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# taz.de -- Kolumne German Angst: Die Angst vor der Wüste um uns
> Kasimir Malewitsch rettete seine Kunst vor 90 Jahren nach Deutschland –
> und verlor sie genau dort. Heute findet man seine Symbole überall wieder.
Bild: Angst vor Avantgarde? Wahrscheinlich, denn die Deutschen liefen an den Ku…
Als Kasmir Malewitsch, der Begründer des Suprematismus, vor 90 Jahren, im
Juni 1927 endlich ein Visum erhielt, war er erleichtert. Endlich konnte er
über Warschau nach Berlin reisen, wo er bei der „Großen Berliner
Kunstausstellung“ siebzig Gemälde ausstellte. In der Sowjetunion war die
Luft dünn für ihn geworden – schon 1926 war sein Staatliches Institut für
künstlerische Kultur geschlossen worden.
Der Künstler war den Sowjets mehr und mehr als Formalist und bourgeois
verschrien: Wie schließlich sollte der Proletarier das Ende der
Gegenständlichkeit, wie die Null-Form verstehen? Der Backlash nach dem Hoch
der Utopien, der Avantgarde von 1917 war brutal. In Deutschland drehte
Malewitsch dem Bauhaus Dessau den Essay „Die gegenstandslose Welt“ an, der
bald in den Bauhaus-Büchern von Walter Gropius und László Moholy-Nagy
erschien.
Darin heißt es: „Als ich im Jahre 1915 in meinem verzweifelten Bestreben,
die Kunst von dem Ballast des Gegenständlichen zu befreien, zu der Form des
Quadrats flüchtete und ein Bild, das nichts als ein schwarzes Quadrat auf
weißem Felde darstellte, ausstellte, seufzte die Kritik und mit ihr die
Gesellschaft: ‚Alles, was wir geliebt haben ist verloren gegangen: Wir sind
in einer Wüste … Vor uns steht ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund!‘“
Und die Herausgeber? Distanzierten sich im Vorwort, sie freuten sich über
die Veröffentlichung des Essays, „obwohl es in grundsätzlichen Fragen von
unserem Standpunkt abweicht“.
Für Malewitsch eine Enttäuschung, hoffte er doch, am Bauhaus arbeiten, die
Sowjetunion verlassen zu können. Wie Kandinsky oder Lissitzky. Aber der
gestalterische Zugang des Konstruktivismus war dem Bauhaus doch näher als
das radikale Nichts des Suprematismus.
## Von den Behörden zurückbeordert
Und so nahm die Geschichte ihren Lauf. Noch vor Ende der Ausstellung wurde
Malewitsch von den sowjetischen Behörden aus Deutschland zurückbeordert.
Rund hundert Werke, Schriften, Skulpturen und Gemälde hinterlegte er bei
Bekannten. Ausgerechnet Deutschland schien ihm sicherer als die zunehmend
totalitäre Sowjetunion, wo er um sein Werk fürchtete.
Doch Malewitsch sah die hundert Stücke nie wieder. Unter großem Druck
kehrte er sogar zur figurativen Malerei zurück. 1935 starb er. Die Gemälde
lagen in deutschen Kellern herum, überdauerten die Nazis, einige gelangten
in die USA, andere wurden 1951 wiederentdeckt und für lachhafte 120.000
Mark an das Stedelijk Museum in Amsterdam verscherbelt. Die Erben in
Russland bekamen erst 2008 eine Hand voll der Gemälde – damit der Rest in
Amsterdam verbleiben konnte.
Es ist ein wenig bekannter Krimi des 20. Jahrhunderts, der das Ende der
russischen Avantgarde, der Kasimir Malewitsch ganz eng an Deutschland
bindet. Die „nackte Ikone“ indes ist längst nicht mehr nackt, sondern
schmückt alles Mögliche: das Schwarze Quadrat in der Werbung; das rote
Kreuz in der Popkultur; ein schwarzer Kreis im Design. Und so hat
Malewitsch Deutschland quasi doch noch heimgesucht. Während die
Rehabilitierung der Avantgarde in Russland anhält.
13 Jun 2017
## AUTOREN
Sonja Vogel
## TAGS
Kunst
Sowjetunion
Bauhaus
Kunst
Holocaust
Beton
Urlaub
Benjamin Netanjahu
Schwerpunkt AfD
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