| # taz.de -- Junge Le-Pen-Unterstützer*innen: Und was sagen die Eltern dazu? | |
| > Fahnen, Flyer und Parolen: Die Nachwuchsorganisation des Front National, | |
| > der „Front national de la jeunesse“, trommelt für den Sieg Marine Le | |
| > Pens. | |
| Bild: Weniger Wahlkampf, mehr Vergewisserung | |
| Arques taz | Vor dem Rathaus von Arques flattern französische Flaggen. Ein | |
| Haufen sehr junger Männer in dunkler Kleidung steht auf dem Vorplatz, die | |
| Hände in den Hosentaschen, und mustert eine jubelnde Hochzeitsgesellschaft, | |
| die auf das Brautpaar wartet. Die Luft ist voll Qualm von den Böllern, die | |
| ein paar Gäste gezündet haben. Die kleine Gruppe ein Stück weiter aber will | |
| nicht jubeln, noch nicht. Sie will kämpfen. Für Marine Le Pen, gegen | |
| Emmanuel Macron. Nur das zählt für die jungen Anhänger des Front National, | |
| den „Front national de la jeunesse“, kurz FNJ. | |
| Arques liegt im äußersten Norden Frankreichs, im ländlichen Departement | |
| Pas-de-Calais, Industrieruinen zwischen Milchbauernhöfen. Marine Le Pen | |
| bekam hier schon im ersten Wahlgang ein glattes Drittel der Stimmen. Beim | |
| zweiten sollen es noch mehr werden, deshalb treffen sich die frontistes | |
| heute, um von hier aus in die Umgebung auszuschwärmen. Bewaffnet mit | |
| Fahnen, Flyern und Parolen. Denn unter Macron, daran glauben sie fest, | |
| ginge das Land zugrunde. „Der ist noch unfähiger als Hollande“, sagt ein | |
| kräftiger 16-Jähriger namens Alexis. Er darf noch nicht mal wählen. Seine | |
| Eltern freuen sich trotzdem, dass er hier mitläuft, sagt er: „Sie denken, | |
| ich mache das Richtige.“ Später will er Bürgermeister werden. | |
| Die Frischvermählten kommen aus der Tür. Zwei Frauen, beide im gleichen | |
| Brautkleid. Die Jungen werden unruhig, jemand kichert. Ihr Anführer sieht | |
| sich zu einem Statement genötigt. „Wir sind nicht homophob“, sagt | |
| Jean-Baptiste Vendeville und zupft seine Krawatte zurecht. „Im Gegenteil, | |
| wir wollen sogar die gleichgeschlechtliche Partnerschaft.“ Das sei zwar | |
| nicht dasselbe wie die Ehe für alle, wie sie in Frankreich Gesetz ist, | |
| aber: „Bereits geschlossene Ehen sollen natürlich bestehen bleiben, wir | |
| sind ja keine Unmenschen.“ Er strahlt, als sei er darauf besonders stolz. | |
| Vendeville, 26, arbeitet als Versicherungsangestellter. Seit Kurzem sitzt | |
| er im nationalen Zentralkomitee des Front National. Warum engagiert er sich | |
| für Marine Le Pen? „Ich mache das nicht für Marine“, gibt er zurück, | |
| während er seinen schwarzen Golf mit dem Handteller lenkt, „sondern mit | |
| ihr. Wir wollen beide dasselbe: die französische Identität verteidigen.“ Im | |
| Fach neben der Schaltung steht eine Packung mit Kaugummis, die fast noch | |
| schärfer riechen als sein Aftershave. Alle halbe Stunde wirft er ein neues | |
| ein. | |
| „Als ich zuletzt in Lille wohnte, gab es keinen einzigen französischen | |
| Fleischer mehr. Alles Araber.“ Und warum ist das so schlimm? Ein kurzes | |
| fassungsloses Schnauben, dann holt er tief Luft. Eigentlich habe er, | |
| Vendeville, quasi gar keine französische Identität mehr. Sie sei längst | |
| durch eine muslimische ersetzt. Auch Marine Le Pen benutzt dieses Narrativ | |
| gerne: Die „nationale Identität“ Frankreichs müsse wieder gestärkt werde… | |
| die Islamisierung des Landes bekämpft. | |
| ## „Die Franzosen müssen wieder privilegiert werden“ | |
| Vendeville, wasserblaue Äuglein und stechender Blick, spielt die Rolle des | |
| unangenehmen Kleinstadtrechten mit offensichtlichem Vergnügen. Er trägt die | |
| hellblonden Haare militärisch kurz, dazu einen schwarzen Blouson mit | |
| passender Krawatte. Einer jungen Frau wird er später an diesem Nachmittag | |
| eintrichtern, ihre Hand nicht loslassend, sie müsse ihrem Land möglichst | |
| viele Kinder schenken. | |
| So leicht einzuordnen sind längst nicht alle jungen Le-Pen-Unterstützer. | |
| François und Caroline etwa würden in den alternativen Bars im eine Stunde | |
| entfernten Lille nicht weiter auffallen. François, 21, studiert dort | |
| Rechnungswesen, hat ein gewinnendes Lächeln und dunkle Locken. Eigentlich, | |
| er muss lachen, wäre er als Ökonom ja der prädestinierte Macron-Wähler. Nur | |
| habe Macron als Wirtschaftsminister die Regierung Hollande ruiniert. | |
| Außerdem müssten die Franzosen wieder privilegiert werden, anstatt | |
| Ausländer zu alimentieren. | |
| Sein eigener Nachname stammt aus Polen, Frankreich ist ein | |
| Einwanderungsland. Was macht jemanden nach der Logik des Front National zum | |
| Franzosen? François blickt glaubhaft verdutzt, als habe ihn das noch nie | |
| jemand gefragt. Caroline wirft ein: „Auch ein Schwarzer kann Franzose sein. | |
| Hauptsache, er liebt sein Land.“ Richtig überzeugt wirkt sie allerdings | |
| nicht. François hat sich wieder gefangen: „Ich bin Patriot, kein Rassist. | |
| Wer etwas anderes behauptet, dem fehlen bloß Argumente.“ Die Jüngeren neben | |
| ihm pöbeln einander zum Spaß gegenseitig an, als hätten sie nur auf diesen | |
| Einsatz gewartet: „Ey, du Fascho!“ | |
| Caroline zieht die Augenbrauen hoch. Sie ist Medizinstudentin im ersten | |
| Jahr, trägt beige Skinny Jeans und Wildlederschühchen, lange blonde Locken | |
| fallen in ein schüchternes Gesicht. Sie stammt aus einer konservativen | |
| Familie, seit jeher Wähler der Republikaner, wie viele im katholisch | |
| geprägten Norden. Bis vor wenigen Wochen war auch Caroline | |
| Fillon-Unterstützerin. Dann kam der Skandal um die Familiengehälter. | |
| ## Alles umdrehen, was das Gegenüber sagt | |
| Spätestens da sei ihr klar geworden, sagt Caroline gleichmütig, dass sich | |
| unter Fillon nichts bewege: „Ich will wieder stolz auf Frankreich sein | |
| können, mich sicher fühlen.“ Also verteilt sie jetzt auf dem Marktplatz | |
| Flyer, auf denen Marine Le Pen erklärt, sie werde Recht und Ordnung im Land | |
| durch Grenzschließung und Gefängnisausbau wiederherstellen. Carolines | |
| Eltern dürfen nichts davon wissen. Viele ihrer Freundinnen hingegen wählen | |
| inzwischen auch Le Pen statt Fillon. | |
| Ein wenig außerhalb biegt der schwarze Golf auf einen Parkplatz. Vendeville | |
| lässt die Heckklappe nach oben zischen und verteilt französische | |
| Nationalflaggen. Eine große blaue Fahne trägt er selbst. Auf ihr steht in | |
| weißer geschwungener Schrift das Wort „Liberté“. „Freiheit ist für mic… | |
| wichtigste Versprechen von Marine“, sagt er. „Frankreich muss wieder seine | |
| eigenen Entscheidungen treffen können, ohne von Brüssel abhängig zu sein.“ | |
| Und was ist mit der Freiheit des Einzelnen? Was ist mit der Égalité, | |
| gleichen Chancen für alle? Auf den Rassismusvorwurf ist der Front National | |
| vorbereitet. „Wir diskriminieren niemanden“, sagt Vendeville | |
| angriffslustig. „Der wahre Rassist ist doch Macron. Er will Ausländer | |
| bevorzugen, positiver Rassismus, schon mal gehört?“ Er macht das gerne: | |
| alles umdrehen, was das Gegenüber sagt, um Diskussionen ad absurdum zu | |
| führen. | |
| Oft muss er das gar nicht mal. Laut Umfragen wollte schon kurz nach der | |
| ersten Wahl knapp ein Fünftel der bisherigen Mélenchon-Unterstützer Le Pen | |
| wählen. Sie wechseln innerhalb kürzester Zeit von ganz links nach ganz | |
| rechts, von Kommunist zu Rechtsextremistin – wie Anthony, 18. „Ich komme | |
| vom Land“, sagt der schlaksige Junge, der seine Freundin zum Zug nach Lille | |
| bringt. „Le Pen ist mir näher als Macrons komische Theorien, Wirtschaft und | |
| Europa und so. Der sitzt in Paris und hat keine Ahnung, was hier so | |
| abgeht.“ Stört es ihn nicht, dass Rassismus zu ihrem Programm gehört? | |
| Anthony zuckt nur die Schultern. „Ich kann damit leben.“ | |
| ## Als habe Le Pen in dieser Ecke 100 Prozent geholt | |
| Rassismus als Dealbreaker – bei manchen funktioniert das. Zum Beispiel bei | |
| Antoine, ebenfalls 18, der vor dem Campus der katholischen Universität von | |
| Lille auf seine Vorlesung wartet. Er hat Fillon gewählt, weil ihm dessen | |
| Verbindung von konservativen und liberalen Werten am besten gefiel. Macron | |
| vertraut er nicht: „Er ist ein Angeber. Wir brauchen Stabilität.“ Trotzdem | |
| überlegt er, sein Kreuz am 7. Mai bei Macron zu machen. Denn, und bei | |
| diesem Gedanken beißt er sich heftig auf die Unterlippe: Wählt er gar | |
| nicht, steigt die Gefahr, dass am Ende Le Pen davon profitiert. Also wird | |
| er sich wohl für das vote utile entscheiden, die strategische Wahl. | |
| Glücklich mache ihn das nicht, sagt er – ganz egal wie diese Wahl ausgeht. | |
| Voter blanc nennen es die Franzosen dagegen, den Wahlzettel weiß zu lassen. | |
| Protest anstatt Pragmatismus. Anaïs, 31, Versicherungsangestellte wie | |
| Vendeville, trifft man am besten beim Karaokesingen in der Altstadt von | |
| Lille. Sie wird am 7. Mai trotzig Mélenchon auf ihren Wahlzettel schreiben, | |
| obwohl der gar nicht mehr zur Wahl steht. „Le Pen würde ich ja wählen, wenn | |
| sie keine Rassistin wäre“, sagt sie und bestellt sich noch ein belgisches | |
| Bier. „Sie ist gegen das System. Macron aber steht für nichts anderes. Das | |
| macht ihn fast noch schlimmer.“ | |
| Die FNJ-Gruppe in Arques trottet zu einer Autobahnbrücke. Sie stellen sich | |
| am Geländer auf und halten ihre Fahnen hoch, Vendeville filmt. Die Show ist | |
| nicht nur für die Autofahrer, sondern auch für das Netz. Der junge Front | |
| National hat 87.000 Likes auf Facebook. Bei der jungen Alternative für | |
| Deutschland sind es nur 19.500. Auf dem langen Transparent, das die | |
| frontistes nun an das Brückengeländer hängen, steht: „Les jeunes avec | |
| Marine“. Mehr nicht. Ist das nicht etwas wenig Inhalt, um unentschlossene | |
| Wähler zu überzeugen? Vendeville grinst nur. „Jugend, das steht für | |
| Aufbruch und Zukunft. Genau das ist es, was die Leute hier brauchen.“ | |
| Und tatsächlich: Immer mehr Autos hupen, Fahrer recken den Daumen, | |
| Motorradfahrer lassen ihre Maschinen aufheulen. Oben auf der Brücke halten | |
| Leute an und kurbeln das Fenster hinunter. „Vive Marine!“, brüllt ein | |
| junger Mann mit sich überschlagender Stimme. Nur ein einziges Mal hört man | |
| ein lautes „Buh“. Man könnte meinen, Le Pen habe in dieser Ecke 100 Prozent | |
| geholt, dabei waren es nur 34. Das Ganze wirkt nicht wie ein Wahlkampf – | |
| eher wie die Selbstvergewisserung einer verschworenen Gemeinschaft. Als sei | |
| der Ausgang der Wahl am 7. Mai vollkommen gleich. | |
| Anaïs macht das Angst. Um zu erklären, warum, benutzt sie erstaunlich | |
| ähnliche Worte wie die jungen Anhänger des Front National: „Ich liebe mein | |
| Land“, dabei legt sie sich tatsächlich die Hand auf die Brust. „Mir tut das | |
| Herz weh, wenn ich an dieses Wahldilemma denke. Aber ich will nicht mehr | |
| vernünftig sein.“ Sie muss möglicherweise bald mit der Tatsache leben, dass | |
| ihr Wahlzettel zwar nicht Macron ins Amt geholfen, aber auch nicht Le Pen | |
| verhindert hat. Und auch, wenn Macron es schafft: Am unversöhnlichsten, das | |
| merkt man an diesem Nachmittag, ist in diesem Land die Jugend. Und sie wird | |
| es bleiben. | |
| 5 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Johanna Roth | |
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