offenbar gemeint war: Sie | |
versahen sie mit dem Zusatz „Stinkender Jude“. | |
Viktor Orbán selbst, der 1989 dank eines Soros-Stipendiums in London | |
studieren konnte, sagen nicht einmal seine Gegner antisemitische Positionen | |
nach. Doch lässt er seine Parteifreunde gewähren, wenn sie sich | |
einschlägiger Klischees bedienen. | |
Dem Protest der jüdischen Gemeinde entgegnete Orbán, die Juden sollten doch | |
froh sein, dass er durch seine Abschottungspolitik den (islamischen) | |
Antisemitismus fernhalte. | |
In Ungarn geht es bei den von Soros unterstützten regierungskritischen | |
Organisationen um die Flüchtlinge. In Israel setzen sich die Gruppierungen, | |
die Soros finanziert, für die Gleichberechtigung von Arabern und Juden ein | |
sowie für das Ende der Besetzung palästinensischer Gebiete. Soros selbst | |
zeigte sich „erschüttert über den aktuellen Gebrauch antisemitischer | |
Bildsprache als Teil der vorsätzlichen Desinformationskampagne des | |
ungarischen Regimes“. | |
Zugleich mache es ihm Mut, sagte er, „dass sich die Leitung der Vereinigung | |
der jüdischen Gemeinden Ungarns gemeinsam mit zahlreichen Mitbürgern“ klar | |
dagegen verwahrt habe. | |
Über seinen Pressesprecher Michael Vachon ließ Soros mitteilen, dass die | |
internationale Staatengemeinschaft den Entwicklungsländern, die heute 89 | |
Prozent der Flüchtlinge unterbringen, mehr Unterstützung bieten sollte. | |
Zudem forderte er, Europa solle mehrere Hunderttausend sorgfältig | |
überprüfte Flüchtlinge aufnehmen. Es ginge nicht an, so teilte | |
Soros’Sprecher weiter mit, „dass berechtigte Asylbewerber ihr Leben | |
riskieren, wenn sie das Mittelmeer überqueren, um sich in Sicherheit zu | |
bringen“. | |
## Hilfe für Minderheiten | |
Zu den israelischen Empfängern der Soros-Spenden gehört die | |
Bürgerrechtsorganisation Adalah. Diese konzentriert sich auf die Situation | |
der arabischen Minderheit im Land und hat jetzt gefordert, eine Autopsie | |
bei drei arabisch-israelischen Attentätern vorzunehmen. Die Männer hatten | |
am Freitag zwei Polizisten auf dem Tempelberg in Jerusalem ermordet, bevor | |
sie selbst von der Polizei erschossen wurden. | |
Adalah hält die Autopsie für erforderlich, um zu prüfen, ob die | |
Sicherheitsbeamten am Tatort angemessen vorgingen, als sie die drei | |
Angreifer zur Strecke brachten, oder ob sie vorschnell handelten. Ein | |
erneutes Verfahren gegen einen israelischen Sicherheitsbeamten käme der | |
Regierung alles andere als gelegen. | |
Netanjahu, so schreibt Allison Kaplan Sommer in der Tageszeitung Ha’aretz, | |
„mag sich selbst als Anführer des jüdischen Volkes betrachten, aber es gibt | |
doch Juden, die er mit ausgesprochen wenig Enthusiasmus repräsentiert. Und | |
Soros steht vermutlich ganz oben auf dieser Liste.“ | |
Netanjahu bremste den israelischen Botschafter in Budapest, Yossi Amrani, | |
als der die Plakatkampagne gegen Soros verurteilte, weil sie „nicht nur | |
traurige Erinnerungen wachrüttelt, sondern auch Hass und Angst schürt“. | |
## Einerseits und andererseits | |
So scharf wollte die Regierung in Jerusalem ihre Kritik nicht formulieren. | |
„Der Staat Israel kämpft gegen jede Form von Antisemitismus“, erklärte | |
Emmanuel Nahshon, Sprecher des israelischen Außenministeriums, auf | |
telefonische Anfrage. „Auf der anderen Seite darf das nicht als Zustimmung | |
zu Soros verstanden werden“, der viele Organisationen unterstützt, die | |
„Israels demokratisch gewählte Regierung unterminieren“. Auf keinen Fall | |
wolle Israel die Kritik der ungarischen Regierung an Soros delegitimieren“, | |
verlautete aus Jerusalem. | |
Die Plakatkampagne war nur der Höhepunkt des Feldzugs, den | |
rechtsnationalistische Politiker in Budapest gegen den von ihr als | |
Staatsfeind Nummer 1 verteufelten Soros führen. So hat das Parlament im | |
April ein neues Hochschulgesetz vorgelegt, das auf die Schließung der von | |
Soros gegründeten Central European University abzielt. | |
Und im Juni verabschiedete es ein „Transparenzgesetz“. Dieses verpflichtet | |
Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die internationale Gelder bekommen, | |
sich als „vom Ausland finanzierte Organisation“ zu registrieren. Das | |
„Transparenzgesetz“ dürfte unmittelbar von einem 2016 in Israel | |
verabschiedeten NGO-Gesetz inspiriert sein; sein Inhalt ist ähnlich. | |
## Wer da applaudiert | |
Auf der Facebookseite der Ungarn in Israel sind die Reaktionen eindeutig. | |
„Bravo Israel“, lobt ein Nutzer Israel für den Kampf gegen Soros an der | |
Seite Ungarns. Ein anderer Kommentator beschimpft Soros als „Judenhasser“ | |
und „Nazikollaborateur“. | |
Demgegenüber sind sich die Zeitungskommentare in Israel überwiegend einig | |
in ihrer Kritik am Besuch Netanjahus in Ungarn: „Wenn Antisemitismus | |
legitim wird“, lautet der Titel einer Analyse, die Yossi Dahan jetzt in | |
Ha’aretz veröffentlichte.Beide Politiker, schreibt er, teilten ähnliche | |
Vorstellungen über ein wünschenswertes Regime: eine „antidemokratische | |
Vision“. | |
Was verbindet Netanjahu und Orbán noch? Beide verfolgen ähnliche | |
Strategien, den Einfluss ihrer Kritiker systematisch zu unterdrücken, mehr | |
Einfluss über die Medien zu gewinnen und Minderheiten zurückzudrängen. Und | |
beide möchten kooperieren: Die Ungarn interessieren sich für Israels | |
erfolgreiche Abwehr afrikanischer Flüchtlinge, für Grenzzäune und Mauern. | |
Der israelische Premier wiederum hofft auf Rückendeckung der Osteuropäer | |
gegen die Kritiker der israelischen Regierungspolitik in der EU. Außerdem | |
könnte Ungarn Absatzmarkt für Israels Gas werden. | |
## Ganz neuer Sinn | |
Die gemeinsamen Interessen wiegen schwerer als der Streit über Soros. Das | |
zeigte sich auch daran, dass Netanjahu sogar die Lobrede Orbáns auf den | |
früheren ungarischen Diktator Miklós Horthy unkommentiert ließ. Horthy | |
hatte mit Hitler kollaboriert und den Abtransport Hunderttausender | |
ungarischer Juden ermöglicht. Diese Haltung empört Regierungskritiker in | |
Israel: „Bevor sich Viktor Orbán nicht persönlich und voll entschuldigt, | |
sollte Regierungschef Netanjahu seine Reise nach Ungarn absagen“, schrieb | |
der Oppositionspolitiker Yair Lapid, selbst Nachkomme eines ungarischen | |
Holocaust-Überlebenden. | |
Auch in Ungarn regt sich inzwischen Kritik. Einige Plakatsprüche sind | |
übermalt: Anstelle von Soros steht dort der Name Orbán, andernorts haben | |
Witzbolde den Text verändert. Deckt man einige Buchstaben ab, kommt ein | |
ganz neuer Sinn heraus. Etwa: „Bilden Sie keine Schlange vor den Klos!“ Mit | |
der Empfehlung: „Sie sollten sich angesichts dieser Propaganda zu Hause | |
übergeben.“ | |
18 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
Ralf Leonhard | |
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