| # taz.de -- Israelisch-deutsches Verhältnis: Manches ist anders als unter Freu… | |
| > Unter Freunden, sagt Gabriel in Jerusalem nach dem abgesagten Treffen, | |
| > muss man auch etwas aushalten können. Das stimmt. Aber was? | |
| Bild: Sigmar Gabriel am Dienstag in Jerusalem | |
| Weinen zum Beispiel. Weinen ist etwas, das man unter Freunden tut. Man | |
| nimmt sich dann in den Arm oder vielleicht steht man nebeneinander, etwas | |
| sprachlos, und erträgt gemeinsam die Stille. | |
| Streiten ist ebenfalls etwas, das man unter Freunden tut. Man schaut sich | |
| dabei ins Gesicht und geht hart gegeneinander an. Aber jedenfalls kommt man | |
| dann wieder zusammen und wird sich gewahr, dass es fruchtbar war. | |
| Israels Premier [1][Benjamin Netanjahu hat am Dienstag mit einem | |
| eindrucksvollen Signal Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel düpiert]. | |
| Gabriel war bereits in Netanjahus Land angekommen. Aber weil Gabriel, das | |
| ist ein hebräischer Name, bei diesem Besuch auch zwei in Israel umstrittene | |
| Nichtregierungsorganisationen traf, beschloss der Hardliner Netanjahu, | |
| Gabriel dafür zu bestrafen. | |
| Es war ein Eklat mit Ansage: Das Auswärtige Amt hatte es kommen sehen, aber | |
| war nicht bereit, auf einen Besuch bei Netanjahus schärfsten Kritikern zu | |
| verzichten. Denn Gabriel findet: Unter Freunden muss man auch etwas | |
| aushalten können. Damit hat er natürlich Recht. Nur: Wenn man von | |
| Freundschaft redet – muss man dann nicht auch befreundet sein? | |
| ## Gabriel kam eigentlich zu spät | |
| Man kann nun ausgerechnet Sigmar Gabriel sicher nicht vorwerfen, sich nicht | |
| für Israel zu interessieren. Er war schon als junger Mensch da, er war oft | |
| da, er meint es ernst. Und doch: Als er am Dienstag Netanjahu besuchen | |
| wollte, kam er als Außenminister und zwar, eigentlich, zu spät. | |
| Drei Tage ist es erst her, da spielte ein 20-jähriger Mann namens Sahar | |
| Garber in Jerusalem an einem Fahnenmast Trompete. Sahar Garber trug an | |
| diesem Sonntagabend eine Militäruniform und es war die offizielle | |
| Gedenkzeremonie für die Opfer des Holocaust und auch und vor allem, wie es | |
| in Israel heißt, für die „Märtyrer und Helden des Holocaust“. Während | |
| Garber Trompete spielte, wurde die Fahne des israelischen Staates auf | |
| Halbmast gesenkt. Kurz darauf wurden Flammen entzündet. | |
| An diesem Abend sprachen einige sehr alte Menschen darüber, wie sie die | |
| systematische Vernichtung der Juden durch die Nazis überlebt haben. | |
| Hunderte Menschen, die dem zuhörten, weinten. Aber Sigmar Gabriel nicht, | |
| denn er war nicht dabei. Und auch vor ihm war noch nie ein deutscher | |
| Minister, ein deutscher Kanzler oder die Kanzlerin bei dieser Zeremonie zu | |
| Gast. Wieso ist das so? | |
| Sechs Millionen Juden wurden während des zweiten Weltkrieges systematisch | |
| ermordet. Es gäbe also viele Gründe dafür, dass deutsche | |
| Regierungsvertreter die offizielle Holocaust-Gedenkzeremonie des | |
| israelischen Staates besuchen, wie es in diesem Jahr erstmals der | |
| österreichische Bundeskanzler tat – und dass sie eben nicht nur einen Tag | |
| später betroffen einen Kranz ablegen. Denn diese Zeremonie ist so | |
| schmerzhaft, dass sie zum Weinen veranlasst. Sie ist im übrigen auch so | |
| aufgeladen, dass es bisweilen wehtut. | |
| Es wäre gut, wenn ein Außenminister wie Sigmar Gabriel bei dieser | |
| Gedenkveranstaltung in der ersten Reihe sitzen könnte, um den Schmerz der | |
| Überlebenden zu teilen und die Aggressivität, auch die insgeheime | |
| Verlorenheit zu spüren, die einer wie Benjamin Netanjahu an diesem Abend | |
| zum Ausdruck bringt. Das wäre wahrscheinlich ein Zeichen von Freundschaft. | |
| ## Tragische Distanziertheit | |
| Die Wahrheit jedoch lautet: Eine solche Teilnahme ist in Israel nicht | |
| erwünscht, jedenfalls noch nicht. Oder präziser gesagt: Sie wird in Israel | |
| nicht ertragen. Aus Rücksicht auf die Wünsche der Überlebenden, so heißt es | |
| in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, die das Erinnern organisiert, sei | |
| es für eine Beteiligung der deutschen Bundesregierung an dieser staatlichen | |
| Gedenkveranstaltung noch zu früh. Was sagt uns das? | |
| Immerhin dies: Auch 72 Jahre nach dem Ende der systematischen Ermordung von | |
| Juden durch das deutsche Naziregime ist das mit der Freundschaft noch nicht | |
| so ganz unkompliziert. Yuli Edelstein zum Beispiel, der Präsident des | |
| israelischen Parlaments, sagt, er habe die längste Zeit seines Lebens | |
| deutsche Produkte boykottiert. Er wartet, wie Benjamin Netanjahu, sicher | |
| nicht darauf, dass bei ihm mal ein deutscher Erklärbär vorbei kommt: Auf | |
| die Belehrung von Juden hatte die bundesdeutsche Regierung noch nie einen | |
| Anspruch – sie wird in Israel daher auch heute nicht als Ratgeber vermisst, | |
| weder zum Weinen, noch zum Streiten. Das bedeutet dann wohl auch, dass | |
| manches anders ist als unter Freunden. | |
| Daraus ist einerseits abzuleiten, dass jede deutsche Regierung die | |
| verantwortungsethischen Abwägungen für ihr Handeln an der Sicherheit des | |
| Staates Israel, einem an deutscher Schuld traumatisierten Staat, ausrichten | |
| muss. Das ist allerdings nicht gleichbedeutend damit, diese Abwägungen auch | |
| an der – nehmen wir nur den Siedlungsbau – teils verhängnisvollen | |
| Regierungspolitik Israels ausrichten zu müssen. Im Gegenteil: Die | |
| moralische Konsequenz aus dem Holocaust ist natürlich, jede Politik an den | |
| materiellen Rechten von Minderheiten auszurichten. Dass Sigmar Gabriel in | |
| Israel nicht nur Benjamin Netanjahu, sondern auch „Breaking the Silence“ | |
| treffen wollte, ehrt ihn daher. | |
| Dass Benjamin Netanjahu darauf in solch kleinlicher Weise reagiert, spricht | |
| sicher nicht für ihn. Es zeigt aber in der Konsequenz eine tragische | |
| Distanziertheit, über die sich Deutsche nicht empören sollten. Es gibt für | |
| Deutsche in Israel keinen Anspruch darauf, irgendwo eingeladen zu werden. | |
| Vielleicht wäre das anders, wenn es um Freundschaft ginge. | |
| Martin Kaul, Jahrgang 1981, ist taz-Redakteur und derzeit auf Einladung der | |
| Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zu Gast. Er twittert darüber | |
| unter [2][@martinkaul] und #Shalom17. | |
| 26 Apr 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Eklat-bei-Israel-Besuch/!5404670 | |
| [2] https://twitter.com/martinkaul?lang=en | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Kaul | |
| ## TAGS | |
| Israel | |
| Holocaust-Gedenktag | |
| Holocaust | |
| Sigmar Gabriel | |
| Benjamin Netanjahu | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Israel | |
| Israel | |
| Israel | |
| Benjamin Netanjahu | |
| Israel | |
| Benjamin Netanjahu | |
| Israel | |
| Antisemitismus | |
| Verhältnis Iran - Israel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Nach Eklat bei Israel-Besuch: Gabriel kritisiert Netanjahu | |
| Der deutsche Außenminister verteidigt Treffen mit regierungskritischen | |
| Gruppen. Israelische Intellektuelle danken Gabriel in einem Brief. | |
| Kolumne Liebeserklärung: Gegen den Schlussstrich | |
| Israels Premier Benjamin Netanjahu stellt weiterhin Bedingungen für | |
| Beziehungen zum NS-Nachfolgestaat. Dafür verdient er Liebe. | |
| Druck auf Opposition in Israel: Kulturministerin mit rechter Mission | |
| In Israel geraten oppositionelle Künstler, Organisationen wie Breaking the | |
| Silence und andere kritische Stimmen immer mehr in Bedrängnis. | |
| Diplomatischer Eklat mit Israel: Netanjahu weist Gabriel den Weg | |
| Israels Regierungschef verteidigt die Absage des Treffens mit Außenminister | |
| Gabriel. Dieser habe angesichts des Zeitpunktes instinktlos gehandelt. | |
| Kolumne German Angst: Die vielen Opfer des Holocausts | |
| Benjamin Netanjahu hat Sigmar Gabriel nicht empfangen. Das kann der | |
| deutsche Außenminister so nicht auf sich sitzen lassen. | |
| Kommentar Gabriels Besuch in Israel: Das Ende der Leisetreterei | |
| Zu lange hat sich Deutschland – bei aller Verantwortung für das Wohlergehen | |
| Israels – gegenüber Netanjahu zurückgehalten. | |
| Eklat bei Israel-Besuch: Netanjahu versetzt Gabriel | |
| Der wichtigste Termin von Außenminister Gabriel in Israel fällt flach. | |
| Ministerpräsident Netanjahu will ihn nicht empfangen. | |
| Treffen zwischen Gabriel und Netanjahu: Eklat in Jerusalem? | |
| Außenminister Gabriel will am Dienstag Israels Ministerpräsident Netanjahu | |
| treffen. Der Termin könnte ausfallen – wegen Gesprächen mit Linken. | |
| Pro und Contra Israel-Boykott: Antisemitisch oder kritisch? | |
| Ist die Bewegung BDS antisemitisch? Ist sie legitimer Protest? Oder fehlt | |
| jede Empathie für die Juden? Zwei Standpunkte. | |
| USA schwenken in Nahost-Politik um: Keine Vorbedingungen für Frieden | |
| Für Ex-US-Präsident Obama war es nicht vorstellbar. Doch Trump will | |
| Friedensverhandlungen im Nahen Osten, ohne auf der Zwei-Staaten-Lösung zu | |
| bestehen. |