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# taz.de -- Mediziner über Musiker-Krankheiten: „Üben kann Nebenwirkungen h…
> Macht Musik krank oder glücklich? Der Querflötist und Neurologe Eckart
> Altenmüller über die Erforschung des Hörens und des Musizierens.
Bild: Für ihn selbst war Üben immer selbstverständlich: Eckart Altenmüller …
taz: Herr Altenmüller, auf dem Weg zu Ihnen habe ich über Kopfhörer Musik
gehört. Hätten Sie mir davon abgeraten?
Eckart Altenmüller: Nein, das ist gut für Sie. Musik hat ja viele Wirkungen
und solange Sie sich dabei wohlfühlen, ist das nur gut. Und mit den meisten
Geräten kann man gar nicht zu laut Musik hören.
Sie erforschen Musiker-Krankheiten. Welche sind typisch?
Hier am Institut machen Schmerzprobleme den weitaus größten Teil aus. Wir
sehen etwa viele Geiger und Bratscher mit Schulterbeschwerden, Pianisten
mit chronischen Rückenschmerzen oder Gitarristen mit klassischer
Sehnenscheidenentzündung.
Klingt, als wäre es gesünder, keine Musik zu machen.
Na ja, zu viel Musik ist nicht gesund, zu wenig aber auch nicht. Solange
Sie Ihr Instrument mit Freude spielen, haben Sie eine größere
Gesundheitschance, eine etwas längere Lebenserwartung und auch Ihr Gehirn
bleibt erwiesenermaßen jünger. Interessant ist jedoch, dass die Hirne von
Berufsmusikern wiederum ebenso schnell altern wie die von Nichtmusikern.
Sie sind Professor für Musikphysiologie. Wie haben Sie sich für die
Kombination aus Medizin und Musik entschieden?
Das war eine Verkettung von glücklichen Zufällen. Ich habe erst zwei Jahre
Medizin studiert, und wurde dann von meinem Flötenlehrer in Paris ermutigt,
auch Musik zu studieren. Als ich beide Studien abgeschlossen hatte, begann
ich in der Hirnforschung die Unterschiede von Musiker- und
Nicht-Musikergehirnen zu untersuchen. Das faszinierte mich so, dass ich den
Facharzt für Neurologie machte. Der nächste Zufall: Als ich meine
Habilitation abgeschlossen hatte und Oberarzt an der Uni-Klinik in Tübingen
war, flatterte 1992 eine winzige Stellenanzeige auf meinen Schreibtisch:
„Institut für Musikphysiologie in Hannover zu besetzen…“.
Ist diese Spezialisierung einzigartig?
In dieser Kombination gibt es nur noch wenige Menschen in der Welt. Etwa
Professor Alexander Schmidt in Berlin, mein ehemaliger Mitarbeiter und
Doktorand, hat das gleiche Profil: Er ist Pianist und Neurologe.
Und was ist nun Ihr Kerngeschäft?
Als Neurologe habe ich viel mit Musikerdystonie zu tun. Diese
schwerwiegende Krankheit bedeutet den Verlust der Feinmotorik. Das heißt,
dass gerade professionelle Musiker, meistens zwischen 35 und 45 Jahren,
Fehlbewegungen entwickeln, die sie nicht kontrollieren können.
Woran liegt das?
Hintergrund ist, dass die Steuernetzwerke für Muskelaktivierung im Gehirn
durch zu viel Üben unpräzise werden. Das trifft vor allem Menschen, die
erst in der Pubertät angefangen haben, Musik zu machen und dann sehr viel
spielen.
Naheliegender wäre, dass das Musizieren nicht wieder verlernt wird – wie
Fahrradfahren.
Das ist bis auf Ausnahmen auch richtig. Besonders interessant an der
Dystonie ist, dass sie die Grenzen unseres Nervensystems aufzeigt.
Ständiges Üben kann – anders als oft behauptet – auch Nebenwirkungen mit
sich bringen. Dieses Phänomen kennen wir übrigens auch von Croupiers im
Casino, die unter hohem Zeitdruck Chips sortieren müssen. Oder beim Golfen,
wenn bei einfachen Putts die Hände zu zittern beginnen.
Lässt sich solchen Berufskrankheiten vorbeugen?
Prävention ist ein zentrales Ziel des Instituts. Wir bringen unseren
Studierenden bei, Angst- und Stresssituationen zu vermeiden. Dafür brauchen
sie von Beginn an Freude an ihrem Instrument. Erst dadurch kann eine
intrinsische Motivation entstehen. Studenten, die vor Angst zerfließen oder
zu Perfektionismus neigen, nehmen wir darum gar nicht erst auf.
Was genau lernen die Musikstudierenden bei Ihnen?
Einen bewussten Umgang mit dem eigenen Körper: Sport, ausreichend Pausen
und Schlaf, nicht Rauchen, wenig Alkohol, Stressmanagement. Natürlich
müssen auch sie täglich vier Stunden üben, um ihre Feinmotorik auf höchstem
Niveau zu halten. Genauso wichtig ist aber, dass sie sich selbst mental und
körperlich pflegen.
Wie kommt es, dass Sie ausgerechnet in Hannover forschen und lehren?
Das Institut entstand durch die visionäre Haltung von Professor Richard
Jakoby, Präsident der Hochschule von 1979 bis 1993. Er glaubte, dass die
Wissenschaft auch Musikern helfen kann, ihre Potentiale besser
auszuschöpfen. Hannover ist aber schon lange einer der wichtigsten Musik-
und Hörstandorte Europas: Neben der Hochschule gibt es zahllose
Bildungseinrichtungen, Musiker- und Patientengruppen, die sich um das Hören
kümmern. Mit ihnen haben wir uns zur „Hörregion Hannover“
zusammengeschlossen. Natürlich gehört da auch dazu, dass wir
Unesco-Weltmusikstadt sind; oder die weltweit erfolgreiche Musikindustrie,
Sennheiser etwa oder die Kind-Hörgeräte. Noch dazu haben wir an der
Medizinischen Hochschule das „Cochlear Implant Centrum“, wo tausenden
Menschen das Hören wiedergegeben wird.
Waren Sie selbst ein Wunderkind?
Ich habe sieben ältere Geschwister, die alle Musik gemacht haben. Das wurde
mir also in die Wiege gelegt. Ab fünf Jahren bekam ich Klavierunterricht
und mit neun durfte ich ein zweites Instrument auswählen: die Querflöte.
Leider musste ich dann noch ein paar Jahre warten, weil meine
Flötenlehrerin mich erst nach dem Durchkommen der zweiten Zähne
unterrichten wollte.
War Ihnen das ständige Üben nie zu viel?
Nein, das war eine Selbstverständlichkeit. Ich war immer fasziniert von
Klängen. Meine Klavierlehrerin war eine schlesische Gräfin, ich habe sie
verehrt. Und wenn ich zuhause am Klavier improvisierte und mein Vater
nebenan gearbeitet hat, hat er immer die Tür zu seinem Büro aufgemacht. Wir
haben nie darüber gesprochen, aber seine Teilhabe an meinem Spiel hat mich
total motiviert.
Wie steht es heute um die musikalische Bildung?
Die familiäre Musiksozialisation mit Kinderliedern und Singspielen nimmt
ab, auch weil viele Eltern nicht singen wollen, schließlich ist dies sehr
intim, man zeigt gewissermaßen sein Innerstes. Neue Umfragen zeigen aber,
dass viele Jugendliche sich etwa mithilfe von Youtube selbst Instrumente
beibringen. Diese nicht-formale Musikalisierung nimmt zurzeit wohl enorm
zu.
Wie können unmusikalische Eltern ihre Kinder an die Musik heranführen?
Fangen Sie nicht zu bald mit Instrumentalunterricht an, ab sechs Jahren
wäre es schon früh. Und dann kommt es vor allem auf eine gut ausgebildete
Lehrerin an, die das Kind als autonom wahrnimmt, also zum Beispiel selbst
Lieder auswählen lässt. Wichtig ist dabei auch der soziale Faktor: Für mich
als jugendlicher Flötist war es geradezu berauschend, im Orchester zu
spielen, auch weil ich immer wieder herauszuhören war.
Warum dann zunächst das Medizinstudium?
Es war schon der Einfluss meiner Eltern und Geschwister, die Risiken eines
künstlerischen Berufs richtig einschätzten. Damals habe ich einfach nicht
das Selbstvertrauen gehabt, mich ganz auf eine künstlerische Laufbahn zu
werfen. Und nach dem Studium fand ich die Mischung aus Wissenschaft und
Kunst so faszinierend, dass ich das nicht aufgeben wollte
Wie sehen Sie die oft beklagte „akustische Verschmutzung“?
Ich gehe gezielt in Restaurants, in denen keine Musik läuft. Ich glaube,
dass wir auch hier sensibilisiert sind. Vor 20 Jahren befürchteten viele,
dass alle taub werden, die Walkmans nutzen – passiert ist nichts. In der
Zwischenzeit achten auch meine Studierenden darauf, ihr Gehör zu schonen.
Und selbst Rockmusiker regeln ihre In-Ear-Kopfhörer bei Konzerten stark
herunter.
Hören Sie beim Frühstück Musik?
Nein, ich höre zuhause ganz selten, dann aber gezielt Musik. Beim
Zubereiten des Frühstücks höre ich meistens Nachrichten im Radio, beim
Frühstück selbst lese ich gerne die gute alte, auf Papier gedruckte Zeitung
– da bin ich ein Dinosaurier.
Ist Musikhören für Sie überhaupt noch ein Vergnügen?
Natürlich höre ich beruflich sehr viel Musik. Noch lieber als Musik zu
hören, mache ich aber selbst welche. In der Regel bleibt die motivierende
Kraft von Musik bei Profis das ganze Leben bestehen, so bislang auch bei
mir.
Haben Musiker-Krankheiten wie Überlastung nicht vor allem gesellschaftliche
Ursachen?
Ja, es ist deprimierend, dass das durchschnittliche Einkommen eines
Orchestermusikers nur 11.000 Euro beträgt.* Und trotzdem sagen 90 Prozent
der Musiker, dass sie es wieder genauso tun würden. Wir bieten am Institut
Weiterbildungen für Berufsmusiker hierzu an. Auch die Arbeitsbedingungen
sind mittlerweile deutlich besser geworden.
Gibt es aktuelle Ergebnisse aus Ihrer Forschungsarbeit?
Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass Musiker mit absolutem Gehör zu
Autismus neigen. Nun wollen wir systematisch untersuchen, welche
autistischen Züge unsere Studierenden haben, um sie dann mit dem Gehör
autistischer Kinder zu vergleichen. Auch noch nicht erforscht ist, dass das
absolute Gehör mit der Zeit schlechter werden kann.
Können auch musikalische Laien von Ihrer Forschung profitieren?
Ja, wir arbeiten zum Beispiel mit Senioren, die noch nie Musik gemacht
haben. Hier wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit herausstellen, dass
diejenigen, die regelmäßig Klavier spielen, gerade im Alter eine höhere
Lebensqualität haben und dabei die relative Alterung des Gehirns langsamer
sein wird.
Demenz kann also vorgebeugt werden, indem viel Musik gemacht und gehört
wird?
Wer Musik macht, hat einen eindeutigen Vorteil. Musik zu hören, reicht aber
nicht aus. Um fit zu bleiben, benötigt es die emotionale Beteiligung und
die anspruchsvollen körperlichen Impulse des Musizierens. Daher ist auch
Tanzen sehr gut, um der Demenz vorzubeugen.
Kann Musik Krankheiten heilen?
Musiktherapie kann die Heilung vieler Erkrankungen unterstützen, besonders
dadurch, dass sie positive Emotionen erzeugen kann und Lebenskraft gibt.
Längst bewiesen ist auch, dass Parkinson durch rhythmische Stimulation und
Tanzen verbessert wird. Und nach Schlaganfällen erholt sich die Motorik von
musizierenden Patienten deutlich schneller.
Welche Musik hören Sie am liebsten?
Das ist bei mir sehr wechselnd. Ich höre gerne Lieder, etwa von Schumann.
Und Flötenmusik, da ich selber Flötist bin. Ich höre gerne auch mal
Jazz-Klassiker wie Art Tatum. Im Autoradio höre ich manchmal auch gerne
Pop. Über Helene Fischer wird ja viel gelästert, aber sie ist eine tolle
Sängerin.
Worauf könnten Sie eher verzichten: Musik oder Medizin?
Die Medizin. Ich glaube, die Musik brauche ich. Und dabei ist es mir am
wichtigsten, selbst zu musizieren. Vor 40 Jahren hätte ich das anders
beantwortet, aber ich bin auch froh, wenn ich die Arbeit mit Patienten nach
35 Jahren bald abgeben kann.
*(Anmerkung: Herr Altenmüller hat um die Berichtigung einer seiner Aussagen
gebeten: Das Jahresdurchschnittseinkommen eines freischaffenden Musikers
liegt demnach bei 11.000 Euro, das eines Orchestermusikers bei rund 50.000
Euro.)
11 Jul 2017
## AUTOREN
Kornelius Friz
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Musik
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