# taz.de -- Festgenommene Journalistin in der Türkei: #FreeMeşale | |
> Die Anschuldigungen gegen Meşale Tolu sind absurd. Die Journalistin mit | |
> deutscher Staatsbürgerschaft sitzt in der Türkei in Haft. | |
Bild: Mehr als 160 Journalist*innen sind in der Türkei inhaftiert | |
Zum zweiten Mal ist eine deutsche Journalistin in der Türkei festgenommen | |
worden. Damit ist die Zahl der inhaftierten Journalist*innen in der Türkei | |
– je nach Quelle – auf mehr als 160 gestiegen. Anders als im Fall von Deniz | |
Yücel verfügt Meşale Tolu nicht über eine doppelte Staatsbürgerschaft. Sie | |
ist ausschließlich Deutsche. Trotzdem brachte man sie nach der Festnahme in | |
ein türkisches Gefängnis. | |
Es geschah in den frühen Morgenstunden des 1. Mai. Die türkischen | |
Sicherheitskräfte hatten gegen 3.30 Uhr nachts bekannt gegeben, dass ein | |
Anti-Terror-Einsatz geplant sei. Wenig später verkündete die oppositionelle | |
Nachrichtenagentur Etha, dass 16 Personen festgenommen worden seien und | |
dass sich der Einsatz gegen Mitglieder der Sozialistischen Partei der | |
Unterdrückten (ESP) und deren Jugendorganisation SGDF richtete. Unter den | |
Festgenommenen war auch die Journalistin Meşale Tolu, die in der Türkei | |
offiziell als Pressevertreterin akkreditiert ist und die unter anderem für | |
die Nachrichtenagentur Etha tätig ist. | |
Tolu ist seit 2007 deutsche Staatsbürgerin und zog erst 2014 nach Istanbul, | |
um dort für den unabhängigen Radiosender Özgür Radyo zu berichten. Der | |
Sender wurde jedoch nach dem Putschversuch im Juli 2016 per | |
Regierungsdekret geschlossen. | |
Als die Anti-Terror-Einheit ihre Wohnung im Istanbuler Stadtviertel Kartal | |
stürmte, war die deutsche Journalistin mit ihrem zweieinhalb Jahre alten | |
Sohn alleine zu Hause. Die Polizisten stürmten die Wohnung gegen 4.30 Uhr | |
und nahmen Tolu fest. | |
Derya Okutan, eine Kollegin von Tolu, die ebenfalls bei der | |
Nachrichtenagentur Etha arbeitet, sagte der taz: „Sie haben versucht, die | |
Türe mit Gewalt einzutreten, und sie festgenommen. Sie haben ihr nicht mal | |
erlaubt, einen Anwalt anzurufen oder ihre Familie zu bitten, auf ihren Sohn | |
aufzupassen. Sie wurde gezwungen, das Kind bei den Nachbarn abzugeben, die | |
sie nicht mal kennt. Ich habe die Wohnung erst später betreten, sie lag in | |
Trümmern. Sie haben alles verwüstet.“ | |
## Akte mit „Geheimhaltungsbefehl“ | |
Zunächst hatten Tolus Anwälte angenommen, ihr werde so wie den meisten | |
inhaftierten Journalist*innen die „Verbreitung von Terrorpropaganda“ | |
vorgeworfen. Sie wurde bis zum 6. Mai in der Anti-Terror-Abteilung der | |
Polizeistation in Istanbul Fatih festgehalten. Im Anschluss beschied der | |
Richter ihre Verhaftung und sie wurde in das Frauengefängnis in Bakırköy | |
verlegt. | |
Weder Tolu noch ihr Anwalt kennen die genauen Details der Anschuldigungen | |
gegen sie, denn so wie in allen anderen Fällen auch ist ihre Akte mit einem | |
„Geheimhaltungsbefehl“ versehen. Laut Gülhan Kaya, einer der Anwältinnen, | |
die sich den Fall angesehen haben, ist einer der „Beweise“ gegen sie, dass | |
sie an der Beerdigung von Sirin Öter und Yeliz Erbay teilgenommen hatte – | |
MLKP-Mitgliedern, die 2015 von Polizeikräften bei einem Einsatz in Istanbul | |
getötet worden waren. | |
Die Anwältin sagte, dass frühere Ereignisse ähnlich wie dieses | |
unrechtmäßigerweise in Tolus Akte als Beweis aufgeführt seien. „Bei dieser | |
Beerdigung waren 2.000 Menschen. Und natürlich gibt es einen | |
Geheimhaltungsbefehl – sodass wir nicht alles wissen.“ | |
Ali Rıza Tolu, der Vater von Meşale Tolu, war auf dem Rückweg vom | |
Silivri-Gefängnis, als wir ihn erreichten. Sein Schwiegersohn, Suat Çorlu, | |
der Ehemann von Meşale, sitzt dort im Gefängnis, wegen angeblicher | |
Mitgliedschaft in der Marxistisch-Leninistisch Kommunistischen Partei | |
(MLKP). Er wurde am 5. April festgenommen. Tolu sagt, er habe vergangene | |
Woche versucht, seine Tochter in Bakırköy zu besuchen, doch das sei ihm | |
verwehrt worden – weil sie keine türkische Staatsbürgerin sei. | |
## „Mitglied in einer Terrororganisation“ | |
„Sie riefen mich an und sagten mir, dass sie sie wegen ihres Ehemannes | |
festgenommen hätten und dass sie für vier bis fünf Tage ‚ihr Gast‘ sei. | |
Dann fand ich heraus, dass ihr vorgeworfen wird, Mitglied in einer | |
terroristischen Organisation zu sein – und dass die Teilnahme an einer | |
Beerdigung von MLKP-Leuten der Beweis dafür war“, sagt Tolu. „Sie ist eine | |
freiberufliche Journalistin mit einem Presseausweis. Sie nahm an dieser | |
Beerdigung als Journalistin teil. In dieser Akte gibt es keinerlei | |
Beweise.“ | |
Ali Rıza Tolu sagte außerdem, dass er beim deutschen Konsulat vorstellig | |
geworden sei, um dort den Fall seiner Tochter bekannt zu machen und um | |
Hilfe zu bitten. Dieser Kontakt wird auch vom Auswärtigen Amt bestätigt. | |
„Sie sagten mir, dass sie sich so schnell wie möglich um einen | |
Besuchstermin im Gefängnis bemühen. Und dass sie alle Informationen mit | |
ihnen teilen würden“, so Tolu. | |
Die Socialist Womens Association (SKB) in Europa protestierte in Paris und | |
Brüssel gegen die Verhaftung Tolus und fordert ihre unverzügliche | |
Freilassung. „Unter normalen Umständen hätte eine deutsche Staatsbürgerin | |
abgeschoben werden müssen“, sagte Baki Selçuk, der Sprecher der | |
Solidaritätsbewegung, der taz. „Aber wir leben nicht in normalen Zeiten. | |
Der Rechtsstaat ist ausgesetzt, alles ist völlig willkürlich. Warum sitzt | |
[Welt-Korrespondent] Deniz Yücel im Gefängnis? Was wird ihm vorgeworfen? | |
Sie bringen ihn mit terroristischen Organisationen in Verbindung. Es ist | |
immer dasselbe.“ | |
11 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Ali Celikkan | |
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