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# taz.de -- Freie Medien in Ungarn: „Orbán hat immer noch Hunger“
> Das Ende der Tageszeitung „Népszabadság“ zog sich über Monate hin. Es
> steht stellvertretend für das, was der freien Presse im Land droht.
Bild: Solidarität mit der alten „Népszabadság“-Belegschaft: Protest vor …
Diese Woche vor vier Monaten erschien Népszabadság zum letzten Mal. Obwohl
wir es damals noch nicht wissen konnten, wurde die letzte Ausgabe eine
Zusammenfassung all der Korruptionsgeschichten, die wir zuletzt monatelang
recherchiert hatten. Artikel über eine politische Elite, die luxusgeil,
machtbesessen und unendlich arrogant geworden war.
Was die anderen Korruption nennen, sei die Essenz der ungarischen
Regierungspolitik, sagte der Chefideologe des Ministerpräsidenten Viktor
Orbán allen Ernstes. Um András Lánczi zu verstehen, muss man sich in
Ungarn auskennen (oder in Russland, oder in der Türkei). In diesen Ländern
bemüht sich die Politik vornehmlich darum, alle Ressourcen des Landes dazu
zu nutzen, befreundete und treu ergebene Oligarchen aufzupäppeln, die dann
einen Teil ihres Vermögens für den Erhalt der Macht verfeuern.
Orbán will sicherstellen, dass die Mehrheit der Banken, Handelsketten und
Medien im Land in ungarische Hand gelangen, ausländische Investoren sollen
verdrängt werden. Dazu werden Sondersteuern für bestimmte Akteure und
Gesetze gegen unliebsame Konkurrenz erlassen.
Vor allem aber werden die europäischen Fördergelder missbraucht. Man kann
schreiben, dass deutsche SteuerzahlerInnen die Einstellung von
Népszabadság mitfinanziert haben. Es hört sich populistisch an, ist aber
die Wahrheit. Ungarn ist nach Polen der zweitgrößte Profiteur des
europäischen Strukturfonds. Das Geld fließt in große Infrastrukturprojekte.
Dort versickern unheimliche Summen in den Taschen regierungstreuer
Unternehmer. Für diese Selbstbereicherung bringen sie Gegenleistungen. Zum
Beispiel kaufen sie die Medien des Landes auf – und bringen sie stramm auf
Linie.
Der berühmteste dieser Unternehmer heißt Lőrinc Mészáros. Der gelernte
Gastechniker führte ein unscheinbares und bescheidenes Leben, bis sein
ehemaliger Klassenkamerad Viktor Orbán im Jahr 2010 an die Macht kam.
Seitdem kann er keine Ausschreibung mehr verlieren. In den letzten sieben
Jahren katapultierte er sich in die Riege der reichsten Menschen des
Landes. Er ist inzwischen Bürgermeister in Orbáns Heimatdorf Felcsút.
## Gegen die Wand gerannt
Nach dem, was wir bei Népszabadság recherchiert haben, kaufte Mészáros
unsere Firma schon im Frühsommer 2016. Offiziell unterzeichneten die
Beteiligten das Geschäft aber erst im Oktober, nach der Schließung der
Zeitung. Zuvor sollte der Österreicher Heinrich Pecina – seit 2014 im
Besitz unserer Zeitung – noch zwei Dinge für Mészáros erledigen: Er gab im
vergangenen Sommer seinen Namen, damit die Funke Gruppe ohne
Gesichtsverlust aus Ungarn aussteigen konnte. Das deutsche Verlagshaus
konnte seine vier Regionalblätter einem Österreicher verkaufen statt dem
dubiosesten Oligarchen, den Ungarn zu bieten hat. Auch bei der Népszabadság
spielte der Wiener Gentleman den Sündenbock und stellte sie zehn Tage vor
seinem offiziellen Rückzug aus dem ungarischen Medienunternehmen ein. Er
gab finanzielle Gründe für die Schließung an. Das kann nur eins bedeuten:
Man hat ihn dafür fürstlich entlohnt.
In den vergangenen vier Monaten machten sich die Medienverwalter von
Mészáros daran, all seine Publikationen gleichzuschalten. Mit zwölf
Regionalblättern dominiert sein Unternehmen den Zeitungsmarkt. Der Anteil
zentral verfasster Inhalte in den Regionalblättern wurde massiv erhöht, die
redaktionelle Freiheit so enorm eingeschränkt. ChefredakteurInnen wurde
untersagt, diese Inhalte in irgendeiner Form zu bearbeiten. So kann ein und
dasselbe Interview mit Viktor Orbán in allen Zeitungen von Mészáros
gleichzeitig und in identischer Form erscheinen. Die einzige
Sporttageszeitung des Landes macht unter Mészáros Propaganda für die
verschwenderische Olympiabewerbung Orbáns um die Spiele 2024 in Budapest.
Das hauseigene Wirtschaftsblatt redet derweil die Zahlen schön. Und als ob
das nicht genug wäre, kaufte Mészáros vor einigen Monaten auch noch einen
Fernsehsender.
Oft dachte ich die letzten Monate, dass wir bei Népszabadság noch Glück
gehabt hatten. Die KollegInnen vor allem bei den Regionalblättern haben nur
zwei Optionen: mitmachen oder gleich den Beruf wechseln. Doch dann sind wir
selbst gegen die Wand gerannt.
Wir wollten ein neues Projekt auf die Beine stellen. Zuerst waren wir
zuversichtlich; die Einstellung von Népszabadság war aus unserer Sicht
wirtschaftlich unsinnig. Das Blatt war Marktführer, die Auflage
überflügelte alle Konkurrenten zusammengerechnet, der Umsatz war solide.
Auch den Druck durch einen möglichen Anzeigenboykott fürchteten wir für
einen Neustart nicht. Schon Népszabadság hatte kaum Inserate gehabt. Die
Grundidee war ziemlich einfach: Es gab eine Leserschaft, die zu zahlen
bereit war, und die JournalistInnen und RedakteurInnen, die diese Menschen
bis zum Oktober mit Inhalt beliefert hatten, waren arbeitslos. Die
Belegschaft war bereit, mit noch weniger als früher Geld auszukommen.
Nur einen Investor fanden wir nicht, der es auch gewagt hätte. In den Augen
potenzieller Geldgeber waren wir die Redaktion, für deren Verstummen Orbán
einen internationalen Skandal auf sich genommen hat. In den Augen vieler
reicher Menschen und Medienschaffenden Ungarns käme es einer
Kriegserklärung gleich, uns zu unterstützen. „Wer in Medien investieren
will, sollte keine anderen Interessen in Ungarn verfolgen.“ Das sagte
Sándor Csányi, der reichste Ungar, im Herbst in einem Forbes-Interview. Wer
auf freie Presse setzt, wird angegriffen.
## Selektive Medienkrise
Die meisten MitarbeiterInnen von Népszabadság heuern in diesen Wochen bei
den verbliebenen freien Medien im Land an. Wir fühlen uns wie Eisbären am
wegbrechenden arktischen Eis. Zunehmend frustriert nehmen wir zur Kenntnis,
dass die Fläche, die uns noch Freiheit bietet, von Woche zu Woche
schrumpft. Ein Kollege sagte neulich bei einer Demonstration: „Tausende
Menschen arbeiten für ungarische Medien; aber wundersamerweise betrifft die
Medienkrise allein die 300 JournalistInnen, die der Regierung die Stirn
bieten würden.“
Und es gibt kein Aufatmen. Ende Januar ist auch Figyelő gefallen. Das
Wochenblatt mit dem Schwerpunkt Wirtschaft wurde Ende 2016 von der
offiziellen Geschichtsverbiegerin Orbáns aufgekauft. Die Historikerin Mária
Schmidt versprach damals Qualität, Augenmaß und Fairness. Ende Januar
zeigte sie, was sie darunter versteht: Die Wochenzeitung bekam drei
Aufseher, einer von ihnen ist Abgeordneter der Orbán-Partei Fidesz, der
andere der Sohn des schon erwähnten Chefideologen Lánczi. Die Hälfte der
Belegschaft hat inzwischen gekündigt.
Gespannt richten sich nun alle Augen auf Index, das größte Internetportal
des Landes, und auf Magyar Nemzet, nach Népszabadságs Einstellung die
größte ungarische Tageszeitung. Orbán will keine bedeutenden freien Medien
mehr dulden. Er denkt, mit Donald Trumps Sieg sei auch die letzte Stütze
der ungarischen Presse und der Zivilgesellschaft gefallen: Washington.
Brüssel oder Berlin fürchtet er schon lange nicht mehr.
Orbán hat den Kampf um die Einstellung von Népszabadság in diesen Tagen
ganz leise gewonnen. Und er hat immer noch Hunger.
10 Feb 2017
## AUTOREN
Gergely Márton
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