| # taz.de -- Rechtsextremismus in Anklam: Brandsätze und Hakenkreuze | |
| > Der „Demokratiebahnhof“ wurde von Rechten attackiert – zuletzt mit | |
| > Molotowcocktails. Jugendliche hätten dabei sterben können. | |
| Bild: Der Demokratiebahnhof organisiert Konzerte gegen Rechtsextremismus. Dafü… | |
| Anklam taz | Das Tor zur Insel Usedom, die Hansestadt Anklam, ist lange | |
| verschrien als Hochburg einer etablierten rechten Szene. Doch es gibt Licht | |
| am Ende des Tunnels. Der „Demokratiebahnhof“, jüngst ausgezeichnet durch | |
| Kulturstaatsministerin Monika Grütters mit dem Sonderpreis „Kultur öffnet | |
| Welten“, ist ein solches. Das Jugendhaus bietet Platz für Begegnungen: | |
| junge Menschen und Geflüchtete finden hier ein kulturelles Angebot, | |
| besuchen politische Veranstaltungen, diskutieren und tauschen sich aus. | |
| Hier wird darüber nachgedacht, wie eine demokratische Zivilgesellschaft | |
| geschaffen werden kann, die sich extrem rechten Umtrieben vor Ort in den | |
| Weg stellt. Das Projekt wurde in der Urteilsbegründung des abgelehnten | |
| NPD-Verbotsverfahrens erwähnt – als Beispiel, weshalb die rechtsextreme | |
| Partei kein Verbot brauche, um endgültig in der Bedeutungslosigkeit zu | |
| versinken. | |
| In Anklam sind NPD, Kameradschaften und Junge Nationale allgegenwärtig. | |
| Erst Mitte Mai haben Unbekannte Hakenkreuze an die Fassade des Bahnhofs | |
| gemalt. Und zuletzt, in der Nacht vom zehnten auf den elften Juni, wurden | |
| zwei Brandsätze in die Halle geworfen. Als gegen drei Uhr morgens die | |
| Molotowcocktails auf dem Fliesenboden des Bahnhofs landeten, schliefen | |
| Jugendliche dort: sechs der neun Anwesenden waren zwischen 16 und 19 Jahren | |
| alt. Durch die Fenster soll dies von außen zu sehen gewesen sein, wie Klara | |
| Fries, 23 Jahre alt, Mitbegründerin des Jugendzentrums, sagt. | |
| Obwohl laut Fries rechtsextreme Beweggründe offensichtlich seien, wollte | |
| die Staatsanwaltschaft mutmaßliche Verstrickungen in die rechte Szene am | |
| vergangenen Donnerstag nicht kommentieren. Nach ihren Angaben gibt es keine | |
| neuen Hinweise über die Täter, ebenso wenig über Nachlässigkeiten in der | |
| Spurensicherung, von denen Fries sprach. | |
| ## Unprofessionelle Reaktion der Polizei? | |
| Weil sie in der Nacht einige der Farbbomben, die von Angreifern auf das | |
| Gebäude geworfen wurden, vergaß, sei die Polizei am nächsten morgen nochmal | |
| gekommen, erzählt Fries. „Es rufen immer wieder neue Personen von der | |
| Polizei an, deren Wissenstand über den Fall gering ist“. Als | |
| „unprofessionelle Reaktion“ bezeichnet sie die aus ihrer Sicht unsensibel | |
| abgelaufene Polizeiarbeit vor Ort. | |
| Im Gespräch mit der taz betonte sie, dass die demokratische | |
| Zivilgesellschaft in Anklam wachse – auch aufgrund der Initiative ihres | |
| Projekts. Viele Anwohner*innen zeigten sich interessiert und bereit, sich | |
| gegen antidemokratische und extrem rechte Aktivitäten zu engagieren: „Die | |
| Menschen wollen die Augen nicht mehr verschließen vor den organisierten | |
| Rechten, aber auch Personen mit rechten Einstellungen“, sagt sie. Ihr | |
| Projekt unterstütze diese Menschen und bemühe sich um die Aufklärung der | |
| örtlichen Jugend. | |
| Ihr Projekt, so Fries weiter, sei von einem niederschwelligen und | |
| inklusiven Zugang überzeugt: „Wir schmeißen keine Jugendlichen raus, weil | |
| sie Klamotten von Thor Steinar tragen“. Besser sei es, die Jugendlichen zu | |
| fragen: „ Woher kommt dieses Denken?“. Die Gespräche wären nicht selten | |
| erfolgreich. Der Zugang sei wichtig, denn: Vor allem die „Jungen | |
| Nationaldemokraten“, die Jugendorganisation der NPD, sei in Anklam | |
| erfolgreich darin, Jugendliche für sich zu gewinnen: auf der Straße, in | |
| Camps und bei Veranstaltungen. | |
| ## Wiederholte Einschüchterungsversuche von rechts | |
| Gerade weil sich der Demokratiebahnhof auf diese Jugendlichen beziehe, sei | |
| er ein Dorn im Auge der örtlichen rechten Szene: „Von Anfang an gab es | |
| Einschüchterungsversuche“. Die NPD habe Pressemitteilungen über sie | |
| veröffentlicht, dabei die Namen der im Demokratiebahnhof engagierten | |
| Personen aufgeführt. 2014 sei der Höhepunkt der Denunziationsversuche | |
| gewesen. | |
| Seither sei ruhiger um die rechten Hetzer geworden: „Weil das unserer | |
| aktivste Zeit war“, vermutet Fries. Der Brandanschlag beendete diese | |
| vermeintliche Ruhe. Aber auch in jener ruhigen Phase gab es Hetzen in | |
| sozialen Medien, Pöbeleien von rechtseingestellten Jugendlichen und | |
| eingeschlagene Scheiben. Einmal, als gerade Geflüchtete da waren, seien | |
| zwei Jugendliche in den Bahnhof gekommen und hätten randaliert. | |
| Für Fries ist der Brandanschlag einer auf die auflebende Zivilgesellschaft | |
| im Ort und die rege Vernetzung gegen rechtes Gedankengut. Sie fühlten sich | |
| aber auch als Personen angegriffen, sagt Fries. „LOBBI“, eine Einrichtung | |
| für Opfer von rechter Gewalt unterstütze sie mit psychologischer und | |
| juristischer Beratung. „Es ist psychisch nicht leicht, das einfach | |
| wegzustecken“, sagt Fries. Trotzdem stehe für sie und die anderen fest: | |
| „Wir machen weiter!“ | |
| 19 Jun 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jann-Luca Zinser | |
| Volkan Ağar | |
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