# taz.de -- 30 Jahre „Falschmeldungen“ in der taz: Und Weizsäcker adelt de… | |
> Ob über den Literaturbetrieb oder den Präsidenten – früher | |
> veröffentlichte der Kulturteil öfter Fake-News. Bis daraus „Die Wahrheit�… | |
> entstand. | |
Bild: „Die taz ist die geilste Zeitung“, so etwas hat Richard von Weizsäck… | |
Als ich unlängst dem taz-Kollegen Thomas Hartmann davon erzählte, dass ich | |
etwas über Fake News schreibe, grinste er und sagte: „Na, da bist du ja der | |
perfekte Autor“ – und wir erinnerten uns an unsere Fehden über Fake News, | |
die wir vor über 30 Jahren in der taz ausgetragen hatten. | |
Thomas war damals der erste Chefredakteur der Zeitung. Ich war für den | |
Kulturteil zuständig und wollte mir da weder von ihm noch von sonst wem | |
reinreden lassen. So nahmen wir uns in der Kultur öfter mal die Freiheit, | |
auch Fakes zu veröffentlichen. | |
Zum Beispiel die Geschichte vom „Glühbirnen Fake“. Die hatte ich mit | |
unserem Autor [1][Helmut Höge] auf einer Nachtzugfahrt durch die DDR | |
ersonnen, als wir von Thomas Pynchons Geschichte der unsterblichen Birne | |
Byron und über die reale Glühbirnen-Verschwörung sprachen. | |
Auch kamen wir zu dem Schluss, dass es sich offenbar bei den bizarrsten | |
Geschichten in Pynchons Roman nicht um Fiktion, sondern um Fakten handelt, | |
dass also hinter dem „Fake“, der dichterischen Zuspitzung und Ausmalung | |
eine Tatsache steht. | |
## Glühbirnen an den unmöglichsten Stellen | |
Da es noch Raucherabteile gab, genehmigten wir uns einen Joint und kamen | |
vom Hölzchen aufs Stöckchen und irgendwann auch auf die Ödnis der aktuellen | |
deutschen Literatur, über die ich zur kommenden Buchmesse wieder eine | |
Sonderbeilage zusammenstellen sollte. Da waren uns bei einigen | |
Neuerscheinungen gerade auch ein paar Glühbirnen aufgefallen, die an | |
unmöglichen Stellen in Büchern ein- oder ausgeschraubt wurden. Nicht mit | |
dem Hintergrund wie bei Pynchon, sondern einfach nur so … öde. | |
Und warum ist die aktuelle Literatur so langweilig, obwohl eigentlich | |
spannende Glühbirnen dauernd vorkommen? Weil diese Autoren – Grass, Walser, | |
Enzensberger usw. – ihre Bücher längst nicht mehr selbst verfassen, sie | |
lassen schreiben. | |
Von einem diskreten Unternehmen, dessen im Schatten bleibende Ghostwriter | |
nur eine diskrete Freude haben: an den unmöglichsten Stellen dieser | |
Erfolgsbücher Glühbirnen ein- oder ausschrauben zu lassen, als geheimes | |
Erkennungszeichen. | |
Wir konnten nun anhand von Ausrissen aus diesen Erfolgsbüchern und einer | |
„Reportage“ über die geheime Agentur – Helmut hatte sie „Agentur Stand… | |
Text“ getauft – in der taz „beweisen“, warum dieser „Biicherrherrbst�… | |
(Marcel Reich-Ranicki) so öde war: Einer der frustrierten Ghostwriter hatte | |
uns das Glühbirnen-Geheimnis gestanden. | |
## Die Stasi in Wallung | |
So durchsichtig oder durchgeknallt dieser Fake heute klingen mag, er | |
erregte – auf einer Doppelseite zur Buchmesse – durchaus Aufsehen. | |
Christian Schultz-Gerstein, damals Literaturchef beim Spiegel, drängte nach | |
weiteren Informationen, wir taten geheimnisvoll, steckten ihm eine | |
(unbenutzte) taz-Telefonnummer, unter der wir von einer „Informantin“ | |
(Praktikantin) abnehmen ließen. | |
Hätten wir unsern Fake noch weiter gesponnen, wäre die Story im Spiegel | |
gekommen und hätte Aufsehen erregt, was ich Freund Schultz-Gerstein aber | |
nicht antun wollte. Mit einem anderen Fake erzeugten wir in der DDR höchste | |
Aufmerksamkeit. | |
Angeregt durch die vielen Geisterbahnhöfe, die die Westberliner U-Bahn auf | |
dem Weg von Kreuzberg zum Wedding durchfuhr und auf denen stets ein | |
einsamer Grenzpolizist Wache hielt, veröffentlichten wir die Geschichte von | |
einem „GrePo“, der manchmal – wenn ein Zug auf seinem Bahnhof | |
außerfahrplanmäßig halten musste – beim Fahrer einsteigt, kurz mit in den | |
Westen fährt und sich auf dem Rückweg wieder auf seinem Geisterbahnhof | |
absetzen lässt. | |
Die nette kleine Story im Kulturteil der taz, von vorn bis hinten erfunden, | |
löste bei der Stasi Alarmstufe Rot aus. | |
## „Redaktionen machen sowieso was sie wollen“ | |
Um den schon um sich greifenden sprachpolizeilichen Hygienemaßnahmen der | |
political correctness vorzubeugen, ließen wir einmal einen afrikanischen | |
Freund vor dem damals real existierenden „Bimbo-Markt“ (in Gießen) | |
fotografieren und übertrieben von der Leichtigkeit der Asylbewerbung sowie | |
von der deutschen „Bimbophilie“ schwärmen. Wir nutzten also Fakes, um | |
bestimmte, nach unserer Meinung richtige und wichtige Gedankenanstöße oder | |
Erkenntnisprozesse anzuregen. | |
Und einige Fakes waren komplett „echt“ – wie einmal in einer Sonderausgabe | |
zur Buchmesse eine Doppelseite von [2][Richard von Weizsäcker.] | |
Der gesamte Text war tatsächlich von ihm, aber montiert aus Stellen seiner | |
Schriften und Reden, in denen sich „Häuptling Silberlocke“, wie unser | |
Kolumnist Wolfgang Neuss den Bundespräsidenten genannt hatte, geradezu | |
überschlug im hyper-humanistischen Groß-Salbadern. | |
„Im Mittelpunkt steht der Mensch“ war die Eloge überschrieben, und als | |
Weizsäcker beim Messerundgang an unseren Stand kam, präsentierten wir ihm | |
die Doppelseite und baten um ein Autogramm. Der Präsident zögerte einen | |
Moment: „Die Überschrift ist nicht von mir. Aber die Redaktionen machen ja | |
sowieso was sie wollen“ sagte er, zückte seinen präsidialen Federhalter und | |
adelte den Fake. | |
## Think for yourself! | |
Wie oft bei diesen Fakes, musste ich sie, wenn sie „aufgeflogen“ waren, vor | |
den Redaktionskollegen verteidigen, was nicht immer so leicht zu kontern | |
war wie im Fall Weizsäcker per Unterschrift. | |
Dass diese Fakes erhellende, erkenntnisfördernde Wirkung haben, ganz gleich | |
ob die Leser*innen sie als solche erkennen oder sie für „echt“ halten – | |
diesem Argument standen schwere Geschütze wie „Glaubwürdigkeit der Zeitung�… | |
und „Grundprinzipien des Journalismus“ gegenüber. | |
Deren Bedeutung verstanden wir in unserer Kulturabteilung durchaus, fanden | |
sie aber wahrnehmungs- und erkenntnistheoretisch gleichzeitig zu kurz | |
gedacht, denn auch die „Real News“ sind nicht die Realität, die Wahrheit, | |
nicht das, was wirklich geschah, sondern ein Konstrukt und letztlich ein | |
Fake. Also muss es doch grundsätzlich heißen: Question authority – Think | |
for yourself! | |
Als Anfang der 1990er Jahre die Idee aufkam, die letzte Seite der Zeitung | |
„bunt“ und „satirisch“ zu machen, hielt eine Mehrheit dies zuerst für | |
unnötig und überflüssig – Unterhaltendes wurde in der sich noch sehr | |
„politisch“ verstehenden Redaktion als eher Minderwertig betrachtet. Doch | |
der mittlerweile verstorbene Kollege Karl Wegmann und ich bastelten weiter | |
am Konzept und leisteten Überzeugungsarbeit. | |
Der Vorschlag, das Ganze [3][„Die Wahrheit“] zu nennen und Fakes nur noch | |
dort zu veröffentlichen, gab dann am Ende den Ausschlag. Seitdem haben sie | |
auf der letzten Seite der taz ihr Reservat, während auf den anderen Seiten | |
nur noch die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit veröffentlicht | |
wird. | |
26 May 2017 | |
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## AUTOREN | |
Mathias Bröckers | |
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