| # taz.de -- Pro und Contra zur Schulreform: Zurück zum Langsam-Abi? | |
| > Nun denkt auch die Hamburger CDU darüber nach, das Turboabitur wieder | |
| > abzuschaffen. Soll G 9, die Abiturprüfung nach neun Jahren, zurückkommen? | |
| Bild: Auf dem beschwerlichen Weg zum Abitur: Schüler bei einer Prüfung | |
| ## Pro | |
| G9 tut gut. Das sogenannte Langsam-Abi nach 13 Schuljahren gibt | |
| SchülerInnen mehr Zeit zu lernen und öffnet Räume für neue Lerninhalte wie | |
| digitale Bildung. Dass immer mehr Eltern die Abkehr vom Turbo-Abi fordern | |
| und fast alle Bundesländer inzwischen zu G 9 zurückkehren, zeigt deutlich: | |
| Hamburgs rot-grüne Koalition, die an dem Turbo-Abi festhält, ist dabei, | |
| sich zu isolieren und damit das Ziel bundesweit vergleichbarer | |
| Schulbedingungen zu sabotieren. Auf Dauer aber wird sich Hamburg dem Trend | |
| nicht entziehen können und es ergibt Sinn, die Rückkehr zu G 9 | |
| vorausschauend zu gestalten, statt sich zum Jagen tragen zu lassen. | |
| Die Argumente der G-9-Gegner sind seltsam defensiv und greifen sehr kurz. | |
| Wenn auch das Gymnasium neun Jahre zum Abi braucht, ist die schwächelnde | |
| Stadtteilschule ihres herausragenden Alleinstellungsmerkmals beraubt und | |
| damit dem Untergang geweiht, lautet ihre Kernthese. Im Klartext: Um die | |
| Stadtteilschule zu retten, muss am Gymnasium das Turbo-Abi bleiben, egal, | |
| ob das Sinn ergibt oder nicht. | |
| Dabei können die Probleme der Stadtteilschule nicht über G 8 oder G 9 | |
| gelöst werden: Weil allein die Stadtteilschule die Herausforderung der | |
| Inklusion und Flüchtlingsbeschulung schultern muss und ihre Schülerschaft | |
| extrem heterogen ist, vertrauen viele Eltern ihren Nachwuchs dieser | |
| Schulform nicht an. So landen schon heute fast alle besseren Viertklässler | |
| auf dem Gymnasium – eine sich selbst verstärkende Tendenz, die die | |
| Stadtteilschule mehr bedroht als die Abschaffung des Turbo-Abis. | |
| G 9 allerorten öffnet eine Perspektive: Es gibt dann keine Begründung mehr, | |
| eine künstliche Trennung zwischen Gymnasium und Stadtteilschule | |
| aufrechtzuerhalten. Der Weg zur Schule für alle wäre frei. Beliebte und | |
| unbeliebte Schulen wird es auch dann noch geben und in Othmarschen andere | |
| Lernbedingungen als in Billstedt. Doch dieses Gefälle gilt es ganz | |
| unabhängig von G 8 oder G 9 zu verringern. | |
| ## Contra | |
| Die CDU will jetzt auch in Hamburg gestresste Gymnasialkinder entlasten, | |
| indem sie ihnen ein Jahr mehr Zeit zum Lernen lässt. Was so | |
| menschenfreundlich klingt, würde direkt in die Katastrophe führen: Wenn man | |
| die Gymnasialzeit auf neun Jahre verlängerte und alles andere ließe, wie es | |
| ist, verlören die Stadtteilschulen ihren einzigen Konkurrenzvorteil | |
| gegenüber dem Gymnasium. Die Folge: Auch die letzten Kinder mit | |
| Gymnasialempfehlung würden lieber gleich aufs Gymnasium gehen, und ein | |
| Gutteil jener, die die Empfehlung nur knapp verpasst haben, dazu. | |
| Bislang ist es Abwägungssache: Ist mein Kind schon so weit, dass es ab der | |
| fünften Klasse knallhart Leistung bringen kann? Oder braucht es noch ein | |
| bisschen Zeit, um sich zu entwickeln? Im zweiten Fall nehmen Eltern die | |
| Nachteile vieler Stadtteilschulen in Kauf: eine häufig eher schwierige | |
| Sozialstruktur, MitschülerInnen mit Sprachproblemen, die Lasten einer | |
| mangelhaft ausgestatteten Inklusion, die die Stadtteilschulen bislang quasi | |
| allein tragen. Und nicht zuletzt die Unruhe, die in den Klassen entsteht, | |
| wenn nach zwei Jahren die von den Gymnasien „abgeschulten“ Kinder in den | |
| Stadtteilschulen aufgenommen werden, demotiviert und in ihrem | |
| Selbstwertgefühl beschädigt. | |
| Dass die Stadtteilschulen unter diesen Umständen überhaupt Kinder zum | |
| Abitur bringen, und das sogar in steigender Zahl, ist sensationell. Wenn | |
| nun auch das Gymnasium G 9 anbietet, können die Stadtteilschulen ihre | |
| Oberstufen zumachen. Sie würden zu Restschulen verkommen: Haupt-, Real- und | |
| Sonderschulen in einem, ohne jede Aufstiegsperspektive. Nur wenn einem das | |
| wurscht ist, kann man G 9 am Gymnasium fordern. | |
| Wer G 9 für alle möchte, muss eine Schule für alle wollen, die optional zum | |
| Abitur führen kann. Da die CDU das nicht will, gibt es nur eine andere | |
| Option: Ein „echtes“, klar zugangsbeschränktes G-8-Gymnasium für die | |
| Leistungselite, G 9 für den ganzen Rest, dann eben an der „Schule für fast | |
| alle“. | |
| 6 Jun 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Marco Carini | |
| Jan Kahlcke | |
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