Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Der Bagger vor dem Haus des Herrn
> Mondlandschaft statt Marienaltar: In diesen Wochen wird der
> denkmalgeschützte Dom von Immerath in die Luft gejagt – wegen der
> Braunkohle.
Bild: Alles steht bereit zum Abriss der Immerather Kirche
Es gibt in dieser Kolumne einen Satz, über den man sich schämt, so polternd
und sperrig ist er. Aber er muss raus und steht deshalb gleich am Anfang:
Der steinzeitliche Abbau der Braunkohle zerstört auch im Jahr 2017 immer
noch Dörfer, Wälder, Kirchen, Friedhöfe, Klima, Gesundheit, Natur, Heimat,
Landschaft und Grundwasser.
Deutschland macht weiterhin ganze Kulturlandschaften platt, um jenen
Brennstoff aus der Erde zu holen, den schon im Mittelalter niemand
verheizen wollte, weil er zu feucht war und stank und qualmte, dass die
Vögel tot vom Himmel fielen. Zur Braunkohle hat das preußische Bergamt
schon 1819 das Urteil gesprochen: Es beklagte „den schlechtesten Zustand
dieser Wühlerei“ und den „ganz versauten Betrieb“ mit all seinen Risiken
für Leib und Leben.
Und jetzt, Mitte Mai 2017, steht der Bagger vor dem Dom von Immerath, der
hinreißend schönen Tuffstein-Basilika, über die wir an dieser Stelle oft
geschrieben haben. Heute, morgen oder nächste Woche wird der
denkmalgeschützte Dom in die Luft gejagt. Mondlandschaft statt Marienaltar.
„Rückbau“ heißt das in der Sprache von RWE Power; der Rückbau des Doms i…
zur „bergbaulichen Inanspruchnahme“ des Gebiets notwendig.
Vergeblich haben wir zur Besetzung des Doms aufgerufen – „Gehet hin im
Frieden, nach Immerath!“ – aber Greenpeace hatte keine Zeit, keine Lust
oder hat dieses Symbol einfach verkannt. Jetzt geht es um Stunden. In
Deutschland wurde die letzte Hexe wegen Teufelsbuhlschaft 1775 verurteilt,
der letzte Dom vor 200 Jahren abgerissen. Jetzt ist es wieder so weit. Die
Bagger fressen sich weiter ins rheinische Revier, die Geschichte der
Braunkohle ist noch immer nicht zu Ende.
Hermann Göring setzte 1936 in seinem Vierjahresplan ganz auf die
Braunkohle, um die Nazi-Wirtschaft kriegsfähig und autark zu machen. Die
DDR verpestete das halbe Land, um Basis-Chemikalien und 88 Prozent ihres
Stroms aus Braunkohle zu gewinnen. Im 21. Jahrhundert, während Sonne, Wind
und Co. weltweit boomen und in Bangladesch 5 Millionen Haushalte mit
Solar-Home-Systemen versorgt sind, deckt Nordrhein-Westfalen 75 Prozent
seiner Stromversorgung mit Kohle.
## Der Braunkohle-Irrsinn
Die grüne Basis, so hört man, ist deshalb heilfroh, die NRW-Landtagswahl
verloren zu haben. Endlich dürfen die Grünen wieder machtvoll gegen den
Braunkohle-Irrsinn demonstrieren. Unter Rot-Grün hat es nur zu einer
kleinen Verkleinerung des Abbaus gereicht. Schwarz-Gelb wird jetzt
natürlich „an der Braunkohle festhalten“ – Obacht, sie bröselt – und …
NRW-Klimaschutzplan komplett rückbauen. Erst 2045 soll der Braunkohle-Spuk
im rheinischen Revier endgültig vorbei sein.
Immerhin haben die Bürgerinitiativen gegen Braunkohle für 2017 einen heißen
Herbst angekündigt. Sie wissen: Drei Viertel der Braunkohlevorkommen müssen
im Boden bleiben, wenn die Klima-Roadmap gelingen soll. Ende Gelände?
Als Nächstes werden die Dörfer Keyenberg, Kuckum, Berverath, Unterwestrich
und Oberwestrich niedergemacht („devastiert“). Keyenberg mitsamt der 893
gegründeten Kirche zum Heiligen Kreuz. Beim Kirchentag in Berlin wird viel
gebetet. Aber während die Evangelen beten, wird den Katholiken eine ihrer
schönsten Kirchen weggebombt. Nicht von Terroristen, sondern von
Energieversorgungsunternehmen. Wenn der Dom eine Moschee wäre, heißt es im
Netz, hätte sich die halbe Zivilgesellschaft längst eingenässt und das
Bauwerk fünfmal besetzt.
PS: Die umgesiedelten Bürger von Immerath beten jetzt in einer schnöden
Kapelle. Eine Betonkiste, die aussieht, als hätte Donald Trump sie gebaut.
Und siehe, dunkle Wolken zogen herauf, der Herr wandte sich ab und weinte
bitterlich.
27 May 2017
## AUTOREN
Manfred Kriener
## TAGS
Braunkohletagebau
Braunkohledörfer
Energiekonzerne
Tagebau
Greenpeace
Braunkohle
Umweltschutz
Braunkohle
Vattenfall
Garzweiler
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Geht’s noch?: Mer losse dr Dom in Kölle
In Immerath ist in dieser Woche ein Backsteingebäude abgerissen worden.
Greenpeace protestierte dagegen. Doch die Aufregung ist bigott.
Greenpeace-Aktion gegen Braunkohle: Kirche vor dem Abriss besetzt
Der Abriss einer Kirche für den Braunkohletagebau Garzweiler sollte am
Montagmorgen beginnen. Aber nun haben sie Umweltaktivisten von Greenpeace
besetzt.
Bildung und Protest im Rheinland: Klimacamps gestartet
Sie bereiten Demonstrationen und Blockaden vor. Es soll bei den Klimacamps
aber auch um Vernetzung mit anderen sozialen Bewegungen gehen.
Kolumne Mein Leben mit der Ökobilanz: Die kleine Notlüge
So eine Mikrowelle ist ein echtes Ökowunder. Aber eben auch so hässlich,
dass mir im Kampf gegen die Anschaffung jedes Mittel recht ist.
RWE-Tagebau Garzweiler blockiert: Widerstand in der Mondlandschaft
Hunderte DemonstrantInnen bringen die Bagger beim Tagebau Garzweiler zum
Stillstand. RWE antwortet mit einer Massenanzeige.
Bergbau-Demo in Berlin: Fernduell um die Kohle
In Berlin dafür, in Garzweiler dagegen: Zahlenmäßig haben die
Braunkohle-Freunde den Demo-Wettkampf am Samstag gewonnen.
Braunkohletagebau in Erkelenz: Bürgermeister stoppt Umsiedlungen
Eine Stadt mauert: Solange keine Klarheit über den Fortgang des
Braunkohletagebaus Garzweiler II besteht, blockiert Erkelenz die RWE-Pläne.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.