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# taz.de -- Biografie des Bruders von Che Guevara: Erinnerungen an Ernesto
> „Ich habe mich nie als Opfer gefühlt“: Juan Martín Guevara im Gespräch
> über Kuba, seine Eltern und den berühmten Bruder Che.
Bild: 1959 in Havanna: Juan Martín Guevara mit seinem Bruder Ernesto und ihrer…
taz.am wochenende: Herr Guevara, Sie haben die Erinnerungen an ihren
ältesten Bruder Ernesto mit Unterstützung der französischen Journalistin
Armelle Vincent festgehalten. Welchen Anteil hatte sie an dem nun in
deutscher Übersetzung vorliegenden Buch „Mein Bruder Che“?
Juan Martín Guevara: Armelle hat mich bereits vor vielen Jahren für die
französische Zeitschrift L’Amateur de Cigare interviewt. Damals war ich der
offizielle Vertreter für kubanische Havanna-Zigarren in Argentinien. Aber
erst seit 2009 habe ich über meinen Bruder zu sprechen begonnen. Danach ist
sie nochmals auf mich zugekommen. Sie hat meine Erinnerungen aufgenommen,
eine Architektur für die Erzählung angelegt und das Buch auf Französisch
geschrieben. Mein Ziel war es, mit dem Buch Che zu vermenschlichen. Deshalb
ist es mir auch wichtig, von der Familie zu sprechen, den Menschen zu
zeigen, der Vater und Mutter hatte.
Auf den letzten Seiten erwähnen Sie, dass Ihre Schwester Celia, die nach
Ches Tod nicht mehr über ihren berühmten Bruder öffentlich sprach, von dem
Buchprojekt nicht wüsste. Wie hat Sie nun auf die Veröffentlichung
reagiert?
Sie weiß nichts davon.
Sprechen Sie nicht miteinander?
Doch, aber von anderen Dingen. Sie wird es aber bald mitbekommen, wenn das
Buch auch in Buenos Aires erscheint. Noch ist es in Argentinien nicht
erhältlich.
Anhand Ihrer Aufzeichnungen erfährt man viele Details aus der Kindheit und
Jugend Ihres Bruders, der Revolutionsikone. Man bekommt aber auch das
facettenreiche Bild einer eher ungewöhnlichen Familie mit unangepassten
Eltern vermittelt. Wie haben Ihrer Meinung nach Vater und Mutter die
Persönlichkeit und den späteren Lebensweg Ernestos beeinflusst?
In unserer Familie war die Freiheit das Wichtigste im Leben, aber auch die
Lektüre, das Wissen und die Auseinandersetzung mit Dingen. Die Eltern waren
sehr unterschiedlich. Mein Vater hatte viel Energie, war immer am Träumen,
probierte hier und dort etwas Neues aus, brachte aber nie etwas zu Ende.
Meine Mutter war ebenfalls vital und unangepasst, aber etwas
disziplinierter. Aus diesen für den damaligen Mittelstand nicht normalen
Verhältnissen stach Ernesto bald besonders hervor. Bei uns war man gegen
die Kirche, gegen das Militär, gegen die Aristokratie. Man war immer anti.
Über die Beziehung zwischen Ihrer Mutter, Celia de la Serna, und ihrem
erstgeborenen Sohn wurde viel geschrieben. Über dessen Beziehung zum Vater
Ernesto Guevara Lynch weiß man relativ wenig. Sie beschreiben das
Verhältnis der beiden als schwierig. Warum?
Auch im umgekehrten Sinn hat mein Vater Ernesto beeinflusst. Er war jemand
ohne Struktur, reiste quer durchs Land und hinterließ hier und dort Kinder.
Er gehörte nirgendwohin. Sicher hat er uns Kinder beeinflusst, aber er war
widersprüchlich und ein Opportunist. Konservativ war er nicht. Es war aber
wohl eher meine Mutter, die Ernesto prägte. Sie war gradliniger,
konsequenter. Gemeinsam haben sie ihn aber dazu gebracht, mit seinem
chronischen Asthma zurechtzukommen.
Ihr Vater unterstützte spanische Bürgerkriegsflüchtlinge, war Antikommunist
und Antiperonist. Nach der kubanischen Revolution wandelte er sich zu einem
überzeugten Castristen.
So war er. Er war kein Lügner, aber er manipulierte die Realität, war sehr
beweglich, um in verschiedenen Momenten und Situationen zurechtzukommen.
Hat diese Eigenschaft Ihres Vaters Ernesto verärgert? Schließlich war er
ein Mann mit Prinzipien.
Einerseits sicher. Aber mein Vater war auch ein lebendiger Typ, tauchte mal
hier, mal dort auf. Diese Fähigkeit, überall bestehen zu können – sei es in
Rio, São Paulo oder Caracas – die hat er an uns weitergegeben.
Und was hielt Ihr Bruder damals von General Juan Perón?
In seiner Jugend war er Mitglied in einer antiperonistischen Organisation
gewesen. Aber der Peronismus in Argentinien war eine Massenbewegung, in der
sich linke wie rechte Kräfte sammelten. Che hatte Kontakt zum linken Flügel
der Peronisten. Umgekehrt unterhielt Perón Beziehungen zu Leuten wie
Franco, Stroessner und Somoza – nicht aber zu Fidel Castro.
Obwohl Sie das jüngste von fünf Geschwistern waren, fühlten Sie sich früh
den politischen Idealen ihres fünfzehn Jahre älteren Bruders verbunden. Im
Januar 1959, unmittelbar nach dem Triumph der kubanischen Revolution,
reisten Sie als Fünfzehnjähriger nach Havanna, um Ihren Bruder zu besuchen.
War das für Sie ein Schlüsselmoment?
Ich war schon vor meiner Reise nach Kuba als Schüler politisch interessiert
gewesen. Aber in Kuba erlebte ich etwas sehr Direktes. Drei Monate war ich
dort mit den Compañeros zusammen. Das waren junge Leute, Siebzehnjährige,
die schon Befehlshaber der Armee waren. Einige von ihnen treffe ich noch
heute, wenn ich auf Kuba bin. Ich lernte das revolutionäre Denken durch die
kubanische Revolution selbst kennen und nicht so sehr durch das, was Che
sagte. Nach dem Aufenthalt waren meine Mutter und ich in unterschiedlichen
Organisationen politisch aktiv – sie als Unterstützerin Kubas, ich in einer
sozialistischen Gruppe.
Auch nach der Ermordung Che Guevaras in Bolivien 1967 blieb das Leben Ihrer
Familie eng mit Kuba verbunden. Welche Rolle spielt das Land für die
Guevaras?
Sehen Sie: Mein Vater und Maria, meine ältere Schwester, starben in Kuba.
Ernesto ist dort begraben. Meine Nichte und Neffen, meine Kinder und Enkel
leben in Kuba. Das ist nicht die kubanische Revolution, das ist Kuba. Und
ich war viele Jahre offizieller Vertreter für kubanische Bücher und
Zigarren. Ich kenne das Land in- und auswendig und verstehe die dortigen
Prozesse.
Warum sind Sie gegenüber Fidel Castro so loyal?
Weil auch Fidel loyal war. Er war ein Anführer, kämpfte an vorderster
Front, nicht nur in der Guerilla. Klar, Fidel war Politiker, trat als
Staatsoberhaupt auf, aber im persönlichen Umgang war er ein Typ mit
Prinzipien. Jene, die ihn kritisieren und ihn als Verräter bezeichnen, tun
dies, weil sie seine und die Politik Kubas ablehnen.
Sie selbst waren in den 1970er Jahren in Argentinien in der kommunistischen
PRT, dem Partido Revolucionario de los Trabajadores, aktiv. Sie zahlten
einen hohen Preis: 1975 wurden Sie in Córdoba verhaftet und blieben auch
während der Militärdiktatur bis 1983 im Gefängnis. Haben Sie nach der
Freilassung nie daran gedacht, nach Kuba zu emigrieren?
Zunächst einmal: Ich habe mich niemals als Opfer gefühlt. Ich war an der
Front, und wir haben verloren. Entweder waren wir tot oder gefangen. Von
den nach dem Militärputsch Verschwundenen, Gefolterten oder ins Meer
Geworfenen haben wir erst später erfahren. Wir haben lange gedacht, dass
die Dinge sich draußen noch ändern könnten. Als das nicht der Fall war,
haben wir zum eigenen Schutz nach außen dicht gemacht. Schwer wog nach der
Freilassung die Niederlage der Linken und der Montoneros. Die Folge war
eine Art ideologische Diaspora. Ich persönlich dachte, kurzfristig bin ich
zwar pessimistisch, aber langfristig bleibe ich Optimist. Diesen Optimismus
habe ich mir beibehalten. Auch wenn der kubanische Botschafter mir nach
meiner Freilassung vorschlug, nach Kuba zu gehen, wollte ich doch in
Argentinien bleiben. Ich wollte wissen, wie es mit diesem Land, das wir
hatten verändern wollen, nun weitergehen würde. Schließlich ist es mein
Land.
Juan Martín Guevara, Armelle Vincent: „Mein Bruder Che“. Aus dem
Französischen von Christina Schmutz und Frithwin Wagner-Lippok. Klett-Cotta
Verlag, Stuttgart 2017, 352 Seiten, gebunden, 22 Euro
21 May 2017
## AUTOREN
Eva-Christina Meier
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