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# taz.de -- Neues Gesetz zur Psychotherapie: Krisengespräche im 25-Minuten-Takt
> Ab 1. April müssen Psychotherapeuten eine Sprechstunde für Kurzgespräche
> anbieten. Das Vorhaben ist umstritten.
Bild: Mal schnell im Vorbeigehen auf die Couch? So will es ein neues Gesetz
Berlin taz | Wer in [1][eine seelische Krise] gerät und Hilfe sucht, kennt
das Problem: Im Internet gibt es zwar Listen von örtlichen
Psychotherapeuten, aber wer die Behandler anklingelt, landet meist auf
einem Anrufbeantworter. Einen Rückruf bekommen Leidende oft nur dann, wenn
ein Therapieplatz frei ist.
Ab 1. April soll sich das ändern: Dann haben die Patienten das Recht auf
einen Termin in einer Sprechstunde, die ambulante Psychotherapeuten
anbieten müssen. Die Bedingungen dafür sind aber umstritten.
„Die Sprechstunden können keine fehlenden Therapieplätze ersetzen“, sagt
Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer. Die Kammer
drängt schon seit Jahren auf mehr Praxissitze.
Die Krankenkassen hingegen wollen mit der Verpflichtung der Therapeuten zu
einer „Sprechstunde“ und der neuen Abrechnungsposition von
„Akutbehandlungen“ versuchen, mehr Patienten kürzere Behandlungen zu
verschaffen. „Wir haben die Hoffnung, dass einem gewissen Anteil von
Personen mit weniger und kürzeren Terminen geholfen werden kann“, sagt
Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbandes der gesetzlichen Kassen.
## Analyse im Schnellverfahren
Nach den neuen Richtlinien müssen die psychologischen oder ärztlichen
Psychotherapeuten mit einem vollen Praxissitz 100 Minuten pro Woche als
„Sprechstunde“ anbieten. Dieses Zeitvolumen geht von ihrem gesamten
Behandlungskontingent ab. Im Rahmen dieser Sprechstunde bieten sie
25-minütige Gespräche an. Bis zu sechs dieser Kurzgespräche sind pro
Patient innerhalb der Sprechstunden möglich. Danach kann die Behandlerin
eine sogenannte „Akutbehandlung“ anschließen, die bis zu 24 Einheiten mit
jeweils 25 Minuten umfasst. Zum Vergleich: Während sonstiger
Psychotherapien dauert ein Termin in der Regel 50 Minuten,
Kurzzeittherapien beinhalten bis zu 25 dieser Termine.
Ein Termin für die Sprechstunde muss vorher telefonisch in der Praxis
ausgemacht werden, dazu müssen die TherapeutIn oder eine Praxishilfe
mindestens 200 Minuten pro Woche telefonisch erreichbar sein, ein
Anrufbeantworter reicht nicht. Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben die
Pflicht, Ratsuchenden innerhalb von vier Wochen einen ersten
Sprechstundentermin bei einem Psychotherapeuten zu vermitteln.
Eine erste Diagnostik, die Krisenintervention und eine Stabilisierung
sollen während der Sprechstunden und der Akutbehandlung im Vordergrund
stehen. Das könnten alle Psychotherapeuten leisten, ob sie nun
verhaltenstherapeutisch oder tiefenpsychologisch ausgebildet seien, heißt
es bei der Bundespsychotherapeutenkammer.
„Der Engpass bei den Therapieplätzen aber bleibt trotz der Sprechstunde
bestehen. Vielleicht wird er sogar noch sichtbarer, wenn wir den Patienten
nach der Diagnostik und den kurzen Gesprächen gar keine Folgebehandlung
anbieten können“, sagt Dieter Best, langjähriger Bundesvorstand der
Deutschen Psychotherapeutenvereinigung und selbst niedergelassener
Therapeut.
## Drei Euro weniger pro Stunde
Die Berufsverbände und die Kassenärztlichn Bundesvereinigung (KBV)
protestieren auch dagegen, dass die psychotherapeutische Sprechstunde und
die kürzeren Termine von den Krankenkassen etwas schlechter vergütet werden
als die längeren Psychotherapien. Im sogenannten Erweiterten
Bewertungsausschuss hatten die Berufsverbände und die KBV eine bessere
Honorierung gefordert.
Für 50 Minuten Behandlung bekomme eine Therapeutin von der Kasse 88 Euro,
für die gleiche Zeit in einer Sprechstunden- und Akutbehandlung aber nur 85
Euro, rechnet Best vor. Die unterschiedliche Honorierung sei darauf
zurückzuführen, dass der Aufwand für Vor- und Nachbereitung bei den
längeren Behandlungen höher angesetzt werde, erklärt Lanz.
Laut dem GKV-Sprecher werden in Deutschland pro Jahr 2,2 Milliarden Euro
für psychotherapeutische und psychiatrische Leistungen ausgegeben.
Hierzulande gibt es 24.000 psychotherapeutische Praxissitze mit
Kassenzulassung. Vor allem in ländlichen Regionen fehlen TherapeutInnen.
Mehr als 2,6 Millionen Krankschreibungen pro Jahr erfolgen aufgrund von
seelischen Störungen.
1 Apr 2017
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## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Psychotherapie
Depression
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Psychoanalyse
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