# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Frankreich: Pessismismus vs. Optimismus | |
> Was wollen Emmanuel Macron und Marine Le Pen in Frankreich durchsetzen? | |
> Ein Überblick über ihre innen- und außenpolitischen Ziele. | |
Bild: Ist Frankreich halb voll oder halb leer? Le Pen und Macron sehen das unte… | |
PARIS taz | Am Sonntag haben die Stimmberechtigten in Frankreich nicht nur | |
die Wahl zwischen zwei völlig Persönlichkeiten mit jeweils speziellem | |
Werdegang und politischem Hintergrund, sondern auch zwischen zwei diametral | |
verschiedenen Programmen und Visionen von Frankreich und der Welt. | |
Wenn Le Pen ständig die Gefahren eines Niedergangs, die Bedrohung für die | |
Zivilisation durch Immigration und Islamismus unterstreicht, setzt Macron | |
auf eine optimistische Vision, die auf Frankreichs Stärken und eine | |
weltoffene Kooperation setzt. Nichts verdeutlicht diesen Antagonismus mehr | |
als die Europapolitik. | |
Das politische Projekt von Marine Le Pen steht und fällt weitgehend mit dem | |
Austritt aus der EU. Denn die meisten ihrer protektionistischen Pläne oder | |
Forderungen nach einer nationalen Bevorzugung wären mit den geltenden | |
EU-Regeln nicht vereinbar. Die volle nationale Souveränität, die sie | |
anstrebt, möchte sie zwar zunächst durch Verhandlungen zurück erlangen, | |
doch da dies nicht sehr realistisch wäre, wünscht sie eine Volksabstimmung, | |
ein „Frexit“. Sie möchte auf demselben Weg auch den Euro durch eine | |
nationale Währung ersetzen, zunächst aber beide Währungen, den neuen Franc | |
und den Euro parallel einsetzen. | |
Emmanuel Macron setzt im Gegenteil auf mehr Europa und im Speziellen auf | |
eine Gemeinschaft, die in der Globalisierung schützt. Dafür möchte er die | |
deutsch-französische Zusammenarbeit stärken und die politische Koordination | |
in der Euro-Zone mit einem gemeinsamen Wirtschaftsminister, einem Budget | |
und einem Parlament verbessern, was im Keim eine Art Kern-Europa wäre. Das | |
Problem des „Sozialdumpings“ durch entsandte Arbeitnehmer aus EU-Staaten | |
möchte er nicht durch ein Verbot, sondern durch die Regel gleicher Löhne | |
und Abgaben wie für die Einheimischen und durch der strengere Kontrollen | |
lösen. | |
## Außenpolitik | |
Marine Le Pen möchte, dass Frankreich aus der Nato austritt und sich | |
Russland annähert. Sie befürwortet das sofortige Ende der | |
Russland-Sanktionen und billigt auch die russische Intervention in Syrien | |
an der Seite von Baschar al-Assad. Durch eine wiederhergestellte nationale | |
Souveränität möchte sie eine von den USA und der EU unabhängige | |
Außenpolitik für Frankreich. Sie erwähnt dazu gern General de Gaulle als | |
Vorbild. | |
Emmanuel Macron würde die bisherige Außenpolitik von François Hollande | |
fortsetzen, namentlich auch die militärischen Interventionen in Syrien/Irak | |
oder in Zentralafrika. In seinen Wahlreden hat er die Expansionspolitik von | |
Wladimir Putin als Gefahr ebenso kritisiert wie die neue US-Diplomatie von | |
Donald Trump. Auch in diesem Bereich möchte er die europäische | |
Zusammenarbeit zusammen mit Berlin stärken. | |
## Immigration | |
Le Pen will den Schengen-Vertrag und den freien Personenverkehr aufkündigen | |
und zu nationalen Grenzkontrollen zurückkehren und dazu 6.000 Zollbeamte | |
anstellen. Sie möchte einen Einwanderungsstopp, würde aber zunächst die | |
Nettobilanz der gesamten Immigration auf jährlich 10.000 Personen begrenzen | |
und die illegalen Aufenthalter, die sogenannten „Sanspapiers“, ausweisen. | |
Macron will die Integration verbessern und dazu allen legal Eingewanderten | |
einen Sprachkurs anbieten. Für besondere „Talente“, die Frankreich aus dem | |
Ausland anziehen möchte, sollen ein spezielle Visa existieren. Die | |
europäischen Grenzkontrollen des Schengenraums möchte er mit 5000 | |
Angehörigen verstärken. Die Bearbeitung von Asylgesuchen soll auf sechs | |
Monate verkürzt werden, die Abgewiesenen müssten abreisen. | |
## Sozialpolitik und Arbeit | |
Beide Kandidaten wollen grundsätzlich die 35-Stundenwoche als gesetzliche | |
Wochenarbeitszeit beibehalten und durch steuerfreie Überstunden die | |
Einkommen erhöhen. | |
Le Pen möchte zum Rentenalter 60 (bei 40 Jahren Beitragsdauer) | |
zurückkehren, lässt aber offen, ob das sofort oder erst später der Fall | |
wäre und auch, wie das finanziert würde. Sie möchte eine Reihe von | |
Sozialgeldern oder Familienzulagen exklusiv für französische Staatsbürger | |
reservieren. Sie verspricht eine Erhöhung der kleinen Altersrenten. Sie | |
lehnt es ab, den Franzosen neue „Opfer zuzumuten“. Sie würde mehr Personal | |
im Gesundheitswesen, der Polizei und Grenzkontrolle anstellen. Ausländische | |
Berufstätige sollen erst nach einer Karenzzeit von zwei Jahren Ansprüche | |
auf Leistungen der Krankenversicherung erhalten. Illegale Migranten sollen | |
keine medizinische Behandlung erhalten. | |
Macron will das derzeitige gesetzliche Pensionierungsalter mit 62 | |
beibehalten, die Altersvorsorge aber mit einem homogenen Punktesystem | |
völlig reorganisieren und alle unzähligen Sonderkassen in einer einzigen | |
vereinheitlichen. Die heute paritätisch verwaltete Arbeitslosenversicherung | |
soll unter staatliche Kontrolle kommen. Auch Selbständige sollen Ansprüche | |
auf eine Arbeitslosenentschädigung bekommen. Er möchte in fünf Jahren | |
100.000 öffentliche Stellen abbauen. Er möchte die medizinische Prävention | |
verstärken und die Kassenleistungen für Zahnprothesen und Hörapparate | |
verbessern. | |
## Steuern | |
Le Pen will zur Förderung der Produktion in Frankreich Importzölle | |
einführen, mit deren Einnahmen eine Prämie von 80 Euro für Monatslöhne | |
unter 1.500 Euro finanziert werden soll. Unternehmen, die ihre Produktion | |
ins Ausland verlegen, will sie mit einer 35-prozentigen Strafsteuer | |
belegen. Unternehmen, die ausländische statt französische Arbeitskräfte | |
rekrutieren, müssten eine Strafsteuer bezahlen. Sie würde für die drei | |
untersten Kategorien die Einkommenssteuer um 10 Prozent senken und auf die | |
ab 2018 geplante Quellenbesteuerung zurückkommen. Die Reichtumssteuer ISF | |
bliebe unverändert. | |
Macron will 80 Prozent der Haushalte von der bisherigen lokalen Wohnsteuer | |
befreien, um deren Kaufkraft zu stärken. Die bisherige Reichtumssteuer ISF | |
soll auf Immobilien beschränkt werden, Aktien und andere Investitionen in | |
Unternehmen dagegen würden inskünftig ausgespart. Er ist für eine Testphase | |
mit der Quellenbesteuerung. Die Steueransätze für Unternehmen müssten | |
gesenkt werden. Die bisherigen Beiträge der Arbeitnehmer an die | |
Arbeitslosen- und Krankenversicherung würden zur Kaufkraftsteigerung | |
abgeschafft und durch eine Erhöhung der auf allen Kapitalerträgen, Renten | |
und Einkommensarten erhobenen CSG kompensiert. | |
## Erziehung und Familie | |
Le Pen will das einheitliche Collège nach der gemeinsamen Grundschulstufe | |
abschaffen und Schuluniformen einführen. Der legalisierten Homoehe zieht | |
sie einen zivilrechtlichen Konkubinatsvertrag vor. Die medizinisch | |
unterstützte Fortpflanzung soll heterosexuellen Paaren vorbehalten sein. | |
Leihmütter-Praktiken müssen verboten bleiben. Eine rechtliche Anerkennung | |
der von Leihmüttern erworbenen Kinder wäre nicht möglich. | |
Macron möchte den öffentlichen Schulen generell mehr Autonomie in der | |
Planung und Organisation gewähren. In benachteiligten Zonen sollen die | |
Klassen auf 12 Schüler beschränkt werden. Mobiltelefone sollen aus dem | |
Schulzimmer verbannt werden. Die künstliche Fortpflanzen soll als Lösung | |
allen Frauen offen stehen. Er ist aber gegen Leihmütter, fordert aber, dass | |
kein Kind ohne Rechte und Anerkennung bleiben darf. | |
## Institutionen und Demokratie | |
Marine Le Pen möchte die Priorität der französischen Staatsbürger in der | |
Verfassung verankern. Sie fordert ein Recht auf Volksinitiativen und | |
Referenden (mit 500.000 Unterschriften) einführen. Solche Abstimmungen | |
sollen es ermöglichen, der Regierung beim Austritt aus der EU und dem Euro | |
Rückhalt zu geben. Bei der Wahl der Volksvertreter soll statt dem heutigen | |
Mehrheitsrecht der Verhältniswahlmodus (Proporz) gelten. | |
Emmanuel Macron möchte die von Skandalen diskreditierte Politik | |
„moralisieren“. Ein Volksvertreter darf nicht vorbestraft sein und kann | |
höchstens drei aufeinanderfolgende Mandate ausüben. Strengere Gesetze | |
sollen Interessenkonflikte vermeiden, die Anstellung von | |
Familienangehörigen als parlamentarische Assistenten würde verboten. Er | |
wäre zumindest für eine teilweise Proporzwahl zur besseren Repräsentation | |
aller Tendenzen in de Nationalversammlung. | |
7 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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