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# taz.de -- Sigmar Gabriel besucht Westbalkan: Hauptsache, die Geschäfte laufen
> In Serbien und im Kosovo äußerte der Außenminister eine Liste guter
> Wünsche. Zudem stellt er den zwei Ländern eine EU-Perspektive in
> Aussicht.
Bild: Gabriel (li.) und Vucic gemeinsam in Belgrad
Belgrad taz | Das tun hochkarätige westliche Politiker ab und zu: Sie
besuchen die Länder des Westbalkans, sichern ihnen EU-Beitrittsperspektiven
zu und fordern sie auf, sich zu vertragen. So auch Bundesaußenminister
Sigmar Gabriel bei seinem Besuch in Serbien und dem Kosovo am Mittwoch und
Donnerstag.
In Belgrad und Pristina wiederholte er mehr oder weniger, was er kurz vor
seiner Abreise in Berlin erklärte: „Auf dem Westbalkan hat es in den
letzten Jahren bemerkenswerte Fortschritte gegeben“, sagte Gabriel, doch
zuletzt habe man auch gesehen, dass manche Wunden der Vergangenheit tief
säßen und heute noch zu Spannungen führen könnten. Der Weg Richtung EU
stünde allerdings weiterhin offen, wenn sich die Westbalkanstaaten für
Reformen und Fortschritt statt für Spaltung und Stillstand entschieden.
Dafür stellte Gabriel Geld in Aussicht, für Infrastrukturprojekte zum
Beispiel.
Selbstverständlich stimmten serbische und kosovarische regierende Politiker
wie immer zu. Doch Belgrad und Pristina verhandeln unter der Vermittlung
der Europäischen Union seit Jahren über die „Normalisierung der
gegenseitigen Beziehungen“ und beschuldigen sich immer wieder dabei
gegenseitig, den Prozess ins Stocken zu bringen.
Die größten Brocken bei den Verhandlungen sind derzeit eine Autonomie der
mehrheitlich von Serben bewohnten Gemeinden, Eigentumsrechte nach der
Unabhängigkeit des Kosovo im Jahr 2008 und die Gründung einer kosovarischen
Armee. Pristina wirft Belgrad vor, sich über die im Kosovo lebenden Serben
in innenpolitische Angelegenheiten eines souveränen Landes einzumischen,
Belgrad beschuldigt die kosovarische Regierung, sich serbisches Eigentum
widerrechtlich aneignen zu wollen und bestreitet dem Kosovo das Recht auf
eine eigene Armee. Beide Länder beschuldigen sich gegenseitig der
Kriegsverbrechen.
## Stabilität vor Demokratie
Serbien beteuert, bei den Gesprächen über die „Normalisierung der
Beziehungen“ mit russischer Unterstützung nie und nimmer und unter gar
keinen Umständen die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen. Der
albanisch-kosovarische Kampf für die Unabhängigkeit wurde 1999 mit
dreimonatigen Luftanschlägen der Nato auf die Bundesrepublik Jugoslawien
(Serbien und Montenegro) beendet, nachdem sich serbische Streitkräfte aus
dem Kosovo zurückzogen.
Ganz im Sinne der EU-Westbalkanpolitik setzte Gabriel den Akzent auf
regionaler Stabilität, ohne sich über den Zustand der Demokratie,
Menschenrechte, der zivilen Gesellschaft oder Medienfreiheiten auszulassen.
Während seines Aufenthalts in Belgrad wurden in Serbien den zehnten Tag in
Folge Massenproteste gegen seinen Gastgeber organisiert, den
immer-noch-Ministerpräsidenten Aleksandar Vucic, der sich am 2. April mit
überzeugender Mehrheit zum Staatspräsidenten hatte wählen lassen.
Der Ton bei den Gesprächen zwischen Vucic und Gabriel war gelassen, die
Stimmung gut. Es war die Rede von 370 deutsche Firmen in Serbien, die rund
35.000 Menschen beschäftigen und über den Handelsumsatz von vier Milliarden
Euro. Der Sieg Vucics bei den Präsidentschaftswahlen gebe Anlass zur
Freude, sei aber auch eine große Verantwortung für den Reformprozess
Serbiens und weitere Entwicklung der Beziehungen mit dem Kosovo, was eine
der Bedingung für eine EU-Mitgliedschaft Serbiens sei, so Gabriel.
Ganz so, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel unmittelbar vor den Wahlen Vucic
unterstütze indem sie ihn in Berlin empfing, tat das Gabriel mit seinem
Besuch in Belgrad nach den für die serbische Opposition umstrittenen
Präsidentschaftswahlen.
## Kontrolle über alle Institutionen
Dem starken Mann Serbiens wird vorgeworfen staatliche Institutionen
ausgeschaltet, die Medien gleichgeschaltet, einen Parteistaat eingeführt zu
haben, in dem er der alleinige Herrscher sei. Man wirft ihm Korruption,
Vetternwirtschaft, kriminelle Geschäfte vor und Versuche, Polizei und
Justiz undemokratisch unter Kontrolle zu bringen.
Tatsächlich stehen in Serbien fast alle Medien unter der Kontrolle von
Vucics Serbischer Fortschrittspartei (SNS). Während der Wahlkampagne wurde
das Parlament einfach geschlossen. So hatte die Opposition überhaupt keine
hörbare Stimme mehr – Parlamentssitzungen werden üblicherweise live
übertragen. Vucic kann Kritik nicht ausstehen, politische Konkurrenten
betrachtet er als Feinde, die es zu vernichten gilt. Obwohl er als
Staatspräsident formal nur zeremonielle Befugnisse haben wird, werden nach
wie vor Regierung und Parlament nach seiner Pfeife. Für die fragile
serbische, demokratische Entwicklung wird das verheerend sein.
Für den Sozialdemokraten Gabriel war das offenbar kein wichtiges Thema.
Hauptsache, es herrscht Frieden auf dem Westbalkan und deutsche Firmen
können ungehindert investieren.
14 Apr 2017
## AUTOREN
Andrej Ivanji
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