| # taz.de -- Präsidentschaftswahl in Frankreich: Favorit ohne Blankoscheck | |
| > In Frankreich rechnet niemand mehr mit einer Überraschung. Der Wahlsieger | |
| > scheint sicher. Daran ändern auch die „Macron-Leaks“ nichts. | |
| Bild: In welche Richtung wird sich Frankreich entwickeln? Am Sonntag wird es fe… | |
| Paris taz | Am Sonntag wählt Frankreich seinen neuen Staatspräsidenten. | |
| Offiziell ging die Wahlkampagne am Freitag um Mitternacht zu Ende. Die | |
| beiden Kandidaten, die Rechtspopulistin Marine Le Pen und der | |
| Wirtschaftsliberale Emmanuel Macron, haben bis zuletzt versucht, mit allen | |
| ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und Argumenten die Franzosen und | |
| Französinnen zu überzeugen. Kurz vor Torschluss haben Hacker mit einer | |
| massiven Attacke versucht, über Email-Konten des Macron-Teams an Daten zu | |
| kommen [1][und mit „Macron-Leaks“ Stimmung zu machen]. Wer sich dahinter | |
| verbirgt, ist derzeit noch unklar. Die französische Wahlkommission warnte | |
| davor, die Dokumente weiterzuverbreiten, denn möglicherweise seien auch | |
| gefälschte darunter. | |
| Solche verzweifelte Manöver ändern nichts mehr. Schon vor dem Wahltag heißt | |
| es: „Les jeux sont faits“ – das Spiel ist aus. Anders als am Roulettetisch | |
| rechnet niemand mehr in Frankreich mit einem Zufallsergebnis oder einer | |
| Überraschung. Die Umfragen sagen seit zwei Wochen unverändert einen | |
| deutlichen Sieg des Favoriten Macron mit rund 60 Prozent der Stimmen | |
| voraus. | |
| Seiner Gegnerin vom rechtsextremen Front National ist es nicht gelungen, | |
| eine Tendenzwende herbeizuführen. Im Gegenteil hat ihr verpatzter Auftritt | |
| [2][beim Wahlduell am Mittwoch] selbst unter ihren Anhängern viele | |
| enttäuscht oder verwirrt. Selbst der FN-Gründer Jean-Marie Le Pen meinte | |
| dazu, seine Tochter habe nicht das nötige „Niveau“ gehabt und letztlich sei | |
| ihre Kampagne eine „Katastrophe“ gewesen. | |
| Ihre unvermittelte Änderung der Taktik scheint sich nicht ausbezahlt zu | |
| haben: Nachdem sie als Chefin des FN seit 2011 alles getan hatte, um dieser | |
| Partei einen demokratischen Anstrich zu geben und sie „salonfähig“ zu | |
| machen, entlarvte sie sich beim Wahlduell mit ihrer Vehemenz und | |
| ungezügelten Aggressivität als unveränderte Extremistin. Sie versuchte | |
| dabei auch, sich von Erfolgsrezepten aus der Kampagne von Donald Trump | |
| inspirieren zu lassen, indem sie ihren Gegner verunglimpfte und beschimpfte | |
| statt mit ihm zu diskutieren. Wie Trump zögerte sie nicht, „Fake news“, | |
| böswillige Gerüchte und plumpe Unwahrheiten zu verbreiten. | |
| Vermutlich aus russischen Quellen wurde im Internet samt gefälschten | |
| Dokumenten verbreitet, Macron habe seit 2010 ein geheimes | |
| Offshore-Bankkonto auf den Bahamas. Vom FN und Le Pen selber wurde dies | |
| ungeprüft weiter propagiert. Macron hat wegen übler Nachrede Klage | |
| eingereicht. Le Pen musste zugeben, dass sie keinerlei Beweise hatte. | |
| ## Appelle gegen die extreme Rechte | |
| Diese „Strategie der Lüge“ (so der Titel von Le Monde) dürfte ihr indes | |
| mehr geschadet als geholfen zu haben. Als Populistin nahm sie für sich | |
| Anspruch, die Wortführerin des Volks gegen die Elite und das System zu | |
| sein. In dieser zynisch und gehässig klingenden Stimme konnten sich aber | |
| sicher viele Leute, in deren Namen sie zu reden behauptet, nicht erkennen. | |
| Sie hat damit wohl nicht viele Stimmen eingebüßt, ebenso sicher aber war es | |
| ihr nicht möglich, neue Sympathien oder gar eventuelle Alliierte zu | |
| gewinnen. Einzig der in der ersten Wahlrunde ausgeschiedene Souveränist | |
| Nicolas Dupont-Aignan (5% am 23. April) hat sich ihr angeschlossen – und | |
| dürfte das angesichts der sich anbahnenden Niederlage schon bald bereuen. | |
| Ihre Teilnahme an der Stichwahl stellt sich als „Pyrrhus-Sieg“ heraus, den | |
| sie mit einer neu verschärften Isolierung bezahlt. Denn die Tatsache, dass | |
| (wie schon 2002 mit ihrem Vater) eine Rechtsextremistin zu den beiden | |
| Finalisten der Präsidentenwahl gehört, hat in der Öffentlichkeit eine | |
| massive Ablehnung ausgelöst. Auch Persönlichkeiten und Organisationen der | |
| Zivilgesellschaft, die nicht unbedingt für Macron Stellung nehmen, haben in | |
| diesen Tagen Appelle gegen die extreme Rechte lanciert oder | |
| mitunterzeichnet. | |
| Manche spekulieren, dass Marine Le Pen schon vor der entscheidenden | |
| Stichwahl nicht mehr an einen Sieg glaubte und mit dieser Radikalisierung | |
| am Ende ihres Wahlkampfs lieber schon die Rolle einer kompromisslosen | |
| Sprecherin der Opposition zur zukünftigen Staatsführung einnehmen will. | |
| Wenn das ihre jetzige Strategie ist, muss es ihr freilich gelingen, bei den | |
| Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni mit einer genügenden Zahl von | |
| Abgeordneten in die Nationalversammlung einzuziehen, um ihren heutigen | |
| Gegner und neuen Präsidenten, Macron, den absehbaren Triumph zu vergällen | |
| und die Umsetzung seiner Reformen zu verhindern. | |
| ## Nicht wirklich Herzenskandidat | |
| Für Macron dürfte das taktische Kalkül dagegen stimmen. Dieser Mann der | |
| politischen Mitte, der praktisch aus dem Nichts aufgetaucht ist, hat in | |
| einem Jahr eine Bewegung, „En marche!“, initiiert, welche die Ordnung der | |
| traditionellen Parteien über den Haufen geworfen hat und eine völlige | |
| Neubildung des politischen System verspricht. | |
| Ihm gelang es mit seiner Überrumpelung des politischen Establishments, | |
| zuerst den Amtsinhaber François Hollande an einer Kandidatur für eine | |
| (höchst fragliche) Wiederwahl zu hindern. Dann verbannte er in der ersten | |
| Runde als Erster die Verlierer von links und rechts – Sozialisten, Grünen | |
| und die Komponenten der bürgerlichen Rechten – in die Rolle von | |
| unfreiwilligen Wahlhelfern gegen Le Pen. Auch wenn nicht wie 2002 eine | |
| „Union sacrée“, eine heilige Vereinigung, der Demokraten gegen den FN | |
| zustande kann, hatten sie in ihren Empfehlungen keine andere Wahl als dazu | |
| aufzurufen, den Clan Le Pen vor der Machteroberung zu stoppen. | |
| Für Emmanuel Macron bedeutet dies aber auch, dass er am Sonntagabend, wenn | |
| er seinen erhofften Sieg vor dem Louvre feiern möchte, für die Mehrheit | |
| seiner Wähler nur eine Verlegenheitslösung als einzige Alternative zu Le | |
| Pen und nicht wirklich den Herzens- oder Wunschkandidat darstellt. | |
| Er kann nicht mit einem Blankoscheck antreten. Bereits wird er gewarnt, | |
| dass sein liberales Reformprogramm bei denselben Kreisen auf Widerstand | |
| stoßen wird, die schon die Arbeitsrechtsrevision seiner | |
| Ex-Regierungskollegin Myriam El Khomri bekämpft hatten. Diese Perspektiven | |
| hinderten ihn aber nicht, seinen Wahlkampf bereits wie ein zukünftiger | |
| Staatschef zu beenden. | |
| 6 May 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Rudolf Balmer | |
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