# taz.de -- Ex-Shooting-Star der Hamburger SPD: Falsche Zeugen, fingierte Bewei… | |
> Seit sieben Jahren wird gegen Bülent Çiftlik vor Gericht verhandelt. Am | |
> Anfang ging es nur um eine Scheinehe. Inzwischen geht es um viel mehr | |
Bild: Bülent Ciftlik mit seinen VerteidigerInnen Gabi Heinecke und Florian Mel… | |
HAMBURG | taz Man kennt sich. Seit Jahren. Wie bei einem Familientreffen | |
geht es zu. Alle sind gekommen: Bülent Çiftlik und seine beiden | |
VerteidigerInnen, die Richter der 6. Großen Strafkammer des Hamburger | |
Landgerichts, die Pressevertreter, die das Strafverfahren seit Anfang des | |
Jahrzehnts verfolgen und natürlich Michael Elsner, der Staatsanwalt mit | |
einer Vorliebe für schneeweiße Fliegen als Halsschmuck. | |
Es ist Elsners großer Tag. Seit mehr als sieben Jahren ermittelt er gegen | |
den ehemaligen SPD-Politiker Çiftlik. Nun darf er an diesem Montag | |
plädieren, die Früchte seiner Arbeit im Raum 390 des Hamburger | |
Staatsjustizgebäudes zusammentragen und strafrechtlich bewerten. Der | |
Auftakt im großen Finale eines Strafverfahrens, das zu einer beinahe | |
unendlichen Geschichte geworden ist. | |
Elsner zeichnet das Bild eines Politikers, der einen kleinen Fehler | |
ungeschehen machen wollte und in der Folge viel größere Fehler beging. Der | |
kleine Fehler war, dass Çiftlik 2009 seine Ex-Geliebte Nicole D. zu einer | |
Scheinehe mit seinem türkischen Freund Kenan T. überredete, um diesem einen | |
Aufenthaltstitel zu verschaffen. Die Sache flog auf, weil ein | |
Sachbearbeiter misstrauisch wurde. | |
Dieser Verstoß gegen das Ausländerrecht hätte Bülent Çiftlik, der damals | |
gerade Bürgerschaftsabgeordneter der SPD geworden war, einen Strafbefehl | |
und wohl einen kleinen Karriereknick beschert. Für viele Genossen wäre sein | |
Vergehen nur ein Kavaliersdelikt gewesen, und nach einer Schonzeit hätte | |
der „Obama von Altona“, wie die Medien ihn nannten, politisch weiter | |
durchstarten können. Doch es kam anders. | |
Vorwurf der Falschaussage und gefälschter Beweismittel | |
Elsner hält es für erwiesen, dass Çiftlik, während das Scheineheverfahren | |
gegen ihn begann, „mit hoher krimineller Energie“ versucht habe, Zeugen zu | |
Falschaussagen zu überreden und Beweismittel zu fingieren. Doch seine | |
Zeugen fielen während des Verfahrens um, entlasteten ihn zuerst, belasteten | |
ihn später oder verweigerten die Aussage, um sich selbst nicht zu belasten. | |
Allen voran Nicole D., Çiftliks Ex-Geliebte, die erst aussagte, die Ehe mit | |
Kenan T. sei keine Scheinehe gewesen und sich später selbst der Lüge | |
bezichtigte und zu Protokoll gab, Çiftlik habe die Ehe angebahnt und sie | |
genötigt, falsches Zeugnis abzulegen. | |
Was folgte, war, was Nicole D.s Anwalt Johann Schwenn als „Neues aus der | |
Fälscherwerkstatt des Bülent Çiftlik“ bezeichnete. So etwa mehrere Mails, | |
versandt aus dem E-Mail-Account von Nicole D., in der sie sich selbst | |
bezichtigte, aus verschmähter Liebe Çiftlik mit Falschaussagen zu belasten. | |
Inzwischen steht für Elsner fest, dass Çiftlik mithilfe einer auf Nicole | |
D.s Computer aufgespielten Spionagesoftware ihr Passwort „lebenswert“ | |
auskundschaftete. Anschließend habe er von ihrem Account aus und in ihrem | |
Namen E-Mails verfasst und versendet oder diese von Dritten verfassen und | |
versenden lassen. | |
Falschaussagen, die auf Betreiben Çiftliks in einem Fotostudio eingeübt | |
wurden und falsche Alibis sollen daneben zum Repertoire des SPD-Politikers | |
gehört haben, um seinen Freispruch im Scheineheverfahren zu erreichen. Doch | |
all das – und auch der Trick mit der Spysoftware – flog auf. | |
In der zweiten Instanz vor dem Landgericht geriet der Vorwurf der Anbahnung | |
einer Scheinehe zum Nebengleis. Denn die Anstiftung zur Falschaussage und | |
die Manipulation von Beweismaterial wiegt juristisch weit schwerer. Eine | |
dreieinhalbjährige Gefängnisstrafe für all diese aus seiner Sicht | |
erwiesenen Manipulationen fordert Elsner am Ende seines Plädoyers für | |
Bülent Çiftlik. | |
Eine schier unendliche Geschichte | |
Wobei er aufgrund der langen Verfahrensdauer nur drei Jahre einsitzen soll. | |
Das Verfahren war 2015 zunächst geplatzt, weil Çiftlik nach einem | |
Autounfall in Indien von den dortigen Behörden monatelang festgehalten | |
wurde – eine Verfahrensunterbrechung, die die prozessualen Spielregeln | |
nicht erlauben. | |
Çiftlik hat während des gesamten Verfahrens geschwiegen. Es gibt keine | |
Version der Ereignisse von ihm. Seine AnwältInnen Gabriele Heinecke und | |
Florian Melloh haben im Laufe des Verfahrens vor allem versucht, die | |
Belastungszeugen unglaubwürdig zu machen und in Widersprüche zu verwickeln. | |
Ihr Plädoyer folgt nun am 16. Juni, und zu erwarten ist, dass sie der | |
Staatsanwaltschaft vorwerfen werden, die ZeugInnen systematisch | |
eingeschüchtert zu haben und dass sie aufgrund bestimmter Ungereimtheiten | |
in den Zeugenaussagen das Gericht auffordern werden, „im Zweifel für den | |
Angeklagten“ zu entscheiden. | |
Die Richter könnten schon am 19. Juni ihr Urteil fällen. Dass damit die | |
fast unendliche Prozessgeschichte um Bülent Çiftlik endet, darf bezweifelt | |
werden. Verteidigung wie Staatsanwaltschaft, können bei einem missliebigen | |
Richterspruch die nächste Instanz anrufen. | |
30 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Marco Carini | |
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