# taz.de -- Ex-Militanter zu politischer Vergangenheit: „Er ist da schon sehr… | |
> Matthias Borgmann, einst Mitglied der Revolutionären Zellen in Berlin, | |
> über Hans Schefczyks Roman „Das Ding drehn“, die Wendezeit und echte und | |
> fiktive Agenten. | |
Bild: Berliner Polizisten sichern am 16.01.1991 das Gelände um die angebombte … | |
taz am Wochenende: Herr Borgmann, wie lange waren Sie in Haft? | |
Matthias Borgmann: Ich wurde im April 2000 verhaftet und war dann bis | |
Februar 2002 in Untersuchungshaft. 2004 erging das Urteil, ich bekam vier | |
Jahre und drei Monate, und als es 2006 rechtskräftig wurde, musste ich 2007 | |
in den offenen Vollzug der Anstalt Hakenfelde in Berlin. | |
Als Sie verhaftet wurden, waren Sie Leiter des Akademischen Auslandsamts | |
der Technischen Universität in Berlin. Was wurde Ihnen zur Last gelegt? | |
Allgemein: Mitgliedschaft bei den Revolutionären Zellen. Und konkret: Da | |
ging es um die Beteiligung an mehreren Anschlägen der RZ in der zweiten | |
Hälfte der 80er Jahre, die sich vor allem gegen Rassismus und | |
bundesdeutsche Flüchtlingspolitik richteten. | |
Die Revolutionären Zellen (RZ) existierten als militante Gruppierung in | |
Westdeutschland bis Ende der 1980er/Anfang der 1990er. Wie unterschieden | |
Sie sich zu den anderen nach 1968 entstandenen Gruppen wie RAF oder | |
Bewegung 2. Juni? | |
Es gab eine Frühphase der RZ in den 1970er Jahren, zu der ich wenig sagen | |
kann und die zur Abspaltung des sogenannten internationalistischen Flügels | |
führte. Ich kann für Mitte/Ende der 1980er Auskunft geben. Da bestanden die | |
RZ aus verschiedenen Gruppen, die eher sozialrevolutionäre Positionen | |
vertraten. Gegen uns als Berliner Zelle wurde wegen niedrigschwelliger | |
Sprengstoffdelikte ermittelt, bei denen keine Personen zu Schaden kommen | |
sollten. Aber auch wegen der Knieschüsse auf den damaligen Leiter der | |
Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, 1986, sowie den Vorsitzenden | |
des Asylsenats am Berliner Bundesverwaltungsgerichts, Karl Günter | |
Korbmacher, 1987. | |
Weswegen begingen die Berliner RZ diese Attentate? | |
Wir machten diese Personen damals für die unmenschliche Abschiebesituation | |
verantwortlich. Es war immer wieder zu Todesfällen von Flüchtlingen und | |
Asylbewerbern in Abschiebehaft gekommen. Dafür haben wir jemanden wie | |
Hollenberg in der Verantwortung gesehen. Und Korbmacher, der hatte als | |
Richter spektakuläre Urteile gegen Menschen gesprochen, um sie auch in | |
Länder abschieben zu können, wo gefoltert wird. In den 1980er Jahren, als | |
Helmut Kohl regierte, herrschte ein sehr aggressiver nationalistischer Ton. | |
Soeben ist im Transit Verlag der Roman „Das Ding drehn“ von Hans Schefczyk | |
erschienen. Darin geht es um eine finale Gelderpressung einer fiktiven | |
„Anarchistischen Zelle“. In dem Roman ist diese fiktive Gruppierung nach | |
1989 und Mauerfall von der Geschichte überholt. Sie benötigt aber dringend | |
Bargeld, um ihre im Ausland abgetauchten und von der Polizei gesuchten | |
Mitglieder weiter versorgen zu können. Das erinnert ziemlich an die | |
wirkliche Geschichte der RZ, die sich mit einer solchen Lage tatsächlich | |
konfrontiert sahen? | |
Ja, literarisch beschreibt der Roman ziemlich gut die Situation, in der | |
sich die RZ damals befanden. Die einzelnen Zellen hatten sich Ende der | |
1980er Jahre weitgehend aufgelöst oder waren in Auflösung begriffen. Aber | |
diejenigen, die polizeilich gesucht wurden und deswegen im Ausland mit | |
anderen Identitäten in einer Art Exil lebten, konnten sich ja nicht so | |
einfach auflösen. Nach ihnen wurde weiter gefahndet. Und wenn dein Netzwerk | |
wegbricht, musst du dein Überleben in Freiheit anders sichern. Akzeptable | |
Rückkehrangebote werden ja bis heute nicht gemacht. | |
Das Prinzip der RZ war, aus einer legalen Existenz heraus, nebenbei | |
heimlich illegal zu operieren. Man bezeichnete Sie auch gerne als | |
„Feierabendterroristen“? | |
Ja, aber bereits Ende der 1970er Jahre musste eine erste Anzahl von | |
Menschen die Bundesrepublik verlassen, da sie sich von einer Festnahme | |
bedroht sahen. Das gleiche geschah 1987, als das Bundeskriminalamt gegen | |
die RZ intervenierte und einige gerade noch abtauchen konnten. Insgesamt | |
drehte es sich um einen Kreis von bis zu zehn Personen. | |
Warum blieben diese als Illegale nicht in der Bundesrepublik aktiv, wäre | |
das nicht für alle günstiger gekommen? | |
Na ja, preiswerter wäre das nicht unbedingt gewesen. Außerdem war der | |
Fahndungsdruck in der Bundesrepublik sehr hoch. | |
Hans Schefczyks Roman hat diesen Plot mit einer finalen Geldbeschaffung: | |
Wie realistisch ist das, wie nah an den Ihnen bekannten RZ-Historien | |
gebaut? | |
Er ist da insgesamt schon sehr nah dran. Wobei es meines Wissens eine | |
solche Geldbeschaffungsaktion, die Erpressung eines großen Textilkonzerns | |
aus Geldgründen, nie gegeben hat. Es gab diverse Aktionen der Roten Zora, | |
einer feministischen Gruppe, die mit den RZ kooperierte. Die setzten den | |
Textilkonzern Adler 1987 unter Druck, damit der seine unfairen Produktions- | |
und Arbeitsbedingungen in Südkorea verändert. Dem Konzern drohte neben | |
einem hohen Sach- auch ein hoher Imageschaden, er lenkte ein. Insofern mag | |
dies vielleicht der Ausgangspunkt des Romanplots sein, wird aber in eine | |
ganz andere fiktive Richtung getrieben. | |
Ihre Verurteilung und die Ihrer Mitstreiter in Berlin beruhte auf den | |
Aussagen eines Kronzeugen. In der realen RZ-Geschichte werden Sie von Ihrem | |
langjährigen Mitstreiter Tarek Mousli verraten. In Hans Schefczyks „Das | |
Ding drehn“ ist es anders, die Geschichte wirkt heroischer: Der an die | |
Gruppe herangeführte Polizeiagent fliegt auf und wird von seiner Geliebten, | |
der linken Revolutionärin, in einer splatterhaften Szene zur Strecke | |
gebracht. Genugtuung ob eines solchen literarischen Endes? | |
Nein. Die Geschichte ist ja anders angelegt als in unserem Fall. Der | |
Polizeiagent wird von außen eingeschleust. Das war bei uns nicht so. | |
Jedenfalls meines Wissens nach nicht. Bei einem Kriminalroman muss der | |
Autor außerdem ein Stück weit zuspitzen, Gegenspieler einführen. Neben den | |
Militanten gibt es den Agenten und seinen Vorgesetzten, den Konzernchef und | |
sein Personal. Alles Teil eines klassischen Krimiplots. Mit der Genugtuung | |
einer späten literarischen Rache hat das für mich nichts zu tun. Tarek war | |
zudem so gestrickt, dass der, wo auch immer er sich jetzt dank | |
Zeugenschutzprogramm des BKA aufhält, so was von unglücklich sein wird, | |
dass er sich in so einen Mist manövriert hat. | |
Klar, ein Romancier hat viele Freiheiten. Und man kann auch nicht die | |
Fiktion eins zu eins auf eine faktische Geschichte beziehen. Trotzdem ist | |
es interessant, Vergleiche zu ziehen. Schefczyk konstruiert sich einen | |
Agenten, der von außen in die Gruppe der Militanten eindringt. Das ergibt | |
ein relativ klares Profil eines Undercover-Agenten. In Ihrem realen Fall | |
wird ein anerkanntes langjähriges Mitglied der militanten Szene umgedreht. | |
Wäre es nicht viel spannender, facettenreicher über die Gründe einer | |
solchen Abkehr, eines solchen Bruchs und des daraus resultierenden Verrats | |
literarisch zu spekulieren? | |
Sicherlich kann ich mir vorstellen, dass das auch spannend wäre. Ich | |
persönlich bräuchte das noch nicht einmal als Roman. Ich würde sehr gerne | |
genauer verstehen, was damals in Tarek Mousli vorgegangen ist. Ich glaube | |
auch nicht, dass das, was in den Ermittlungsakten zu Mousli steht, nur | |
halbwegs der Wahrheit entspricht. Irgendetwas neben der RZ-Geschichte muss | |
Tarek Mousli für die Fahnder erpressbar gemacht haben. Als er 1999 | |
verhaftet wurde, hat er dem Druck doch etwas sehr schnell nachgegeben. Er | |
hat die Kronzeugenregelung und den Zeugenschutz wohl aus Gründen in | |
Anspruch genommen, die nichts mit den RZ zu tun haben. | |
In welche Richtung spekulieren Sie? In Ihrer Szene galt er doch als | |
verlässliche Größe? | |
Ja, aber in finanziellen Dingen nicht. Im Umfeld seines Sportstudios wurde | |
mit Waffen gehandelt. Zudem hatte er Kontakte zu bestimmten kurdischen | |
Kreisen. Ebenso zu Leuten, die mit Ost-West-Geldwäsche zu tun hatten, der | |
großen Stasi-Geldverklappung. Mit solchen Milieus ist nicht zu scherzen. | |
Irgendwo da dürfte der Grund zu finden sein. | |
1991 kam es zu jener von heute aus bizarr wirkenden Aktion der Berliner | |
Revolutionären Zelle. Sie versuchten, die Siegessäule in Berlin zu | |
sprengen. Warum das? | |
Die Siegessäule galt uns als Symbol des Militarismus. Jetzt kann man sich | |
darüber streiten, wie sinnvoll die Aktion war. Aber nach 1989 beobachteten | |
wir ein starkes Anwachsen des Nationalismus. Sogar der preußische | |
Hohenzollern-König wurde noch einmal umgebettet. Und es gab den zweiten | |
Golfkrieg. Ob das alles sehr glücklich argumentiert war, sei dahingestellt. | |
Die letzte Aktion von einer RZ-Gruppe, die ich kenne, war dann der Angriff | |
auf eine BGS-Außenstelle in Frankfurt (Oder), um die Stromversorgung im | |
Einreisebereich zu zerstören. | |
Ihre Gruppierung versuchte, anders als die RAF, Todesopfer zu vermeiden. | |
Dennoch setzten Sie symbolisch auf Gewalt als Mittel der Politik in einer | |
Gesellschaft wie der Bundesrepublik. Wäre es für einen Roman nicht | |
gewagter, sich an die Widersprüche dieser aus 1968 hervorgegangenen Politik | |
zu machen, als die Front literarisch mit dem Plot – verratene Guerillera | |
beseitigt Agenten, der sich als Geliebter an sie schlich – eher wieder zu | |
schließen? | |
Ich würde dies nicht so interpretieren. Der Roman hat seine eigene Logik. | |
Der fiktive Agent wechselt ja auch die Fronten, ist hin- und hergerissen | |
zwischen der Loyalität zu seinem Auftraggeber und zu der weiblichen | |
Hauptfigur, Ronja, in die er sich verliebt. Er hintergeht beide. Wenn es | |
nach ihm ging, würde er sich mit Geld und Liebe aus dem Staub machen. | |
5 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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