| # taz.de -- Debatte Rechtspopulismus und Linke: Neuanfang in Denken und Handeln | |
| > Wer linke Politik verteidigen will, muss auch die soziale Frage stellen | |
| > dürfen! Das meinen zwei FAZ-Essayisten nach Kritik in der taz. | |
| Bild: Zuletzt war Martin Schulz den Spagat zwischen der „Adressierung der soz… | |
| [1][In der FAZ argumentierten wir zuletzt], dass die Linke – verstanden in | |
| einem weiten Sinne – die soziale Frage vernachlässigt und so den Aufstieg | |
| des Rechtspopulismus zumindest teilweise mitverschuldet habe. | |
| Daraufhin hat sich [2][in der taz eine Debatte über unsere These | |
| entzündet]. Das ist angesichts der Herausforderungen der liberalen | |
| Demokratie und der Krise linker Politik nur zu begrüßen. Allerdings sind | |
| uns dabei Positionen unterstellt worden, die wir nicht vertreten. So rückt | |
| uns Christian Volk in die Nähe neurechter Positionen und wirft uns vor, den | |
| „Kern linken Denkens“ zu verkennen. Dieser sei gar nicht die „soziale | |
| Frage“, sondern die „Idee einer freien Gesellschaft“. Entsprechend habe d… | |
| „soziale Frage“ auch nur „mittelbar“ mit dem Aufstieg des Rechtspopulis… | |
| zu tun. | |
| In eine ähnliche Richtung geht der [3][taz-Beitrag von Franziska Müller und | |
| Arman Ziai]. Ihnen zufolge würden wir „Antidiskriminierungspolitik“ als | |
| „gefährliches Projekt“ infrage stellen. [4][Heike Mauer wirft uns aus | |
| feministischer Sicht vor], dass wir „Geschlechter- und Sexualitätspolitiken | |
| zu Elementen des persönlichen Lifestyles verniedlichen“. | |
| [5][Winfried Thaa kritisiert], wir würden lediglich eine „erneute | |
| Dramatisierung sozialer Gerechtigkeit“ fordern und so suggerieren, dass der | |
| Rechtspopulismus damit allein schon überwindbar sei. Ähnlich argumentieren | |
| auch Ingolfur Blühdorn und Felix Butzlaff mit Verweis auf den Umstand, dass | |
| Rechtspopulismus gerade dort besonders erfolgreich ist, wo es den Menschen | |
| eigentlich gut geht. Dass wollen wir gar nicht bestreiten; gleichwohl zeigt | |
| sich in vielen Ländern, dass Rechtspopulisten besonders stark von Menschen | |
| gewählt werden, die früher linken Parteien nahestanden. | |
| ## Politikwissenschaftler als „Linksautoritäre“ | |
| Daher denken wir, dass eine Dramatisierung sozialer Gerechtigkeit ein | |
| entscheidender Weg ist, um einen weiteren Vormarsch rechtspopulistischer | |
| Parteien zu verhindern. Bevor wir weiter ausführen, warum das auch der | |
| einzige Weg ist, die Errungenschaften der Linken – Gleichstellung von | |
| Frauen, Anerkennung nicht heterosexueller Lebensformen, eine politische | |
| Kultur, die sich der Fremdenfeindlichkeit entgegenstellt – zu verteidigen, | |
| noch mal in aller Deutlichkeit: Wir wollen die Antidiskriminierungspolitik | |
| nicht gegen eine Politik der sozialen Gerechtigkeit ausspielen. Wer die | |
| Antidiskriminierungspolitik aber retten will, muss auch wieder die soziale | |
| Frage stellen: Das ist unsere These. | |
| In vielen Ländern Europas werden von den Rechtspopulisten zunehmend | |
| Wählerklientel angesprochen, die Politikwissenschaftler als | |
| „Linksautoritäre“ bezeichnen. Es handelt sich um Menschen, die in | |
| kulturellen Fragen autoritäre Werte vertreten und vielleicht auch zu | |
| Fremdenfeindlichkeit neigen, wirtschafts- und sozialpolitisch aber | |
| klassisch linken Positionen zuneigen. Der „working-class authoritarianism“ | |
| (Seymour Lipset) wirkt hier nach und ließ, etwa in Frankreich, viele der | |
| ehemaligen Kommunistenwähler und nun auch zunehmend ehemalige Wähler der | |
| Sozialisten zum Front National überlaufen. | |
| Was auch immer die einzelnen Motive sein mögen: Nicht zu bestreiten ist, | |
| dass viele dieser Wähler zumindest in Westeuropa früher linken Parteien | |
| nahestanden, sich von diesen jedoch kaum noch vertreten fühlen. Dafür ist | |
| eine Doppelbewegung dieser Parteien verantwortlich, wobei wir hier vor | |
| allem die sozialdemokratische Parteienfamilie im Blick haben. Diese | |
| Parteien haben sich nicht nur den Forderungen der „neuen Linken“ geöffnet, | |
| sondern auch den einseitigen Freiheitsbegriff des Neoliberalismus | |
| übernommen und sich fahrlässig von den Kapitalisten den Schneid abkaufen | |
| lassen. | |
| Die Dramatisierung der sozialen Gerechtigkeit ist also seit Langem | |
| überfällig. Das gilt für Deutschland wie für die meisten anderen liberalen | |
| Demokratien. Aber die Linken adressierten diesen Bedarf zuletzt, zumindest | |
| in den Augen vieler Wähler, nicht. Wodurch es dazu kam, dass viele | |
| Arbeiter, Arbeitslose und prekär Beschäftigte – gegen ihre eigenen | |
| Interessen – für die Rechtspopulisten stimmten. Die Linken liefen sogar in | |
| die Falle der Identitätspolitik. | |
| ## Nicht nur moralisch werden | |
| Die bestand für die Linken darin, dass sie mit der Kombination aus rechter | |
| Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik und linksliberaler | |
| Kulturpolitik den Globalisierungsgewinnern zwar ein attraktives Angebot | |
| unterbreiteten, aber zugleich immer mehr traditionell gesinnte Wähler | |
| zuerst an die Partei der Nichtwähler, zunehmend aber auch an die | |
| Rechtspopulisten verloren haben. Das hat zuletzt für die SPD etwa | |
| teilweise zu Ergebnissen geführt, die nur knapp im zweistelligen Bereich | |
| lagen. In Frankreich lässt sich gegenwärtig beobachten, wie sich eine | |
| einst stolze sozialistische Partei selbst zerlegt. | |
| Die Linke braucht deshalb einen Neuanfang im Denken und im Handeln. | |
| Deutschland könnte ein Musterbeispiel für den erfolgreichen Umgang mit dem | |
| Rechtspopulismus werden, weil dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz der | |
| Spagat zwischen der Adressierung der sozialen Frage und kultureller | |
| Teilhabepolitik gegenwärtig gut zu gelingen scheint. Die SPD erlebt einen | |
| Höhenflug in den Umfragen, die AfD verliert dagegen deutlich an | |
| Unterstützung. | |
| So ein „perspektivischer Dualismus“ – um ein Wort der | |
| Politikwissenschaftlerin Nancy Fraser zu benutzen – könnte sich am Ende als | |
| die erfolgreichste Strategie erweisen. Soziale Gerechtigkeit in der | |
| konkreten Politik ernster zu nehmen als zuletzt, ist daher der richtige | |
| Weg. Moralismus allein ist jedenfalls zu wenig, um gegen den | |
| Rechtspopulismus etwas in der Hand zu haben. Und moralische Überheblichkeit | |
| gegenüber den Abgehängten ist sogar kontraproduktiv; sie sorgt im | |
| schlechtesten Fall nur für eine Trotzreaktion. Daher gilt es, dass sich die | |
| Linke – und nicht nur die SPD – umorientiert. Darauf wollten wir mit | |
| unserer These der „Dialektik der Moralisierung“ hinweisen. | |
| 24 Apr 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://plus.faz.net/evr-editions/2017-01-26/42121/313561.html | |
| [2] /Essay-Rechtspopulismus/!5383964 | |
| [3] /Debatte-Rechtspopulismus-in-Europa/!5388259 | |
| [4] /Debatte-Rechtspopulismus-in-Europa/!5393821 | |
| [5] /Debatte-Rechtspopulismus-in-Europa/!5386234 | |
| ## AUTOREN | |
| Nils Heisterhagen | |
| Dirk Jörke | |
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