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# taz.de -- Neues Album von Drake: Kanadas schönstes Grinsen
> Der Rapper kündigt auf „More Life“ eine Auszeit an. Ob das ernstgemeint
> ist, ist fast egal. Selbst wenn er weg ist, bleibt sein mediales Abbild.
Bild: Bei einem Auftritt in Berlin: Drake
Wegen dieser Nachricht klappen zurzeit reihenweise Kinnladen runter. Dem
kanadischen Star Drake, Lieblingsrapper aller Schwiegermütter, fehle
angeblich Zeit für Privates, daher nimmt er sich eine Auszeit bis 2018.
Behauptet er zumindest auf seinem neuen Werk „More Life“ am Ende des
Finales „Do Not Disturb“. Ob das ernst gemeint ist, darüber wird momentan
viel spekuliert. Eins bleibt jedoch gewiss: Schluchzen und Jammern in Songs
kann der Kanadier besser als alle anderen.
Und außerdem: Wenn Drake weg ist, ist er gar nicht weg. Denn der physische
Körper des 30-Jährigen und sein mediales Abbild, das sind zwei Paar Schuhe.
Das Internet betreibt mit Drake schon seit Anbeginn seiner Karriere
Resteverwertung im Update-Modus. Kaum eine Grimasse aus der noch keine
Instagram-„Mood“ geworden wäre, kaum ein Move des Kanadiers, der noch nicht
per Video memefiziert ist. Drake geht nicht viral, er ist es.
Auf dem Cover seines 2016 erschienenen Albums „Views“ saß der Mann aus
Toronto in Miniaturgröße auf dem Canada National Tower seiner Heimatstadt
und kurze Zeit später auch an vielen anderen Orten: auf der Schulter
Muhammad Alis, in der Handfläche Darth Vaders, und so weiter. Kalkuliert
oder nicht – Drake könnte auch bis 2030 physisch wegbleiben, die digitale
Remixkultur würde den Job ohnehin erledigen.
Nur die Musik, die macht Kanadas schönstes Grinsen (In your face, Justin
Trudeau!) gern noch selber. Beziehungsweise so ähnlich, denn auf „More
Life“ überlässt der Protagonist seinen Gästen viel Platz. So zum Beispiel
auf „4422“ mit dem Londoner Sampha, das so wohlig klingt, als hätte die
angeturnte Folkheulboje Bon Iver zu lange am Drumcomputer rumgefummelt.
Sampha und Drake harmonieren hier wie schon bei ihrer Zusammenarbeit auf
Drakes 2013er Album „Nothing Was the Same“, die den Briten mit der hohen
Stimme vielen erst bekannt gemacht hat.
„More Life“ ist auch eine musikalische Rückbesinnung auf die eigene
Karriere. Mal trauert ein gefühlvoller Drake (der mit der alternativen
Maskulinität!) Verflossenen hinterher, mal gibt der grimmig guckende Drake
damit an, wie Frauen dank seiner Dollarnoten von allein angekrochen kommen.
Auch treibt ihn um, was andere über ihn denken – Drake ist seit seiner
Rolle in der kanadischen TV-Serie „Degrassi“ stets vor den Augen der
Öffentlichkeit aufgewachsen. Das prägt.
Die Retrospektive geht so weit, dass sein Produzenten-Buddy Noah „40“
Shebib ein schon von ihm für Drakes zweites Album „Take Care“ eingespieltes
Instrumental erneut zitiert („Jorja Interlude“) und die hochgepitchte Snare
auf „Lose You“ exakt so klingt wie Drakes Mixtape „So Far Gone“ (2009).
Doch Neues gibt es auch.
## Cultural Appropriation lautet die Anklage
Noch deutlicher wird in diesem Album: Drake trägt den Mantel des
Pop-Weltbürgers: Grime-Einflüsse aus London („Skepta Interlude“), Danceha…
aus Jamaika („Blem“) und House-artige-Sounds („Passionfruit“) mixen sich
auf „More Life“ zusammen mit Drakes HipHop-Fundament zu einer Vielfalt,
wie sie im Genre zurzeit nur einer hinbekommt – Drake. Dass er sich damit
nicht nur Freunde macht, geschenkt. Cultural Appropriation lautet die
Anklage, meist mit Hinweis auf die karibischen Einflüsse in seiner Musik.
Darf Drake, nur halb(!)-Schwarz, jüdisch, sich an jamaikanischem Musikgut
vergreifen? Sicher ist, dass es in Toronto eine große karibische Diaspora
gibt und auch Weggefährten wie der Rapper Kardinal Offishall (ebenfalls aus
Toronto, hat allerdings jamaikanische Eltern) davon musikalisch beeinflusst
sind.
„More Life“ ist streng genommen gar kein Album, es sei eine Playlist, wie
Drake es formuliert. Was bedeutet das? Manche, wie die New York Times,
ahnen Böses: Digitale Playlisten werden bei der Zählung von
Streaming-Zahlen behandelt wie Alben. Hat Drake nun Erfolg mit dem
Experiment, probieren sich andere KünstlerInnen am selben Format und die
Streamingdienste profitieren – ganz nebenbei ist Drake übrigens Werbeträger
von Apple Music. An einem ähnlichen Modell hat sich auch Kanye West
versucht: Sein Album „Life of Pablo“ erschien 2016 zwar im CD-Format, wurde
auf den Streamingplattformen aber noch Wochen nach Veröffentlichung
modifiziert.
Ob Drake tatsächlich bis 2018 Pause macht, ist fast egal, er sorgt vorerst
eh für genug Gesprächsstoff. In Drakes Worten: „Bury me now and I only get
bigger.“
22 Mar 2017
## AUTOREN
Yannick Ramsel
## TAGS
HipHop
Kanada
Rap
HipHop
Musik
Kendrick Lamar
Rap
HipHop
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
R&B
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