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# taz.de -- TV-„Wahlarena“ in NRW: Buhrufe für die AfD
> Eine Diesel fahrende Grüne, ein nachdenklicher Pirat, ein nervöser
> Rechtspopulist: Zehn Tage vor der Landtagswahl in NRW wird es im TV
> spannend.
Bild: Interessante Konstellation: die „Wahlarena“ am Donnerstagabend
BOCHUM taz | Mutig war das Experiment schon, zu dem der [1][WDR am
Donnerstagabend] in sein Kölner Studio BS4 geladen hatte: Streiten sollten
zehn Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai
KandidatInnen aller Parteien, die irgendwie die Chance haben, den Sprung
ins Landesparlament mit seinen aktuell 237 Abgeordneten zu schaffen.
Zur „Wahlarena“ geladen waren also nicht nur – wie beim „TV-Duell“ zw…
Tage zuvor – SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und ihr
CDU-Herausforderer Armin Laschet. Im Studio standen auch Krafts
Stellvertreterin, die grüne Bildungsministerin Sylvia Löhrmann, und die
Landtagsfraktionschefs von FDP und Piraten, Christian Lindner und Michele
Marsching.
Dazu kam die NRW-Vorsitzende der Linken, Özlem Demirel. Und ja, auch der
Landeschef der AfD, Marcus Pretzell, bekam seinen Auftritt im Kreis der
DemokratInnen – Diskussionen wie 2016 in Rheinland-Pfalz, als die dortige
SPD-Regierungschefin Malu Dreyer zunächst nicht mit einem Politiker der
Rechtspopulisten auftreten wollte, scheinen meilenweit entfernt.
Sieben Parteien also, dazu die Moderatorinnen Sabine Scholt und Ellen Ehni–
wer aber fürchtete, ein solches Format könne nicht mehr liefern als platte
Schlagworte, sah sich getäuscht: Eine Stunde und 45 Minuten hatte der WDR
in seinem dritten Fernsehprogramm ursprünglich freigeräumt – mit
Überziehung wurden es fast zwei Stunden intensiver Diskussion.
## Pretzell ausgelacht
Auf der Sachebene entlarvt wurde dabei vor allem der nervös wirkende
AfD-Mann Pretzell: Der machte nicht nur klar, dass er nicht an den
menschengemachten Klimawandel glaubt. Vom Publikum ausgelacht wurde der
Mann von Bundesparteichefin Frauke Petry, nachdem er wortreich versichert
hatte, die AfD stehe der Kita-Betreuung von Unter-Dreijährigen offen
gegenüber.
Auf Nachfrage musste er aber einräumen, dass das Wahlprogramm der
Rechtspopulisten Fremdbetreuung für „nicht sinnvoll“ erklärt. „Das steh…
in der Tat so drin“, gab er kleinlaut zu. Und als Pretzell später die
Chefin des rechten „Front National“ als kommende „Präsidentin Frankreich…
feierte, hagelte es Buhrufe.
Geprägt schien die Debatte auch von den Ergebnissen der neuesten
Infratest-Umfrage, die der WDR am Nachmittag präsentiert hatte. Danach
liegen SPD und CDU mit 32 zu 31 Prozent Kopf an Kopf, die auch im Bund
wieder auferstandene FDP kommt in NRW auf sensationelle 13 Prozent. Die
Grünen konnten sich mit dem Gewinn eines Punkts bei sieben Prozent
stabilisieren, wogegen die Linke mit fünf Prozent weiter um den Einzug in
den Landtag zittern muss. Sicher drin scheint dagegen mit acht Punkten die
AfD.
## „Bevölkerung“ und „Staatsvolk“
Entsprechend kraftstrotzend gab sich FDP-Chef Lindner: Zwar musste sich die
liberale One-Man-Show schon zu Beginn klischeehaft als Porsche-Fahrer outen
– doch der 38-Jährige nutzte die Diskussion um Diesel-Fahrverbote prompt zu
einem Appell für weniger politische Regulierung, für die FDP-Stanze „mehr
Freiheit für die Bürger“. In der Integrationsdebatte grenzte sich Lindner
dagegen von rechts gegen SPD, Grüne, CDU und Linke ab – die Position von
Bundeskanzlerin Angela Merkel, die nicht zwischen „Bevölkerung“ und
„Staatsvolk“ unterscheide, sei „unglücklich“.
Für Überraschungen sorgte auch Sylvia Löhrmann. Trotz Diskussionen um
Fahrverbote nach dem Abgasskandal fährt sie Diesel – einen „Bulli“, den …
nicht mehr als PKW, sondern in der Sparte „Nutzfahrzeuge“ anbietet. Zwar
präsentierte die grüne Spitzenkandidatin danach ihr Konzept für ein
landesweites Nahverkehrsticket, dass nur zwei Euro kosten soll – doch ihre
Koalitionspartnerin Kraft warnte prompt, dies sei nicht finanzierbar.
Stark war Löhrmann dagegen, als sie Pretzell für die rechte „Hetze in
diesem Land“ verantwortlich mache: Reflexhaft hatte der AfD-Mann Muslime
hinter dem Attentat auf den Mannschaftsbus des Dortmunder BVB vermutet –
begangen wurde der Sprengstoffanschlag mutmaßlich von einem
Russlanddeutschen, der an der Börse auf sinkende Kurse des Fußballvereins
gesetzt haben soll. „Dafür müssen Sie sich entschuldigen“, forderte
Löhrmann von Pretzell – vergeblich.
SPD-Ministerpräsidentin Kraft präsentierte sich dagegen beherrscht, gab die
Rolle der staatstragenden Regierungschefin – im „TV-Duell“ zwei Tage zuvor
hatte sie dagegen [2][nervös und gereizt gewirkt]. Am Donnerstagabend
konterte sie die Standard-Angriffe ihres Herausforderers Laschet in der
Innen- und Bildundspolitik lockerer mit Hinweisen auf mehr PolizistInnen,
mehr LehrerInnen.
Deutlich machte die Ministerpräsidentin aber auch: Von einer Zusammenarbeit
mit der Linken will sie nichts wissen. „Nicht regierungswillig, nicht
regierungsfähig“ seien die, behauptet sie seit Monaten – NRW könnte damit
auf eine große Koalition zusteuern. Linken-Chefin Demirel konterte immer
wieder mit Hinweisen auf die soziale Schieflage in NRW, wo die SPD –
abgesehen von einer fünfjährigen Unterbrechung – seit 1967 regiert.
## „Sonstige“
Mehr Geld forderte Demirel nicht nur für Schule, Kitas und den Nahverkehr –
die Linken- Vorsitzende erklärte auch, warum erst ein Mindestlohn von 12
Euro nach 45 Berufsjahren überhaupt eine Rente auf Grundsicherungsniveau
sichert.
Die Überraschung des Abends aber war Michele Marsching. Im lila Hoodie mit
Piratenlogo präsentierte sich der Fraktionschef als einer der wenigen, der
über die kommende Legislatur hinaus denkt: Marsching warnte nicht nur vor
der arbeitsplatzfressenden Digitalisierung, die seine Partei wie die Linke
mit einem Grundeinkommen für alle kontern will. Auch mit Blick auf
zunehmende Fremdenfeindlichkeit gab sich der Pirat nachdenklich: Grund
dafür könnte auch der Informationsüberfluss, der Zwang zu immer neuen,
nicht selten hysterisch wirkenden Breaking News in Netz sein.
Doch hinter Marschings Nachdenklichkeit steht auch die Chancenlosigkeit
seiner Partei. Nach jahrelangem innerparteilichen Streit werden die Piraten
in aller Wahrscheinlichkeit auch in NRW aus dem Landtag fliegen wie zuvor
schon in Berlin und im Saarland: Auch in der Infratest-Erhebung liefen die
Freibeuter nur noch unter „Sonstige“.
5 May 2017
## LINKS
[1] http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/video-ihre-wahl--die-arena-100…
[2] /!5403566
## AUTOREN
Andreas Wyputta
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