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# taz.de -- Debatte Rechtspopulismus: Wo Linke nicht irren dürfen
> Die Interpretation des Rechtspopulismus als Neuauflage der sozialen Frage
> geht am eigentlichen Kern der Sache vorbei.
Bild: Pegidisten verstehen sich als die „kleinen Leute“, der Mehrheit geht …
Dass die Populismusdebatte die moralisierende Empörung über die ewig
gestrigen Feinde der Demokratie inzwischen hinter sich gelassen hat, ist
gut. Denn diese Attitüde hilft hauptsächlich den guten Demokraten, sich
ihrer Rechtschaffenheit zu versichern und ihr Festhalten an unseren Werten,
unserer Freiheit und unserer Lebensweise zu legitimieren, von denen längst
jeder weiß, dass sie sozial exklusiv und ökologisch zerstörerisch sind.
Es ist auch richtig, dass die Frage der sozialen Ungleichheit wieder in den
Mittelpunkt der Diskussion rückt. Wer aber glaubt, das Populismusproblem
ließe sich lösen, indem die politische Linke sich ihrer ursprünglichen
Werte und Klientel erinnert, der irrt.
Dirk Jörke und Nils Heisterhagen sind in der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung, [1][Christian Volk], [2][Winfried Thaa] und zuletzt [3][Heike-Eva
Mauer] in der taz der Frage nachgegangen, ob die Rechtspopulisten heute
deshalb so viel Zulauf haben, weil die Linke mit ihrer
postmaterialistischen Identitätspolitik die „kleinen Leute“ vernachlässigt
hat. Daran knüpft sich die Forderung, die europäische Sozialdemokratie
müsse jetzt mit einer entschiedenen Rückwendung zur Sozialpolitik
reagieren. Zumindest Jörke und Heisterhagen sehen hier „eine Chance und die
Aufgabe der Linken“.
Wenn sich das Problem wirklich so lösen ließe, dann wäre das ein Grund zur
Hoffnung. Aber die Interpretation des Rechtspopulismus als Neuauflage der
sozialen Frage geht am eigentlichen Kern der Sache vorbei. Denn ein guter
Teil derer, die bei Pegida auf die Straße gehen und die AfD attraktiv
finden, stehen eben nicht im ökonomischen Sinne unter Druck.
Auch international gesehen floriert der Rechtspopulismus keineswegs vor
allem dort, wo besonders drastische neoliberale Spardiktate herrschen,
sondern etwa in Österreich oder Dänemark. Und Donald Trump hat in allen
Einkommensgruppen über 50.000 Dollar eine Mehrheit erreicht.
Tatsächlich kommen wir bei den nichtmateriellen Ursachen des
Rechtspopulismus auch dem eigentlichen Beitrag der emanzipatorischen Linken
einen Schritt näher: Modernisierung hat für diese stets Befreiung aus
bevormundenden Traditionsüberhängen und die Erweiterung individueller
Gestaltungsspielräume bedeutet. Der „Schutz der Integrität der eigenen
Person“ und das Versprechen, „ohne Angst verschieden sein zu können“,
waren, wie Christian Volk zu Recht in Erinnerung ruft, der normative Kern
des linken Projekts.
Allerdings nur dessen einer Teil, denn der gleich wichtige zweite Teil war
der feste Glaube an die eine universelle Vernunft, in deren unverrückbaren
Grenzen sich alle Selbstbestimmung zu bewegen habe. Dieser Glaube ließ sich
aber nicht aufrechterhalten, und die emanzipatorischen Bewegungen haben zu
seiner Zersetzung selbst tüchtig beigetragen.
Entgegen der Argumentation von Winfried Thaa ist das Problem der Linken
daher nicht, dass sie „vor allem auf eine Politik der Identitäten“ gesetzt
haben, die „keine gemeinsamen Handlungsfelder eröffnet“. Dass dem nicht so
ist, machen die Populisten uns vor! Aber die Linken hatten eben den
zentrifugalen Kräften der Individualisierung und Emanzipation, die sie
selbst eifrig befeuert haben, nichts haltbares Integratives
entgegenzusetzen. Sie sind also nicht in die „Identitätsfalle“ getappt,
sondern vielmehr in die Modernisierungsfalle.
## Populismus als Detox
Die Fähigkeit, mit der entgrenzten Moderne zurechtzukommen, hängt aber in
hohem Maße vom persönlichen Zugriff auf soziale und kulturelle Ressourcen
ab.
Wo diese nicht verfügbar sind, steigt das Bedürfnis nach Schutzräumen
kollektiver Identität. Doch das Angebot an solchen Räumen schwindet. Wie
sehr die emanzipatorische Errungenschaft, das eigene Selbst ganz
eigenverantwortlich finden und verwirklichen zu müssen, längst auch in
materiell gesicherten Gesellschaftsschichten zum Überforderungssyndrom
geworden ist, zeigt sich in den Themenkonjunkturen von „Burn-out“ und
„Detox“.
In genau diese Lücke stößt der Rechtspopulismus. Dass sich dessen „wahres
Volk“ und seine vermeintlich homogenen Werte und Interessen in der
Hypermoderne weniger denn je definieren lassen, spielt für die
Überforderten kaum eine Rolle. Als intuitiv zugängliches Kollektiv, das den
Einzelnen aus der Verantwortung nimmt; als entlastende Vereinfachung und
Kriterium zur Unterscheidung von Gut und Böse reicht dieses Konstrukt
allemal.
Wirklich regelgebend soll dieser inszenierte Referenzpunkt ohnehin nicht
sein, denn das Gegengift soll die errungenen Freiheiten keineswegs wieder
abschaffen, sondern nur ihre Nebenwirkungen abfedern. Mit Recht verweist
Christian Volk auf eine „tiefe innere Gespaltenheit“. Radikalisierter
Individualismus und die Berufung auf das Volk stehen nicht in einem
Verhältnis von entweder/oder, sondern von sowohl/als auch. Daher ist auch
Trumps Kabinett aus Milliardären kein Widerspruch.
Wenn aber die kategorischen Imperative und das, was man bürgerlich als
innere Werte bezeichnet hat, erst einmal von der Emanzipation zersetzt und
von der Modernisierung aufgezehrt sind, bleibt zur Identitätsbildung nicht
mehr viel übrig als die Welt der Moden und Marken. Die emanzipatorische
Linke hat also die materielle Dimension nicht etwa marginalisiert, sondern
im Gegenteil – ohne dies je gewollt zu haben – dazu beigetragen, dass sich
nun alles auf sie konzentriert!
Der Konsum ist heute die Arena, wo Identitätsbildung wesentlich
stattfindet. Aber diese Identität ist per definitionem exklusiv. Und an den
Grenzen des Wachstums ist die Freiheit und Selbstverwirklichung der einen
direkter denn je gekoppelt an die Knebelung und Ausgrenzung der anderen. Da
schließt sich der Kreis: Scheinbar gegeneinander und doch gemeinschaftlich
organisieren kapital- und investitionenschützende Regierungen und
rechtspopulistische Bewegungen die Politik der Exklusion – wobei Letztere
die Logik des herrschenden Systems keineswegs herausfordern, sondern nur
nach unten verlängern.
10 Apr 2017
## LINKS
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## AUTOREN
Ingolfur Blühdorn
Felix Butzlaff
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