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# taz.de -- Medien und Manipulationen in Südkorea: Paranoia im Hightech-Land
> Vor der Präsidentschaftswahl in Südkorea fürchten viele digitale
> Falschmeldungen. Diese bestimmen den politischen Diskurs.
Bild: Je digitaler und vernetzter, desto anfälliger für Fake News?
Seoul taz | Als der Kommunikationswissenschaftler Hahn Kyu Sup damit
begann, systematisch alle Umfragen für die koreanische Präsidentschaftswahl
zu sammeln und auf seiner Homepage zu veröffentlichen, gewöhnte er sich
schon bald an die nervösen Regierungsbeamten, die nun täglich in seinem
Büro anrufen sollten. Bis ins kleinste Detail fragten sie den Professor der
renommierten Seouler Nationaluniversität nach Auskunft: Woher er seine
Information beziehe? Welche Methodologie seine Statistiken zugrunde liege?
Ob man den Quellentext auch einmal einsehen könne?
„Natürlich verstehe ich, dass die Regierung alles Mögliche versucht, um
eine Beeinflussung der Wahlen zu verhindern“, sagt Hahn Kyu Sup, „aber bei
diesem Wahlkampf gehen sie für meinen Geschmack eindeutig zu weit.“ Eine
geradezu paranoide Angst vor digitalen Falschmeldungen bestimmt den
politischen Diskurs über die vorgezogenen Neuwahlen am 9. Mai.
Bereits im Februar schrieb die linksgerichtete Tageszeitung Hankyeoreh in
einem aufgeheizten Leitartikel: „Das Erstellen und Verbreiten von Fake News
unterscheidet sich nicht wesentlich von der Propaganda der Nazis. (…) Eine
Demokratie kann nicht aufrechterhalten werden, wenn der Staat es zulässt,
dass sich Goebbels-mäßige Lügen frei verbreiten können.“
Das Blatt schrieb auch über ein 13-sekündiges Onlinevideo, das bereits
Monate vor der Wahl den weiteren Verlauf entschieden geändert hat: Auf den
wackeligen Bewegtbildern ist Ban Ki Moon beim Grabbesuch seiner
Familienahnen zu sehen. Im konfuzianischen Korea ist dies eine wichtige
symbolische Geste.
## Ein Glas Reisschnaps am Grab
Dann jedoch beging er in besagtem Video einen gravierenden Tabubruch:
Während des Grabrituals trank er ein Glas Reisschnaps, das eigentlich als
Opfergabe für die Verstorbenen angedacht war. Die Internetgemeinde empörte
sich zu Zehntausenden.
Der Grundkonsens des Aufschreis: Der Diplomat aus New York hätte längst den
Draht zu seinem Heimatland verloren. Zuvor führte der UN-Generalsekretär
die meisten Umfragen mit weitem Abstand an. Doch der 72-Jährige wurde über
Nacht vom Messias zum ausgestoßenen Sohn. Was die meisten Onlinenutzer
jedoch nicht wussten: Das Video wurde in einer Falschmontage bewusst
manipuliert.
„Solche Gerüchte schwächen das Vertrauen in die Medien und staatliche
Institutionen“, sagt Kim Su Yeon von der Nationalen Wahlkommission. Ihr
Büro befindet sich in einem Funktionsbau im Regierungskomplex Gwacheon,
einer Satellitenstadt südlich von Seoul. Mehrere Dutzend Mitarbeiter in
grauen Einheitsjacken sitzen dort vor ihren Computern, das Stakkato der
Tastaturen bestimmt die Geräuschkulisse.
## Regulieren und löschen
Insgesamt leitet die Südkoreanerin Kim eine 185-köpfige Gruppe, die sich
ausschließlich darauf konzentriert, Falschinformationen zu regulieren, die
gegen das Wahlgesetz verstoßen. Oft geht es dabei um die Familienmitglieder
der Kandidaten: Es kursieren beispielsweise Gerüchte, dass der
linksgerichtete Politiker Moon Jae In seinem Sohn illegal einen Job bei
einer staatlichen Behörde verschafft habe. Bei der Tochter des Konkurrenten
Ahn Cheol-soo heißt es, sie hätte eine US-Staatsbürgerschaft angenommen, um
Steuern zu sparen.
Kims Cyber-Untersuchungskommission versucht in einem ersten Schritt, der
Sachlage auf den Grund zu gehen. Werden Falschinformationen klar als solche
identifiziert, würden die Internetprovider zum Löschen der Inhalte
aufgefordert. „Handelt es sich um Einzeltäter, bleibt es beim Löschen. Ist
jedoch eine gewisse Systematik oder Professionalität bei der Verbreitung
von Falschmeldungen zu erkennen, leiten wir auch rechtliche Schritte ein“,
sagt Frau Kim. Bislang wird gegen elf Personen ermittelt, 17.000 Inhalte
wurden aus dem Netz entfernt.
„Im Gegensatz zur Situation in Amerika, wo die Redefreiheit im Grunde gar
nicht beschnitten wird, gibt es in Südkorea die Auffassung, dass einige
Bereiche reguliert werden müssen“, sagt Kim Su Yeon. Sie macht dabei auf
ein grundsätzliches Dilemma der koreanischen Gesetzgebung aufmerksam: In
einigen Fällen wird auch berechtigte Kritik an Politikern als Straftat
gewertet. Sie wählt ihre Worte vorsichtig, offenbart aber das große
Misstrauen in die staatlichen Institutionen, die mit ihrer Überregulierung
dafür sorgen könnten, jegliche Opposition mundtot zu machen.
## Kaum eine Nation der Welt ist stärker vernetzt
Die Skepsis gegenüber dem Staat wurzelt nicht zuletzt in der letzten
Präsidentschaftswahl: Damals haben Mitarbeiter des südkoreanischen
Geheimdienstes auf sozialen Netzwerken Tausende gefälschte Profile
erstellt, um Wahlwerbung für die spätere Präsidentin Park Geun Hye zu
machen. Der Staat war es, der die Fake News produzierte und verbreitete.
Fake News ist ein relativ junger Begriff. Es ist wenig überraschend, dass
das Hightech-Land Südkorea besonders unter dem Phänomen leidet: Kaum eine
Nation der Welt ist stärker vernetzt, hat schnelleres Internet und eine
höhere Smartphone-Penetration.
„Weit über 70 Prozent aller Koreaner beziehen ihre Nachrichten mittlerweile
über Internetportale und gehen nicht mehr direkt auf die Seiten der
Verlagshäuser“, sagt Professor Hahn. Jüngere Leute würden kaum mehr
zwischen klassischen Medien und Einmannwebseiten unterscheiden. So können
Falschmeldungen perfekt gedeihen.
Dabei füllen Fake News ein Vakuum aus, das die herkömmlichen Medienhäuser
erzeugt haben. Laut einer aktuellen Umfrage des US-Marktforschungsinstituts
Edelman trauen nur mehr 42 Prozent aller koreanischen Internetnutzer den
traditionellen Medien wie Zeitung, Radio und TV. Vor fünf Jahren waren es
immerhin noch 58 Prozent. „Es ist erstaunlich, wenn man darüber nachdenkt,
dass die Glaubwürdigkeit der Journalisten während der 70er und 80er
vermutlich am höchsten war“, sagt Hahn. Damals wurde Südkorea von
Militärdiktatoren regiert, die die Medien des Landes an kurzer Leine
hielten.
## Journalisten als „Giraegi“
Seit einigen Jahren jedoch werden viele Journalisten als „Giraegi“ verbrämt
– dem koreanischen Äquivalent zum „Lügenpresse“-Vorwurf. „Giraegi“-…
waren omnipräsent bei den Kerzenscheindemonstrationen im letzten Winter,
als jeden Samstag bis zu zwei Millionen Südkoreaner auf den Seouler
Gwanghwamun-Platz den Rücktritt ihrer Präsidentin forderten.
Auch unter den Loyalisten der mittlerweile geschassten Präsidentin, die bis
heute vorm Rathausplatz auf einem Zeltlager kampieren, hörte man denselben
Vorwurf. Unter beiden Lagern eskalierten die verbalen Angriffe auch in
physischen Übergriffen gegenüber Journalisten, die ihrer Meinung die
Realität bewusst falsch wiedergeben würden.
Die Skepsis fußt nicht zuletzt auf den moralisch verwegenen Standards der
koreanischen Presse: Wer die Wirtschaftsseiten der Tageszeitungen
aufschlägt, wird mit bezahlten, jedoch nicht gekennzeichneten Advertorials
von Samsung und Co. überhäuft. Politische Gerüchte werden oftmals trotz
fragwürdiger Quellenlage aufgegriffen, solange es der ideologischen Agenda
der jeweiligen Zeitung dient. Bei den meisten Nordkorea-Artikeln gleicht
die Frage nach dem Wahrheitsgehalt einem Münzwurf.
## Ban Ki Moons Verzicht
Weite Bevölkerungsschichten haben sich daher längst von den herkömmlichen
Verlagen abgewandt. Stattdessen teilten sie untereinander zu Zehntausenden
in Chatgruppen des koreanischen Nachrichtendienstes KakaoTalk die
Nachrichten von Podcastern und Aktivisten.
Darunter mischen sich immer wieder absurde Enten: US-Präsident Donald Trump
hätte sich gegen die Amtsenthebung von Park Geun Hye ausgesprochen. Bei den
Protesten gegen die Präsidentin hätte die kommunistische Regierung in
Peking ihre Hände im Spiel und 60.000 chinesische Studenten in Korea
mobilisiert. Oder nordkoreanische Spione würden als Drahtzieher
dahinterstecken.
Und diese irrealen Geschichten haben nicht selten reale Folgen: Nur wenige
Tage nach dem Shitstorm um das gefälschte Video kündigte Ban Ki Moon an,
nicht für das südkoreanische Präsidentenamt kandidieren zu wollen. „Mein
purer Patriotismus wurde durch Verleumdungen und Fake News demontiert“,
erklärte der 72-Jährige in einer Pressekonferenz.
30 Apr 2017
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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Moon Jae In
Schwerpunkt Korruption
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
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