# taz.de -- Geschichtsklitterung in Ungarn: Bashing bis zum Anschlag | |
> Für die Regierung sind die Deutschen an allem schuld. Der Holocaust und | |
> die Verteilung von Flüchtlingen werden in einem Atemzug genannt. | |
Bild: Kampagne der ungarischen Regierung gegen den US-Milliardär George Soros | |
BUDAPEST taz | Es ist ein unglaubliches Hintergrundgespräch, das Mária | |
Schmidt online gestellt hat. Darin verteidigt die ideologische Vorkämpferin | |
des ungarischen Premiers Viktor Orbán gegenüber der amerikanischen | |
Historikerin Anne Applebaum die ungarische Regierung. Die beiden waren | |
Freundinnen. Die Amerikanerin war jetzt nach Budapest gekommen, um zu | |
verstehen, warum die ungarische Wissenschaftlerin gegen den US-Milliardär | |
George Soros, Kanzlerin Angela Merkel und Flüchtlinge hetzt. | |
Mitten in diesem Gespräch voll von Unwahrheiten und bösen Unterstellungen | |
trifft einen ein Satz von Schmidt wie ein Schlag ins Gesicht. „Die | |
Deutschen haben schon einmal entschieden, mit wem wir nicht zusammenleben | |
dürfen, und jetzt wollen sie entscheiden, mit wem wir zusammenleben | |
müssen.“ | |
Schmidt verknüpft die Judenvernichtung mit der Verteilung von Flüchtlingen | |
und Schutzbedürftigen in der Europäischen Union. Sie kreidet den Holocaust | |
fälschlicherweise allein den Deutschen an, wie sie auch die | |
Flüchtlingsverteilung allein Berlin anlastet. | |
Was Anne Applebaum darauf geantwortet hat, wissen wir nicht. Denn das | |
Gesprächsprotokoll stellte Schmidt in ungarischer Fassung ins Netz. | |
Applebaum war mit der Veröffentlichung nicht einverstanden. Weil sie kein | |
Ungarisch spricht, erkennt sie die Echtheit des Textes nicht an. | |
## Monströser Satz | |
Das ändert aber nichts an diesem monströsen Satz. Die Museumsleiterin der | |
ungarischen Gedenkstätte für die Gräueltaten der Kommunisten (Haus des | |
Terrors) verschweigt die Wahrheit über das Schicksal der ungarischen Juden. | |
Als die Wehrmacht im Frühjahr 1944 ohne einen Schuss abzugeben das Land | |
besetzte, waren schon vier Judengesetze in Kraft. Das erste wurde 1920 | |
erlassen. Die ungarische Armee trieb beim Feldzug gegen die Sowjetunion | |
Tausende jüdische Mitbürger als Arbeitspflichtige in den Tod. | |
Als Adolf Eichmann 1944 nach Budapest kam, gelang die Deportation von | |
Hunderttausenden Richtung Auschwitz nur mithilfe der ungarischen Behörden. | |
Und es waren ungarische Pfeilkreuzler, die nicht hinnehmen konnten, dass | |
die Deportation der Budapester Juden misslang, und massenhaft Menschen am | |
Ufer der Donau exekutierten. | |
Es schmälert nicht die deutsche Schuld, auch die ungarische zu benennen. | |
Aber es kommt einer Leugnung nahe, wenn jemand die Vernichtung als eine | |
aufgezwungene Entscheidung charakterisiert, bei der es darum geht, wer mit | |
wem zusammenleben darf. Und Schmidt grenzt mit der Formulierung der | |
Koexistenz die assimilierten ungarischen Juden der Vorkriegszeit wieder | |
aus. | |
## Segen der Gemeinde | |
Schmidt sollte schon seit einiger Zeit das neue Holocaustmuseum von | |
Budapest leiten. Das Gebäude an einem früheren Bahnhof ist bereits seit | |
einigen Jahren fertig, aber die Regierung wagt nicht, es zu eröffnen. | |
Sie will erst den Segen der jüdischen Gemeinden in Ungarn. Diese verweigern | |
sich aber. Sie sehen die Gefahr einer Geschichtsfälschung. Schmidt hat | |
jetzt noch ein weiteres Argument geliefert, ihr das Museum nicht | |
anzuvertrauen. | |
6 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Gergely Márton | |
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