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# taz.de -- Fake-Interview mit Viktor Orbán: Ein Inside-Job
> Satire oder „Sabotage“? Unbekannte haben ein Orbán-Interview in einer
> Lokalzeitung gefälscht. Vier Mitarbeiter wurden entlassen.
Bild: Was du nicht sagst!
Budapest taz | „Ich saß gerade beim Weihnachtsessen mit meiner Familie, als
das Handy klingelte. Unser Geschäftsführer war dran und sagte, wir sollten
sofort in die Redaktion kommen, weil jemand einen Sabotageakt gegen die
Zeitung verübt habe“, erzählt Ernö Klecska, Redakteur des ungarischen
Regionalblattes Fejér megyei Hírlap. So begann der Albtraum am 24.
Dezember.
Klecska lebt zusammen mit seiner Kollegin und Chefin Csilla Hajnal in der
Stadt Székesfehárvár, etwa 50 Kilometer von der Hauptstadt Budapest
entfernt. Dort befindet sich auch die Redaktion.
Bei dem Sabotageakt geht es um ein Interview mit Ungarns Regierungschef
Viktor Orbán. Dessen Freund, der erfolgreichste ungarische Oligarch Löricz
Mészáros, den die Oppositionsparteien meist als Orbáns Strohmann
bezeichnen, hat Ungarns größten Medienkonzern Mediaworks von dem
Österreicher Heinrich Pecina gekauft. So ist es kein Wunder, dass in allen
zwölf Mediaworks-Blättern das zentral redigierte Orbán-Interview am 24.
Dezember veröffentlicht wurde. Einzig in der Zeitung Fejér megyei Hírlap
ging offensichtlich etwas schief.
So wurden dem Orbán-Interview – offenbar von einem Insider – satirische
Verfälschungen hinzugefügt. Zum Beispiel wurde Orbáns Aussage, Ungarn sei
deshalb ein stabiles Land, weil die Regierung das Volk regelmäßig nach
dessen Meinung befrage, wie folgt ergänzt: „Obwohl diese Meinung uns gar
nicht interessiert hat.“
## Eine Leiche in der Toilette
Eine weitere Verfälschung bezieht sich auf den jüngsten Fund einer Leiche
in der Toilette eines Budapester Krankenhauses, die dort bereits mehrere
Tage gelegen hatte – für viele in Ungarn ein Symptom für den maroden
Zustand des Gesundheitswesens. Zu Orbáns Ankündigung: „Auch die Löhne der
Krankenschwestern werden wir 2017 und 2018 beständig anheben“, erfand der
Anonymus den Zusatz, dass auch die Zahl der Krankenhaus-Leichen steigen
werde.
„Es gibt mehrere Verschwörungstheorien, aber wir wissen jetzt nicht, welche
Variante richtig ist. Aber wir werden vor das Arbeitsgericht gehen, um
unsere Rechte zu verteidigen“, sagt Klecska. Er und die Chefredakteurin der
Regionalzeitung Fejér Megyei Hírlap wurden sofort an Weihnachten entlassen.
Klecska meint, es sei auch möglich, das der Sabotageakt ein Angriff auf den
Geschäftsführer, Miklós Szabó, gewesen sein könnte. Szabó hatte die Firma
Pannon Lapok Társasága GmbH (PLT) mit einigen weiteren Kapitalgebern kaufen
wollen. Aber das klappte nicht, weil das Medienunternehmen Mediaworks
schneller war und die PLT von der deutschen Funke-Mediengruppe erwarb.
Das Medien-Unternehmen Mediaworks war auch Besitzer der Tageszeitung
Népszabadság, einst das wichtigste Oppositionsblatt des Landes. Der
damalige österreichische Eigentümer hatte die Népszabadság jedoch Anfang
Oktober geschlossen, ehe er die Mediaworks-Holding zwei Wochen später an
ein Firmengeflecht verkaufte, das der Orbán-Freund, der Oligarch Lörincz
Meszáros kontrolliert.
## Befragung mit dem Lügendetektor
Nach dem Erscheinen des verfälschten Interviews mussten alle Mitarbeiter
der vier PLT-Zeitungen an einer Befragung teilnehmen. Die Chefredakteurin
Csilla Hajnal berichtet, sie sei gefragt worden, ob sie auch mit einen
Lügendetektor zu Antworten bereit sei.
„Es geht um Einschüchterung“, sagt Klecska. Zu der PLT gehören fünf
Tageszeitungen. Alle diese Zeitungen sind durch ein Redaktionssystem
verbunden. So wäre es etwa auch möglich, dass jemand von einem Computer des
im westungarischen Veszprem erscheinenden PLT-Blattes Veszprém megyei Napló
aus in das Redaktionssystem des Fejer Megyei Hirlap eingegriffen hat.
Aber nach Angaben Klecskas und eines Informatikers habe jemand mit dem
Passwort eines Korrektors, der im Urlaub war, in den System eingegriffen.
Und doch rollten auch beim Napló Köpfe: die Chefredakteurin und der IT-Chef
wurden gefeuert.
29 Dec 2016
## AUTOREN
Tibor Rácz
## TAGS
Ungarn
Viktor Orbán
Presse
Satire
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