# taz.de -- Blockierte rechtsextreme Demo in Berlin: Gescheiterte Strategie der… | |
> Die Demo der Neonazis kommt nur 600 Meter weit – wegen linker Blockaden. | |
> Dies ist ein schwerer Schlag für die selbsternannten neurechten | |
> Strategen. | |
Bild: Sie waren wirklich viele: Künstlerprotest gegen die Identitären am Sams… | |
Um 17.30 Uhr sind die Würfel im Wedding gefallen: Der Berliner Chef der | |
„Identitären Bewegung“, Robert Timm, erklärt die Demonstration unter | |
Buhrufen von mehr als 500 Personen für beendet. Der Demonstrationszug der | |
Rechtsextremen, der sich am Samstag kurz vor 15 Uhr vom Gesundbrunnen in | |
Bewegung gesetzt hatte und gerade einmal 600 Meter schaffte, steckt zu | |
diesem Zeitpunkt schon knapp zwei Stunden an der Ecke Brunnen-, Demminer | |
Straße fest – wegen antifaschistischer Blockaden. Der groß angekündigte | |
Aufmarsch ist zum Fiasko geworden für die selbst ernannte neurechte | |
Avantgarde. | |
Die Identitären sind eine extrem rechte Jugendbewegung, die ihre Wurzeln in | |
Frankreich hat und in den letzten Jahren vor allem in Österreich stark | |
wurde. Ihre Demonstration am Samstag in Berlin stand unter dem Motto | |
„Zukunft Europa – Für die Verteidigung unserer Identität, Kultur und | |
Lebensweise“. | |
Die bewegungsreichsten zehn Minuten der rechten Demonstration folgen, | |
nachdem Timm die Demonstration für beendet erklärt hat: Ein Großteil der | |
Identitären rennt kurz darauf schreiend Richtung Bahnhof Gesundbrunnen | |
zurück. Auf dem Spurt kommt es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen | |
zwischen AnwohnerInnen, Identitären sowie Polizei; und auch Weddinger | |
Jugendliche stellen sich den Rechten in den Weg. | |
Erst an der Gustav-Meyer-Allee, nach 300 Metern, bekommt die Polizei die | |
Lage langsam wieder unter Kontrolle. Identitäre greifen Beamte an, sie | |
versuchen, den Kessel zu durchbrechen, lassen sich dann aber doch von der | |
Polizei zurück zum Startpunkt der Demonstration am Gesundbrunnen begleiten | |
und in S-Bahnen setzen. | |
Für die Gegner der Rechten hatte der Tag mit mehreren Demos begonnen. Eine | |
startete um 12 Uhr von Leopoldplatz im Wedding mit dem Ziel Bernauer | |
Straße, wo sie sich in zivilen Ungehorsam wandeln sollte – so die | |
Veranstalter*innen vom Berliner Bündnis gegen Rechts im Vorfeld der | |
Demonstration. | |
Vereinzelte Gruppen lösten sich jedoch schon früher von der Demonstration, | |
um an Blockadepunkte zu gelangen. Das Ziel, die Demonstration der | |
Identitären vorzeitig zu beenden, war vorher offen kommuniziert worden: | |
„Wir werden die Identitären blockieren, unser Ziel ist der zivile | |
Ungehorsam“, sagte Aaron Brickmiller, ein Sprecher des Bündnisses. | |
Auch „Die Vielen“, eine Gruppe von Künstler*innen, hatte eine „Glänzende | |
Demo“ unter dem Motto „Solidarität statt Identität“ angemeldet. Sie | |
startete um 14 Uhr von der Alten Münze und führte ebenfalls in die Route | |
der Rechten. Am Samstagnachmittag waren so insgesamt mehr als 2.000 | |
Personen an Gegenprotesten und Blockaden beteiligt. | |
Am Startpunkt der Demo der rechten „Jugendbewegung“ war der hohe | |
Altersdurchschnitt auffällig. Ein Zeichen dafür, dass in verschiedenen | |
extrem rechten Milieus mobilisiert wurde: Laut dem Bündnis Berlin gegen | |
rechts lud auch die NPD ein; Lutz Bachmann und andere Pegida-Anhänger | |
wurden gesichtet. Lothar und Elisabeth Upadeck, 64 und 59 Jahre alt, waren | |
für die Demonstration aus Weisweiler bei Aachen angereist „für unsere | |
Kinder“ und den „Erhalt unserer Heimat“. Beide beklagten sich über die | |
Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, die das Volk ignoriere. Die Identitären | |
seien jene Gruppe, die ihre Antwort auf die Politik der Kanzlerin zum | |
Ausdruck bringe: „Aussortieren und abschieben“. | |
Der Chef der österreichischen Identitären, Martin Sellner, sprach von der | |
Unfähigkeit des „politischen Establishments“. Redebeiträge gab es auch vom | |
Berliner Identitären-Chef Robert Timm und Paula Winterfeldt. Winterfeldt | |
zeichnete ein Horrorszenario eines von gewaltsamen Migranten überschwemmten | |
Europas – ein zentrales Phantasma der Identitären. Nach Angaben der | |
deutschen Organisatoren folgten Personen aus Polen, Tschechien, Österreich, | |
Frankreich, den Niederlanden und Italien dem Aufruf der Berliner | |
Identitären. Lorenzo Fiato, Sprecher der italienischen Sektion, war aus | |
Mailand angereist. | |
Fiato erzählte von einer Kampagne zur Gründung einer eigenen NGO, die alle | |
Tätigkeiten auf dem Mittelmeer blockieren wolle, die zum Ziel haben, | |
Geflüchtete zu retten: „Eine NGO wie Greenpeace, mit eigenen Booten und | |
einer professionellen Crew“, beschreibt er die Kampagne. Im Mai hatten | |
italienische Identitäre kurzzeitig ein Schiff der Hilfsorganisation „SOS | |
Mediterranee“ am Hafen von Catania blockiert. | |
Dass der Tag für die aus ganz Europa angereisten Rechten jedoch dort | |
endete, wo er begann, ist ein großer Erfolg für die antifaschistische und | |
linke Szene Berlins. Allein die offensichtlich gut organisierten und | |
zahlreichen Blockaden sorgten für das frühzeitige Ende des extrem rechten | |
Aufmarsches. Zur Heldin des Tages wurde die über-70-jährige Berliner | |
Politiaktivistin Irmela Mensah-Schramm, die sich an einer Sitzblockade | |
beteiligte und intensiv mit den Polizisten verbal auseinandersetzte, die | |
sie wegtragen wollten. Am Sonntagmorgen konnte die Pressestelle der Polizei | |
noch keine Angaben über Festnahmen machen. | |
Lautstark war auch der Protest der vor allem migrantischen Anwohner*innen | |
im Wedding. Die Polizei versuchte die zeitweilig explosive Stimmung | |
zwischen Rechten und Anwohner*innen unter Kontrolle zu halten. Weil sie | |
aber beide Seiten nicht konsequent voneinander trennte, kam es zu | |
vereinzelten Auseinandersetzungen. Interessante Szenen spielten sich ab, | |
als sich Teilnehmer*innen der rechten Demo im türkischen Supermarkt und an | |
einer türkischen Imbissbude versorgten. Burak Isikdagoglu, 30 Jahre alt, | |
konfrontierte eine Gruppe älterer Demoteilnehmer mit dem Paradoxon: „Gegen | |
Türken sein und beim Türken einkaufen?“ Vier augenscheinliche Neonazis, die | |
sich in den Gartenbereich eines Dönerladens setzten, wurden vom Besitzer | |
und Anwohner*innen entschlossen gebeten, den Ort zu verlassen – und taten | |
dies unter polizeilicher Aufsicht. | |
Insgesamt war der Samstag ein erfolgreicher Tag für Berlin, das sich gerne | |
mit seiner kulturellen Vielfalt rühmt, in dem extrem Rechte in der jüngsten | |
Vergangenheit aber oft genug demonstrierten konnten, ohne auf | |
vergleichbaren Widerstand zu treffen. Für die europaweite Identitäre | |
Bewegung war der Abbruch ihrer Demo ein herber Rückschlag, der nur schwer | |
mit ihrem Selbstbild zu vereinbaren ist: Ihr Plan, sich von der | |
herkömmlichen extrem rechten Szene durch Strategie und Aussehen zu | |
unterscheiden, ist nicht aufgegangen. Und genau wie in Wien ist sie auch in | |
Berlin nach wenigen hundert Metern blockiert worden. | |
18 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
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