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# taz.de -- Chronik Zentrum Kreuzberg: Vom Staat schon mal bezahlt
> Mit dem NKZ schrieben einst Zahnärzte ihre Steuern ab. Für die Schulden
> kam der Staat auf. Weil die Gegend hipp wird, soll es nun verkauft
> werden.
Bild: Bei Gästen hipp: Das Kottbusser Tor.
Zwanzig Prozent jährliche Rendite gefällig? Auf Kosten der Staatskasse?
Kein Problem für Gutverdiener Mitte der 70er Jahre. So kann man die
Finanzierung des damaligen Neuen Kreuzberger Zentrum (NKZ) vereinfacht
zusammenfassen. Mit dem am Dienstag beschlossenen Verkauf wollen die
Eigentümer, die Kommanditisten der NKZ GmbH & Co KG, noch mal verdienen.
Doch selbst wenn die landeseigene Gewobag den Zuschlag für den Komplex an
der Nordseite des Kottbusser Tors bekommen sollte, der nun Kreuzberger
Zentrum heißt, wird sie für die 295 Sozialwohnungen und 90 Gewerbeeinheiten
einen Preis bezahlen müssen, den die öffentliche Hand eigentlich schon
mehrfach bezahlt hat.
In den 70er Jahren wurden im damaligen Westberlin die Häuser des
sogenannten sozialen Wohnungsbaus vor allem über Steuerabschreibungsmodelle
für westdeutsche Gutverdiener finanziert. Wer als Arzt oder Apotheker mehr
als 150.000 Mark Jahreseinkommen hatte, konnte seine Einlage innerhalb von
fünf Jahren über Steuerersparnisse nahezu vollständig zurückholen. Denn der
westdeutsche Staat ließ sich sein „Schaufenster zum Osten“ einiges kosten.
## Ein Fass ohne Boden
So gesehen bezahlte eigentlich der Steuerzahler zu hundert Prozent den Bau
des NKZ. Doch der Gebäuderiegel am Kottbusser Tor gehört bis heute den rund
350 Kommanditisten, deren Geschäftsmodell im Wesentlichen auf
Verlustzuschreibungen beruht.
Auch deswegen konnten die Baukosten nicht hoch genug sein, denn nach diesen
richtet sich die sogenannte Kostenmiete, die beim NKZ am Kottbusser Tor bis
zu 14 Euro den Quadratmeter erreicht. Jahrzehntelang zahlte der Berliner
Senat die Differenz zwischen dieser „Kostenmiete“ und der staatlich
festgelegten Sozialmiete, erst Rot-Rot kündigte diese Subventionierung der
Eigentümer auf. „Etwa 20 Milliarden der 60 Milliarden Schulden des Landes
Berlins gehen auf den sozialen Wohnungsbau zurück“, schätzt die neue
Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke).
Und das NKZ bekam immer wieder neue Subventionen. Als um die
Jahrtausendwende zum wiederholten Male die Insolvenz drohte, stellte die
Öffentlichkeit fest, dass von den rund 40 Millionen Euro Schulden für den
Hausbau nahezu nichts getilgt war.
Noch einmal musste der Senat auf Kosten der Steuerzahler einen Teil der
Schulden in Höhe von 25 Millionen Euro zins- und tilgungsfrei stellen. Das
kostete ungefähr 10 Millionen Euro an Steuergeldern. Warum sich das Land
dafür keine wirtschaftlichen Eigentumsrechte sicherte, ist heute kaum noch
verständlich. Zu groß war wohl die Angst, noch mehr in ein Fass ohne Boden
hineingezogen zu werden.
In den folgenden Jahren stabilisierte sich das Gebäude, Clubs wie das Möbel
Olfe und das West-Germany zogen ein, der ehemalige Leerstand von bis zu
einem Fünftel der Wohnungen ist heute vergessen, und eine neue
Hausverwaltung arbeitet zur weitgehenden Zufriedenheit der Mieter*innen.
Doch genau deshalb beginnen sich auch Investoren für das ehemalige
Schmuddelkind zu interessieren. Der als Investor für „Problemimmobilien“
bekannte Gijora Padovicz kaufte mit einer seiner Firmen vor wenigen Jahren
den zur ehemaligen GSW gehörenden linken Gebäudeflügel, in dem sich ein
Altersheim befindet. Sein Ziel ist die langfristige Umwandlung der
Wohnungen in Eigentumswohnungen, die sich dann als Lofts am „Hotspot“
Kottbusser Tor international vermarkten lassen. Selbst im grün regierten
Friedrichshain-Kreuzberg wurde diese Entwicklung verschlafen.
Wirklich aufgeschreckt wurden Insider und Politik erst, als Padovicz vor
rund einem Jahr begann, einzelnen Kommanditisten der restlichen
Gebäudeteile des NKZ Angebote für ihre Anteile zu machen, einschließlich
der Bezahlung der im Falle eines Verkaufs fälligen Nachversteuerung.
Überhaupt erst möglich werden solche Angebote, weil sich in den letzten
zehn Jahren in diesem Teil Kreuzbergs die Bodenpreise vervierfacht haben
und damit den aberwitzigen Schulden des NKZ von rund 40 Millionen Euro auf
einmal wieder reale Werte gegenüberstehen. Auch ist das Kottbusser Tor bei
der „Jugend der Welt“ eher wegen seiner Clubs und weniger als
„Kriminalitätsschwerpunkt“ im Gespräch. Meist unbeabsichtigt befeuern so
die Clubs die weitere soziokulturelle und damit auch ökonomische Aufwertung
der Gegend.
Nun rächte sich, dass der Senat viel öffentliches Geld in den Koloss
gesteckt hatte, aber keinerlei Mitsprache oder gar Eigentumsrechte besitzt.
Deshalb bekam die landeseigene Gewobag grünes Licht, sich ebenfalls für das
Zentrum Kreuzberg zu bewerben.
Doch für alle Beteiligten überraschend initiierte Peter Ackermann,
Vorsitzender des Beirats der Kommanditgesellschaft, ein Bieterverfahren, um
einen vollständigen Verkauf des Gebäudes zu betreiben. Sollte das Zentrum
Kreuzberg tatsächlich an die Juwelus gehen, wäre diese noch zwölf Jahre an
die Auflagen des sozialen Wohnungsbaus gebunden. Danach hätte sie
weitgehend freie Hand und könnte versuchen, die Wohnungen als
Eigentumswohnungen zu vermarkten.
Im Gegensatz dazu könnte eine städtische Gesellschaft wie die Gewobag den
Komplex als Teil des sozialen Wohnungsbaus weiterbetreiben. Zumindest am
nördlichen Kottbusser Tor müssten die Mieter*innen keine Angst mehr vor
Vertreibung haben. Anders ist dies noch am südlichen Kottbusser Tor, wo die
Initiative Kotti & Co. aktiv ist. Denn dort gehören die meisten Häuser der
Deutschen Wohnen, die bisher alle Angebote einer Rekommunalisierung brüsk
von sich wies.
19 Apr 2017
## AUTOREN
Christoph Villinger
## TAGS
Kottbusser Tor
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Mietenpolitik
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